Ein Tribunal gegen die Freiheit des Wortes Von Wolfgang Bittner

Ich danke Wolfgang Bittner sehr für die Klarstellung der PEN_Club „Tribunal-Sitzung“, die ich hier zur Zweitveröffenlichung für meine Leser der Hochblauen Seite veröffentliche. Eine wichtige Stimme im Dunkel der vielen „Penner“.

 

Ein Tribunal gegen die Freiheit des Wortes

Das deutsche PEN-Zentrum vor seiner Selbstabschaffung

Von Wolfgang Bittner

 

Das PEN-Zentrum Deutschland ist eine von derzeit weltweit 150 Schriftstellervereinigungen, die im PEN-International zusammengeschlossen sind. Die Bezeichnung PEN steht für Poets, Essayists, Novelists. Vom 12. Bis 15. Mai fand nun in Gotha die Jahrestagung mit der Mitgliederversammlung des deutschen PEN statt. Von den 750 Mitgliedern waren zeitweise etwa 150 anwesend beziehungsweise Online zugeschaltet.

 

PEN-Präsident war seit sieben Monaten der bei der Zeitung Die Welt tätige Journalist Deniz Yücel, der durch seine Inhaftierung in der Türkei bekannt geworden ist. Vor einigen Jahren hatte er geschrieben, das Verschwinden Deutschlands von der Landkarte wäre „Völkersterben von seiner schönsten Seite“. Yücel trat für eine Flugverbotszone in der Ukraine ein, was den Kriegseintritt der NATO und damit einen dritten Weltkrieg bedeuten würde. In dieser Weise hatte er auch als PEN-Präsident Stellung genommen, wozu er nicht befugt war.

 

An einer im Rahmen der Tagung vorgesehenen Podiumsveranstaltung sollte außer Yücel ursprünglich der mit ihm befreundete Blogger Sascha Lobo teilnehmen, der völlig unangefochten von „Lumpen-Pazifisten“ sprach und Mahatma Gandhi als „sagenhafte Knalltüte“ bezeichnete (Ukraine-Krieg: Der deutsche Lumpen-Pazifismus – Kolumne – DER SPIEGEL). Es verdichtete sich der Eindruck, dass sich Yücel als Autokrat und Sittenrichter aufspielte, der andere Menschen maßregelte, diskreditierte und Kritiker oder politisch Andersdenkende meinte bestrafen zu dürfen.

 

Hitzige Auseinandersetzungen auf der PEN-Jahrestagung

 

Schon am ersten Tag der Tagung entwickelten sich heftige Diskussionen um das arrogante, rüpelhafte Benehmen von Deniz Yücel. Unter anderem hatte er die Angestellten des Darmstädter Büros auf anmaßende Weise drangsaliert und Mitglieder diskriminiert. Präsidiumsmitglieder und Angestellte waren von ihm und einem seiner Mitläufer angeschrien worden, und auf ein Präsidiumsmitglied war auf Kosten des PEN eine Anwaltskanzlei angesetzt worden. Gegen mich, als einen seiner Kritiker, richtete sich eine am 6. April 2022 veröffentlichte Pressemitteilung, in der sich das Präsidium wegen meiner politischen Publikationen von mir distanzierte.

 

In dieser über Facebook verbreiteten Pressemitteilung, die sogleich Wikipedia und der TAZ zugespielt wurde, hieß es: „Das Präsidium des deutschen PEN-Zentrums ist entsetzt, dass unser Mitglied Wolfgang Bittner Putins gnadenlosen Angriffskrieg verteidigt und einen ‚irren Propagandafeldzug gegen Russland‘ vermutet hat. Nicht nur angesichts der brutalen Kriegsverbrechen von Butscha finden wir, dass Bittners Verteidigung der russischen Invasion nicht mit der PEN-Charta vereinbar ist, aufgrund derer sich unsere Mitglieder verpflichtet haben, sich ‚mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass‘ einzusetzen. Wir distanzieren uns in aller Form.“ Bezug genommen wurde auf: https://www.nachdenkseiten.de/?p=82640 und https://www.freidenker.org/?p=12356.

 

Inzwischen hatten anlässlich der unglaublichen Vorkommnisse auch zwei Präsidiumsmitglieder gegen die Art und Weise, wie Yücels die Präsidentschaft missbrauchte, protestiert, und waren anberaumten Sitzungen ferngeblieben. Nachdem einige Mitglieder von den Zuständen im PEN-Präsidium erfuhren, sammelten sie Stimmen gegen Yücel und bereiteten einen Antrag auf seine Abwahl auf der bevorstehenden Mitgliederversammlung vor. Daraufhin erhielt einer der Unterzeichner des Antrags auf Betreiben Yücels eine anwaltliche Abmahnung.

 

Um diese Geschehnisse, die öffentlich geworden waren und den PEN in Misskredit gebracht hatten, entwickelte sich auf der Mitgliederversammlung am 13. Mai eine hitzige Diskussion. In deren Verlauf kam es wiederholt zu verbalen Entgleisungen auf beiden Seiten, und die Auseinandersetzungen nahmen geradezu groteske Formen an. Schließlich wurde über den Antrag auf Absetzung Yücels abgestimmt. Erstaunlicherweise konnte er immer noch eine knappe Mehrheit von 75 zu 73 Stimmen auf sich vereinen, trat dann jedoch wüst schimpfend mit den Worten, er wolle nicht „Präsident dieser Bratwurstbude“ sein, zurück und aus dem PEN aus.

 

Welchen Charakters Yücel ist, bewies er eindrucksvoll nach einer Podiumsdiskussion zum Ukraine-Krieg, an der er noch lautstark polemisierend teilgenommen hatte (der Blogger Sascha Lobo war nicht anwesend). Während eines anschließenden Empfangs in der Forschungsbibliothek Gotha schüttete Yücel einem Opponenten unvermittelt den Inhalt eines Weinglases ins Gesicht.

 

Eine „Distanzierung“ wegen unterschiedlicher politischer Ansichten

 

Wegen der „Distanzierung“ des PEN-Präsidiums von mir hatte ich noch vor seiner Abwahl versucht, mit Yücel zu sprechen, war aber auf Arroganz und blanken Hass gestoßen. Daraufhin stellte ich am 14. Mai den Antrag, die Mitgliederversammlung möge das Präsidium – in welcher Zusammensetzung auch immer – auffordern, die Distanzierung von mir öffentlich zurückzunehmen. Der Grund für diesen Antrag war zum einen, dass ich den Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht verteidigt habe, sondern zu erklären versucht hatte, indem ich auf die politische Entwicklung in dem Land und die dortige reale Situation nach dem Regime Change von 2014 eingegangen bin.

 

Zum anderen hatten die Veröffentlichungen der Distanzierung bewirkt, dass aufgrund der Schädigung meiner Reputation Anfragen wegen Vorträgen und Lesungen zurückgezogen worden waren, was auch finanzielle Auswirkungen hatte. Des Weiteren hatte ich die Meinung vertreten, dass das PEN-Präsidium nicht berechtigt ist, sich im Namen des PEN von einem Mitglied aus politischen Gründen zu distanzieren. Übrigens hatte ich von dieser Attacke erst aus der Zeitung erfahren.

 

Wie weit der politische Fanatismus fortgeschritten ist, erlebte ich nach der Veröffentlichung durch das PEN-Restpräsidiums. Tagelang schwappte mir der Schmutz in die Mailbox und in den Briefkasten, darunter übelste Beschimpfungen und sogar Morddrohungen. Da ich mich seit Jahrzehnten „mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass“ und für Frieden einsetze – im Gegensatz beispielsweise von Leuten wie Deniz Yücel –, waren die Angriffe auf meine Integrität nur schwer zu ertragen. Aber in letzter Zeit wird ja vieles umgedreht und umgelogen. Allerdings sollte nicht unerwähnt bleiben, dass es auch viel Zuspruch und Anerkennung meiner Position gab, was immer noch hoffen lässt, dass die Verhältnisse veränderbar sind.

 

Die Freiheit des Wortes

 

Nachdem dann am Nachmittag des 14. Mai ein Vertreter der Yücel-Anhänger etwa zehn Minuten lang aus dem Zusammenhang gerissene Passagen aus meinen Artikeln und Büchern zitieren durfte und mir eine Entgegnung bzw. Richtigstellung (aus Zeitgründen, so hieß es) verwehrt wurde, hatte sich das Meinungsbild verfestigt: Unterstellt wurde, dass ich Russlands Krieg gegen die Ukraine befürworte. Mein Antrag wurde mit 84 zu 15 Stimmen abgelehnt. Mehrere PEN-Mitglieder äußerten zudem die Auffassung, ich müsse aus dem PEN ausgeschlossen werden.

 

Was sich da mit dieser merkwürdigen Präsidentschaft entwickelt hatte, kann im Nachhinein nicht als eine Kleinigkeit abgetan werden, wie offenbar viele Journalisten, die über die Tagung berichtet haben, annehmen. Vielmehr kennzeichnet es klar und deutlich die politisch-gesellschaftliche Situation, in der wir uns in Deutschland befinden. Fanatismus, Denunziation, Zensur und Diskriminierung Andersdenkender greifen mehr und mehr um sich, vergessen sind die Worte von Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden.“

 

Diese Forderung nach der Freiheit auch des Wortes, die in das 1949 erlassenen Grundgesetz unter Artikel 5 als Bürgerrecht aufgenommen wurde, wird ständig lauthals für andere Länder erhoben, während sie in Deutschland schon lange nicht mehr gilt. Ein Tagungsteilnehmer sagte im privaten Gespräch mit Verzweiflung in der Stimme, nach seiner Meinung sei Deutschland nicht nur geoökonomisch, sondern auch zivilisatorisch am Ende.

 

Erstveröffentlichung bei NachDenkSeiten: https://www.nachdenkseiten.de/?p=83949

 

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. Von ihm erschienen 2014 „Die Eroberung Europas durch die USA“, 2019 „Die Heimat, der Krieg und der Goldene Westen“ sowie „Der neue West-Ost-Konflikt“ und 2021 „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“.

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