Der Widerstand der Palästinenser ist die legale Reaktion auf die Besatzung von Jürgen Mitschka, NRhZ

Zur Frage von Gewalt und Gegengewalt
Der Widerstand der Palästinenser ist die legale Reaktion auf die Besatzung
Von Jochen Mitschka

Am 16. September verließ Khalil Jabarin, ein 17 Jahre alter Jugendlicher aus Yatta in der südlichen Westbank, das Haus seiner Familie. Er ging Richtung Norden zu der von israelischen Siedlern kontrollierten Gush Etzion Kreuzung. Dort stach er mit einem Messer auf einen amerikanisch-israelischen Siedler ein, bevor er angeschossen und verhaftet wurde. Der Siedler Ari Fuld erlag seinen Verletzungen. Der Jugendliche wusste, dass nicht nur er vermutlich erschossen werden würde, sondern, dass das Haus seiner Familie zerstört werden wird, und Familienmitglieder, Freunde und Bekannte von dem System der Besatzung verhaftet und verfolgt werden würden (3). Trotzdem entschied er sich zu seiner Tat, die ein Leben beendete, und von dem man vermuten konnte, dass es weitere Opfer fordern würde, nicht zuletzt sein eigenes Leben.

Der getötete Siedler war ein bekannter rechtsextremer Aktivist, der in der Nähe der Siedlung Efrat lebte. In den Medien wurden ihm die höchsten Ehren zuteil.

„Der ehemalige Armeesprecher Peter Lerner, zum Beispiel, beschrieb ihn in einem Leitartikel in höchstem Maße lobend mit den Worten ‚er war ein passionierter Vertreter Israels der an das historische Recht der Juden glaubte auf dem wahren Heimatland seiner Vorfahren leben zu dürfen.‘ (…) In einem anderen Artikel, war der pro-israelische Aktivist und ehemalige Soldat Micha Danzig offensichtlich empört darüber, dass Fuld als Siedler beschrieben wurde. ‚Ari Fuld war kein ‚Siedler‘ — er war ein unschuldiges Opfer des Terrorismus.‘ (…) Danzigs Hauptanliegen war es, die Besatzung der Westbank durch Israel als Normalität erscheinen zu lassen.“ (1)

Diese Einstellung wird immer mehr auch in westlichen Medien gespiegelt. Israel hat ein „Existenzrecht“ und verteidigt sich gegen Terrorismus, heißt es fast unisono. Dabei wird damit die Geschichte in ihr Gegenteil verkehrt. Denn nicht Israel soll die Existenzberechtigung aberkannt werden, sondern Palästina. Nicht Israelis werden verjagt, getötet, verhaftet, sondern Palästinenser. Nicht Palästinenser verstoßen gegen dutzende von völkerrechtlichen Regelungen und Entscheidungen, sondern die rechtsextreme Regierungen Israels. Nicht Palästina besetzt widerrechtlich Israel, sondern Israel besetzt Palästina.

Und nicht Araber verweigern jüdischen Menschen die Menschen- und Bürgerrechte, sondern jüdische Extremisten mit dem neuen Grundgesetz, das nicht jüdische Bürger Israels diskriminiert und das Land, nicht nur wegen seiner Besatzungspolitik, zu einem Apartheidstaat macht. Und der Widerstand gegen die Besatzung, mit allen Mitteln, wurde von der UNO Generalversammlung ausdrücklich für legitim erklärt. Jeder getötete Mensch ist zu betrauern, jede Tötungstat kann moralisch verurteilt werden. Aber eine moralische Verurteilung muss getrennt werden von dem juristischen Recht auf Selbstverteidigung und Nothilfe. Auch Nelson Mandela hatte zu einem bestimmten Zeitpunkt dem bewaffneten Widerstand seine Zustimmung gegeben und auch Gandhis Widerstand war keineswegs gewaltlos, wie viele Menschen glauben.

„Angesichts des ruhelosen zionistischen Drucks, Palästina von seiner nicht-jüdischen Bevölkerung zu befreien, hat nur der palästinensische Widerstand die ethnische Säuberung verlangsamt. Der Widerstand ist passiv, aktiv und unterschätzt. Zunächst ist da die einfache Tatsache, dass Palästinenser auf ihrem Land bleiben. Dies wird oft als sumud, Standhaftigkeit oder elastischer Widerstand bezeichnet. Es wird gesagt, dass diesem autonomen Widerstand, der auch die ‚Adaption‘ von Frauen und Familien angesichts extremer Gewalt beinhaltet, einfach ‚palästinensische Kultur und Identität‘ zu pflegen, viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird (Ryan 2015). (2)

Dann gibt es den aktiven, darin enthaltenen bewaffneten Widerstand. Es gibt keinen Zweifel, dass dieser legitim ist, im Kontext der gewalttätigen Kolonialisierung. Er wird sehr wohl durch internationales Recht anerkannt. Er ist böse in Zeiten von genozidalen Aufhetzung durch zionistische Anführer, die wiederholt Angriffe auf palästinensische Siedlungen unterstützen. Diese Angriffe sind zum großen Teil dazu bestimmt, palästinensische Gebiete ‚unbewohnbar‘ zu machen, um die Bewohner so aus dem ‚gelobten Land‘ zu vertreiben (Wadi 2018). In diesem Zusammenhang ist sowohl sich wehren als auch das Zurückschlagen der Widerstand. Der Apartheidstaat besetzt mehr Land als zuvor, und doch zeigen die Aufstände der Palästinenser, dass die neuen ‚Siedlungen‘, ihre Militärbasen und Zubringerstraßen nicht sicher sind (Bishara 2001: 24). Sie können blockiert werden und unter Feuer geraten, und solche Vorfälle geschehen regelmäßig, fast täglich.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat bei mehreren Gelegenheiten das Recht von kolonialisierten Völkern, und insbesondere Palästinensern bestätigt, sich mit ‘allen verfügbaren Mitteln, besonders auch dem bewaffneten Kampf‘ zu widersetzen (UNGA 1978). Die UNO Generalversammlung hatte außerdem erklärt, sie ‚verurteile scharf alle Regierungen, die das Recht auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit von Menschen unter kolonialer und ausländischer Herrschaft sowie Unterjochung durch Fremde nicht anerkennen, insbesondere dem Kampf der Menschen von Afrika und des palästinensischen Volkes‘ (UNGA 1974).“ (2)

Die Verurteilung des palästinensischen gewaltsamen Widerstandes oder seine Gleichsetzung mit der Gewalt, die von der derzeitigen Regierung Israels ausgeht, ist daher heuchlerisch und geht an den völkerrechtlichen Tatsachen vorbei. Man kann die Gewalt bedauern, man kann sie moralisch als nicht vertretbar bezeichnen, aber sie ist die Folge der Besatzung durch eine rechtsextreme Regierung und durch das Völkerrecht legitimiert.

Auch aus diesem Grund ist es höchst unredlich, Organisationen, die den bewaffneten Widerstand gegen ein völkerrechtlich klar erklärtes Unrechtsregime betreiben, in einem Atemzug mit Terroristen zu nennen, die Massenmorde an Zivilisten begehen. Bei der Gelegenheit sollte auch noch einmal beachtet werden, welche Seite im Konflikt zwischen der rechtsextremen Politik Israels und den bewaffneten Widerstandskämpfern Palästinas mehr zivile Opfer verursacht.

Beim Angriff Israels auf Gaza im Jahr 2014 töteten die israelischen Kräfte 1088 Personen, darunter mindestens 816 Zivilisten (ca. 75%), zerstörten ganze Stadtgebiete dermaßen, dass sie vom Vorsitzenden der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch Kenneth Roth als „Zerstörung durch Assads Fassbomben“ ausgegeben wurden. Der palästinensische Widerstand tötete 51 Menschen, davon 3 Zivilisten (6%). (2)

Wer Terroristen zum Beispiel in Syrien, die ethnische Säuberungen, Massenmorde und Vertreibungen begehen, Rebellen nennt, und sie finanziert, bewaffnet und diplomatisch abschirmt, aber den legitimen palästinensischen Widerstand gegen eine Besatzung nach einem Angriffskrieg als Terrorismus bezeichnet, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, einseitig und heuchlerisch zu argumentieren.

Fußnoten:

(1) White, Ben (2018) Palestinian violence isn’t ‚antisemitic“, it’s a response to occupation. 26. September, online: https://thearabweekly.com/palestinian-violence-isnt-antisemitic-its-response-occupation Seite zuletzt aufgerufen am 26.09.2018.

(2) Mitschka, Jochen und Anderson, Tim (2018) Schattenkriege des Imperiums – Die Zukunft Palästinas, 15. Oktober, online: https://www.nibe-versand.de/product_info.php?products_id=71 Seite zuletzt aufgerufen am 26.09.2018.

(Ryan 2015) Ryan, Caitlin (2015) ‘Everyday resilience as resistance: Palestinian women practicing Sumud’, International Political Sociology, Vol 9 Issue 4, December, https://doi.org/10.1111/ips.12099 Ohne Registrierung Weiterleitung auf https://academic.oup.com/ips/article-abstract/9/4/299/1792573?redirectedFrom=fulltext Seite zuletzt aufgerufen am 29.06.2018.

(Wadi 2018) Wadi, Ramona (2018) ‘How Israel Dehumanises Palestinian Resistance’, Middle East Eye, 23 April, online: http://www.middleeasteye.net/columns/how-israel-dehumanises-palestinian-resistance-1670727322 Seite zuletzt aufgerufen am 29.06.2018.

(Bishara 2001: 24) Bishara, Marwan (2001) Palestine Israel: peace or apartheid, Zed Books, New York.

(UNGA 1978) UNGA (1978) ‘Resolution A/RES/33/24 ‘Importance of the universal realization of the right of peoples to self-determination and of the speedy granting of independence to colonial countries and peoples for the effective guarantee and observance of human rights’, 29 November, online: https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/D7340F04B82A2CB085256A9D006BA47 A Seite zuletzt aufgerufen am 29.06.2018.

(UNGA 1974) UNGA (1974) ‘Importance of the universal realization of the right of peoples to self-determination and of the speedy granting of independence to colonial countries and peoples for the effective guarantee and observance of human rights’, A/RES/3246 (XXIX), 29 November, online: https://unispal.un.org/DPA/DPR/unispal.nsf/0/C867EE1DBF29A6E5852568C6006B2F0C Seite zuletzt aufgerufen am 29.06.2018.

(3) Murphy, Maureen Clare (2018) Israel to punish parents who tried to stop son’s attack, 17. September, online: https://electronicintifada.net/blogs/maureen-clare-murphy/israel-punish-parents-who-tried-stop-sons-attack Seite zuletzt aufgerufen am 27.09.2018.

Online-Flyer Nr. 676  vom 03.10.2018

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