Doppelmoral: Uli Hoeneß und der „König der Scheinheiligen“ Von Ralph Petroff

Doppelmoral: Uli Hoeneß und der „König der Scheinheiligen“

Bayern-Legende Uli Hoeneß ruft im Fernsehen an und verteidigt die WM-Vergabe an Katar vehement: Dadurch werde alles viel besser, Kritiker seien scheinheilig. Dabei werden Menschenrechte durchaus instrumentalisiert – doch gerade das ist es nicht, was Hoeneß umtreibt. Von Ralph Petroff Uli Hoeneß sorgt mit seiner vehementen Verteidigung Katars mal wieder für Aufsehen.

Doppelmoral: Uli Hoeneß und der „König der Scheinheiligen“

Von Ralph Petroff

Bayern-Legende Uli Hoeneß ruft im Fernsehen an und verteidigt die WM-Vergabe an Katar vehement: Dadurch werde alles viel besser, Kritiker seien scheinheilig. Dabei werden Menschenrechte durchaus instrumentalisiert – doch gerade das ist es nicht, was Hoeneß umtreibt.
Doppelmoral: Uli Hoeneß und der "König der Scheinheiligen"Quelle: Legion-media.ru

 

 

Uli Hoeneß sorgt mit seiner vehementen Verteidigung Katars mal wieder für Aufsehen. Und er beweist nebenbei, dass die berühmt-berüchtigte Abteilung Attacke nach wie vor funktioniert (wie viel das mit vier sieglosen Ligaspielen in Folge und dem Abrutschen seiner Bayern auf Platz 5 zu tun hat, sei dahingestellt). Sein jüngstes Opfer: Ex-St.-Pauli-Sportdirektor Andreas Rettig.

Was war passiert? Rettig war im Sport1Doppelpass zu Gast, einer fußballspezifischen Talkshow. Als bekannter Kritiker der WM-Vergabe an Katar äußerte er sich zu diesem Thema natürlich entsprechend – was Hoeneß auf den Plan rief: Wütend rief der in der Sendung an und fiel über Rettig her. Hoeneß eröffnete seine mehrere Minuten dauernde Tirade mit der Frage an Rettig, „ob er im Winter denn auch nicht mehr so warm duscht, ob er das Gas, was wir demnächst aus Katar beziehen – ob er sich da schon mal Gedanken gemacht hat“. Und er fuhr fort: Sportveranstaltungen und auch das Engagement der Bayern im Golfemirat „werden dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter dort besser werden und nicht schlechter“. Das sollten die Menschen endlich akzeptieren „und nicht ständig auf die Leute draufhauen“. Zu guter Letzt forderte der langjährige Bayern-Macher:

„Wenn wir demnächst nirgends mehr etwas kaufen und nicht mit Ländern zusammenarbeiten, wo die Menschenrechte nicht so gehandhabt werden wie bei uns, dann können wir unseren Laden zusperren. Und das sollten all die Schlaumeier sich mal überlegen, die so unglaublich katastrophal argumentieren wie Sie, vielen Dank.“

Den Katar-Kritiker Rettig bezeichnete Bayern Münchens Ex-Manager als „König der Scheinheiligen“. (Rettig revanchierte sich übrigens, indem er Hoeneß als „Botschafter von Katar“ bezeichnete.)

Dabei liegt Hoeneß in einem Punkt gar nicht so falsch: Die „Vermenschenrechtlichung“ des Sports muss gewisse Grenzen haben. Wollte man nur in Ländern spielen, die in Sachen Menschenrechten eine makellos reine Weste haben, wäre fraglich, ob sich fünf Länder fänden. Ganz sicher gehörten die Ausrichter der WM 2026 nicht dazu – die USA (Erläuterungen erübrigen sich, als Beispiel sei hier nur auf die Menschenrechte der Schwarzen hingewiesen), Kanada (der Umgang mit den Ureinwohnern und den Trucker-Protesten) und Mexiko (das für Journalisten gefährlichste Land der Welt). Andererseits ist auch nachvollziehbar, dass es Menschenrechtsverletzungen betreffend gewisse Grenzen gibt. Johan Cruijff begründete seinen Boykott der WM 1978 im damals von einer Militärjunta beherrschten Argentinien mit den Worten:

„Wie kann man 1.000 Meter von einem Folterkeller entfernt Fußball spielen?“

Es ist also letztlich immer eine Frage der Abwägung. Die Frage stellt sich aber (rhetorisch jedenfalls), ob Hoeneß‘ verniedlichende Kommentare, sein Gerede im Geiste des „Wandels durch Annäherung“ (oder eher Anbiederung) und sein Fordern eines richtigen Maßstabs auch für die „Bösen“ gelten. Für Russland auf jeden Fall schon mal nicht. Denn anders ließe sich nicht erklären, warum Hoeneß auch auf das Gas Bezug nimmt, das wir bald aus Katar beziehen, jedoch kein Wort darüber verliert, dass wir es genauso gut weiterhin aus Russland beziehen könnten. Als Vergleichspunkt sei hier allerdings ein anderes, Katar viel ähnlicheres Land genommen: Iran.

Beide Länder sind religiös regierte Staaten, in denen die Scharia inklusive Körper- und Todesstrafe gilt. Beide Staaten kriminalisieren Homosexualität und Ehebruch. In beiden Staaten gibt es Kleider- und Verhaltensvorschriften für Frauen. Beide Länder werden von einem Mann beherrscht, den das Volk nicht gewählt hat (wenn man davon ausgeht, dass der Herrscher Irans der Oberste Führer ist, denn anders als in der absoluten Monarchie Katar gibt es einen gewählten Präsidenten). Beiden Staaten wird vorgeworfen, den Terrorismus zu sponsern. Es geht mir hier gar nicht darum, die Stichhaltigkeit der jeweiligen Vorwürfe zu prüfen; aber anhand der Vorwürfe müsste man doch eigentlich annehmen, dass an beide Länder derselbe Maßstab angelegt wird.

Und doch: Ist es wirklich vorstellbar, dass Hoeneß eine WM in Iran ebenfalls so verteidigt hätte? Dass er forderte, man dürfe „nicht ständig auf die Leute draufhauen“? Dass er beschwichtigende Einwürfe gebracht hätte, wie viel besser die Verhältnisse dort doch würden, wenn man das Land nur ordentlich fördert und beteiligt? Oder dass Bayern München sein jährliches Wintertrainingslager in Teheran abhält? Ich glaube kaum, dass irgendjemand das ernsthaft für möglich hält. Denn es gibt einen gravierenden Unterschied zwischen Katar und Iran: In Teheran schwimmt man nicht in märchenhaftem Reichtum durch Erdöl und Erdgas (und dass die vorhandenen Reserven zu Geld gemacht werden, wird durch Sanktionen erschwert; aber das ist eine andere Geschichte). Und genau das ist der Unterschied und einer der Hauptgründe dafür, warum die einen Länder für den Westen „gut“ und die anderen „böse“ sind: Sie müssen Rohstoffe haben oder geopolitisch nützlich, aber auf jeden Fall unterwürfig sein. Frei nach Franklin Roosevelt: Katar mag ein Hurensohn sein, aber es ist unser Hurensohn.

Wie gesagt: Hoeneß liegt mit seiner grundsätzlichen Kritik an dem, was ich Vermenschenrechtlichung nenne, gar nicht mal so falsch und hat durchaus einen Punkt. Es wird aber allzu deutlich, dass es ihm gar nicht um die Grundsatzfrage geht, sondern nur um die Verteidigung Katars. Lenin schrieb vor über 100 Jahren: Wenn ein Japaner gegen die Annexion der Philippinen durch die USA ist, macht es einen großen Unterschied, ob er gegen Annexionen überhaupt ist – oder ob er die Philippinen nur für Japan haben will. Bei Hoeneß ist offensichtlich (im übertragenen Sinne) Letzteres der Fall. Und daher darf er den Thron des „Königs der Scheinheiligen“ postwendend selbst besteigen.

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