Interview mit der TAZ: „Verbale Diffamierungen“

Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Heinz Galinski, verteidigt die Waldorfschulen gegen den Verdacht des Antisemitismus

taz: Frau Hecht-Galinski, Sie waren selbst Waldorfschülerin in Berlin. Wie sind Ihre Erfahrungen aus dieser Zeit? Können Sie sich an antisemitische Vorkommnisse erinnern, oder wurden Sie als Jüdin irgendwie diskriminiert?

Evelyn Hecht-Galinski: Ich habe nur die besten Erinnerungen an meine Schulzeit in der Waldorfschule. Niemals wurde ich als jüdische Schülerin anders behandelt als meine Mitschüler. Auch ausländische Kinder in meiner Klasse wurden nie diskriminiert. Im Gegenteil, es wurde großer Wert darauf gelegt, dass ich den jüdischen Religionsunterrricht in der Jüdischen Gemeinde besuchen konnte. Man war auch interessiert an jüdischen Riten und Feiertagen. Genauso interessierte auch ich mich immer schon für andere Konfessionen und Bräuche. Dieses tolerante Miteinander fördert die Waldorfpädagogik. Gerade deshalb hat mich mein Vater auch sehr bewusst auf die Waldorfschule geschickt.

Haben Sie sich nach der Schulzeit mit der Anthroposophie beschäftigt? Sind Sie selbst Anthroposophin?

Ich kann nur sagen: Während meiner Schulzeit habe ich sehr wenig mit Anthroposophie zu tun gehabt, denn im Unterricht wird sie ja nicht vermittelt.

Dies steht ganz im Gegensatz zu dem, was unwissende Leute jetzt in den Medien darstellen. Da wird nämlich so getan, als ob auf der Waldorfschule anthroposophieverseuchte Rassisten erzogen würden! Dagegen verwahre ich mich ganz entschieden!

Nach meiner Schulzeit habe ich mich auch nicht mit der Anthroposophie beschäftigt. Mir hat nur immer die Farbenlehre gut gefallen, die mir später beruflich in unserer Textilfirma sehr hilfreich war. Außerdem mag ich den biologisch-dynamischen Landbau von Demeter sehr gerne. All diese Sachen sind ja erst heute zu ihrer Blüte gekommen. Aber um diese gut zu finden, muss man ja keine Anthroposophin sein. Auch die Esoterik liegt mir völlig fern.

Wie weit sind Sie mit der Jüdischen Gemeinde oder dem Judentum verbunden, und gibt es nach Ihrer Erfahrung grundsätzlich negative Einstellungen den Waldorfschulen gegenüber?

Ich bin erziehungsmäßig und traditionell mit dem Judentum verbunden, aber nicht im religiösen Sinne. Nach meinen Erfahrungen gibt es keine negativen Einstellungen der Juden der Anthroposophie gegenüber. Während der Amtszeit meines Vaters als Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland jedenfalls nie.

Insofern haben mich die pauschalen und unbewiesenen Äußerungen des derzeitigen Vorsitzenden Paul Spiegel im Interview des SWR verwundert. Es gab ja diese „Report“-Sendung, und auch die Allgemeine Jüdische Wochenzeitung hat in der Ausgabe vom 30. März dieses Jahres einen negativen Artikel über die Waldorfschulen veröffentlicht, der die Vorwürfe der Fernsehsendung wiederholt, sie jedoch auch nicht belegt.

Wie ist Ihre Auffassung dazu?

Nach der „Report“-Sendung aus Mainz vom 28. Februar war ich so entsetzt über diese gezielten Diffamierungen und unbewiesenen Behauptungen, auch noch mit anonymen Äußerungen! Durch die Telefonate mit Herrn Friedler von „Report“ Mainz [ARD-Fernsehen], Mariette Schäfer, einer unter Pseudonym schreibenden Journalistin und Verfasserin des schlecht und falsch recherchierten Artikels in der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung, und Herrn Klaus Werry, der im Deutschlandfunk Köln einen hasserfüllten Kommentar zum 75. Todestag Rudolf Steiners gesprochen hatte, habe ich erst den unvorstellbaren Hass – für mich überhaupt nicht nachvollziehbar – zu spüren bekommen.

Mit diesen Leuten ist überhaupt keine normale Diskussion möglich, da sie nur verbale Diffamierungen loslassen.

Wie kamen Sie auf die Idee, mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit zu treten?

Weil ich diese Angriffe diffamierend und ohne konkrete Beweise fand und weil ich von meinem Vater so erzogen worden bin, zu solchem Unrecht nicht zu schweigen.

Hat Ihr Aufruf bereits Wirkung gezeitigt?

Glücklicherweise ja! Ich bekomme täglich Briefe von jüdischer und nichtjüdischer Seite. Die Leute berichten mir von ihren guten Erfahrungen und sind genau wie ich entsetzt. Erstaunlicherweise sind bisher keine anonymen oder negativen Briefe dabei gewesen. Die Menschen, die mir schreiben, haben es nicht nötig, ihre Namen geheim zu halten. Das hat mich sehr ermutigt und bestärkt, weiterzumachen.

Interview: ACHIM HELLMICH in der TAZ vom 13.05.2000

 

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