Judith Butler „Am Scheideweg-Judentum und die Kritik am Zionismus“ Buchbesprechung von Fariss Wogatzki

Judith Butler „Am Scheideweg – Judentum und die Kritik am Zionismus“

Buchbesprechung von Fariss Wogatzki 

Nachdenken, und am meisten über das, woran am meisten gelegen ist.“, lautet es bei Gracian.[1] Die jüdisch-US-amerikanische Philosophin Judith Butler hat mit ihrem Buch „Am Scheideweg – Judentum und die Kritik am Zionismus“, erschienen im Campus Verlag, dieses Nachdenken vortrefflich getan.

Der Staat Israel, und den ihm ausmachenden Zionismus, wird in Deutschland als Freund der Deutschen gehandelt, indes überlegt sein muss: Freunde erweisen Freundschaft. Und wie die bemerkenswerte Philosophin und philologische Wissenschaftlerin mit Weltrang in ihrer vorliegenden wertvollen Arbeit einleitend sagt, „es wäre schon eine schmerzliche Ironie, wenn der jüdische Kampf um Gerechtigkeit als antijüdisch hingestellt würde.“, gemahnt schon die Geschichte Jesu selbst an den jüdischen Kampf!

Die bewundernswerte Wissenschaftlerin hat ein einfühlsames, in seiner Logik kristallklares Werk vorgelegt, dessen Kern die Ethik des Menschen; ja des Seins selbst ist. Einleitend heißt es, und darin ermisst sich die geistige praktische Handlung, die die Autorin darlegt: „Solange der Zionismus über die Bedeutung des Jüdischseins bestimmt, kann es keine jüdische Kritik an Israel und keine Anerkennung derjenigen geben, die jüdischer Herkunft oder jüdischer Prägung sind“ ist der Zionismus, als Physis „Israel“, welches die Beanspruchung erhebt, Vertreter des Judentums zu sein, der Antisemitismus durch den selbsternannten Vertreter der Juden erst gegeben.

Prof. Butler hat ein grandioses, wunderbares, kulturell, ganzheitlich hervorragendes Geisteswerk vorgelegt, dessen Kraft in seiner Klarheit liegt. Sie belegt in der zum Nachdenken auffordernden Arbeit die zionistische „gewaltsame Hegemonialstruktur“ und ruft auf, sich gegen den Zionismus zu wehren, ja „man muss sich auch gegen die koloniale Unterdrückung wehren, die der Zionismus dem palästinensischen Volk gebracht hat.“ Wenn der Zionismus seinen hedonistischen Trieb, die mit militaristischen Handlungen einhergehen, solche als „Grundsätze aus jüdischen Quellen hergeleitet werden“, das Judentum „zur privilegierten kulturellen Ressource wird“, zeigen sich „ganz besonders widersprüchliche und unannehmbare Folgen“. Dass der Zionismus die Entsagung tradierter, eben auch jüdischer Werte ist und erst durch die Verneinung jüdischer Rechtschaffenheit die jüdische Selbstauslöschung forciert.

Am Scheideweg“ stellt ein Hochwerk tiefgreifender philosophischer Denkarbeit dar, dessen Wert in seiner Beweislast unumkehrbar ist. Durch Zionismus wird Judentum zu einem Prädikat entwürdigt, welches historisch, von Jesus bis in die Gegenwart, die Verleumdungen jüdischer Intellektueller, Friedensaktivisten, Kunst- und Kulturschaffende eine äußert unethische Haltung darstellt. Diese geht einher mit Nationalismus, Revanchismus als auch die Transposition, das heißt, die umdeutende Übertragung, die „Welten entfernt“ ist, von dem, was die Geschichte der Menschheit vorlegt zu erfahren.

Um effektiv zu sein, muss eine Überlieferung sich von den besonderen historischen Umständen ihrer Legitimation lösen und ihre Anwendbarkeit auf neue zeitliche und räumliche Gegebenheiten unter Beweis stellen“, lautet es einleitend. Das mag erst einmal eine schwer zu erfassende Aussage darstellen, die aber folgend aufgelöst ist in der Beweisführung: „Sobald Ethik nicht mehr ausschließlich als Disposition oder Handlung eines Subjekts begriffen wird, sondern als relationale Praxis in Erwiderung auf eine Pflicht, die ihren Ursprung außerhalb des Subjekts hat, stellt die Ethik Konzeptionen des souveränen Subjekts und der Selbstidentität infrage. Interessenethik, wie sie in Deutschland bei „Israel“ praktiziert wird, ist keine Ethik der Begriffsbestimmung nach.

Judith Butler hat einen, vielleicht sogar den essentiellen Rahmen des Seins als Solchen punktgenau erfasst, denn: Das Ich erkennt erst im Nicht-Ich sein Sein. Die erschütternde Tatsache, für den zionistischen Staat Israel bedeutet nach der Heiligen Schrift sowohl: „Wer Gewalt und Unrecht tut, muß zuletzt zum Bettler werden: und wer stolz ist, kommt zuletzt von Haus und Hof.“ (Sirach 21, 5), als auch, dass ein „Aspekt der ethischen Reflexion“ dem Zionismus in Form der Physis „Israel“ nicht innewohnend ist. Der bundesdeutsche Support von Israels Unrecht ist als Unrecht eins. Der Leser muss sich nicht, kann sich aber sehr wohl denken: Haus und Hof ist der Name Palästina! Doch erst durch das Fehlen ethischer Reflexion ist die Bezüglichkeit „Israel“ sei jüdisch unter Auffahren immenser staatlich-zionistischer Manipulation haltbar. Indes den Rückbezug auf den Holocaust „muss man sich aber schon als adressierbar begreifen“, was nun wieder beim unethischen Verhalten wie die Gewalthandlungen Israels nur noch als obszön übernervtes Zweckmittel herzuhalten hat.

Butler hat hier kein leichtes, denn ein Schwergewicht an Kultur- und Bildungsarbeit geschaffen, von dem Denkwillige begeistert sein werden; und das bereits innerhalb der ersten Seiten. Denn „die Kontinuität erleidet einen Bruch“, wenn der Zionismus, besonders destruktiv in Deutschland, Rückgriff auf den Holocaust nimmt, und diesen durch fürchterlichste Gewaltakte gegen Palästina und von Ethik entsagte Handlungen zur Rechtfertigung seiner Selbst, erschwerend in der Demaskierung als „jüdische Werte“, vorführt. Die Wiederholung des durch den Zionismus geforderten Antisemitismus kommt nirgends deutlicher zum Vorschein. Der Holocaust oder auch Shoah -“Rezeptivität ist immer eine Frage der Übersetzung, eine psychoanalytische Einsicht. […] Mit anderen Worten: Ohne Übersetzung kann ich keine Forderung und erst recht kein Gebot aus einem historischen Anderswo empfangen…“. Und darin liegt „des Pudels Kern“! Die Doublebind-Falle wie sie der Zionismus durch die Aneignung der jüdischen Geschichte geschickt nutzt, zeigt die Wissenschaftlerin auf, dass aber auch erst durch die geistig-psychologische Erpressung, die Ausweglosigkeit den Eintritt in die Wiederholung von Massenmord ermöglicht. Und das bereits 1948, was allerdings ausgeblendet und durch Shoah als Singularität zementiert wurde. Erst durch Verzicht, in Deutschland des Verbots des Hinterfragens „Israels“ als Gesamtkonstrukt, ist der Zionismus als Ideologie existenzfähig.

Das brillante an Butlers Buch ist, es ist ein in sich schlüssiges ethisches Werk von ganzheitlicher Bedeutung. „Die Grenzen des Wissbaren werden aber von Machtregimes festgelegt“, und Butlers Buch gibt den Weg zum Wissbaren frei. Das ist die Brillanz des Buches! Diejenigen, die sich ernsthaft mit dem Zionismus, mehr auch dessen desaströsen Folgen im Besonderen im Nahen Osten, an schlimmster und gegen das palästinensische Volk beschäftigen, sehen die Katastrophe blank vor Augen.

Dass die Instrumentalisierung des deutsch-faschistischen Massenmords an Juden aus ganz Europa bis weit in die Sowjetunion hinein, durch den Zionismus in frappierender Form missbraucht wird, eben auch dem religiösen und kulturellen Judentum hierdurch Unrecht widerfährt. Dass der Zionismus durch den Missbrauch des Judentums, die in sich bestehenden Widerspruch trefflich zu nutzen weiß, dass gleichsam durch die irrige Behauptung einer Singularität diese durch sich selbst aufgehoben wird.

Mit einer auf 276 Seiten gefolgten logischen Klarheit und vollendeten Sprache, geht die Philosophin den Weg traditionell vorzüglicher Aufklärung, eben auch jüdischer Autoren, deren Namen aufgrund des gefährlichen philosemitischen Antisemitismus, in Deutschland unter Bildungsbann stehen. So sind Spinozas Worte treffender denn je: “Was ist Vernunft? Der Wahnsinn aller. Was ist Wahnsinn? Die Vernunft des einzelnen. Was nennt ihr Wahrheit? Die Täuschung, die Jahrhunderte alt geworden. Was Täuschung? Die Wahrheit, die nur eine Minute gelebt.”

Judith Butler:
Die Vorstellung, eine gewaltsame Enteignung anderer könne rechtmäßig die eigene Enteignung kompensieren, kann für sich keinerlei legitime ethische oder rechtliche Begründung in Anspruch nehmen. Wer indes das jüdische Rückkehrrecht als biblisch verstanden, müssen wir uns in jedem Fall gegen die Inanspruchnahme der Religion zur Rechtfertigung international geächteter Verbrechen der Enteignung der Palästinenser zur Wehr setzen.“

In dieser sonnenklaren Feststellung zeigt sich Butlers ethische Festigkeit, Klarheit und die Pflicht zum Handeln! Denn wie oben erwähnt, erkenne ich doch erst mein Sein als Mensch, nicht im Spiegel, sondern in der Anerkennung des Menschen mir gegenüber; dies schließt Nationalismus, Militarismus, Auserwähltheitsansprüche aus. Folgerichtig, nicht der Deutsche, nicht der Franzose, nicht der Israeli sagt dem Menschen, dass der Mensch Mensch ist, denn der Mensch. Butlers Buch ist als universelle Argumentation im vernunftorientierten Denken unverzichtbar, da es Menschsein als universell und logische Ausrichtung allen Denkens begreift. Frei von Geschichtsaneignung, frei von Ideologie, frei von ethnischer Besonderheit.

Das auszeichnende Merkmal des Buches ist, dass Butlers Vernunftdenken zum kollektiven Rückhalt auffordert! Die Kritik ist gerechtfertigt gegenüber den „Doppelpositionen“, die Doppelstandards zu „Israel“. –darin sich die allein auf Täuschung und Ausweglosigkeit hinauslaufende Doublebind-Falle zeigt. Eine erfassbare Lehre aus dem deutsch-faschistischen Massenmord ist dann untersagt, wenn dieser „zur ausschließlich jüdischen Tragödie“ reduziert wird, dadie westliche Erinnerung an die Konzentrations- und Vernichtungslager […] sich fast gänzlich aller anderen Opfer.” entledigt. [2] Handeln Menschen nach erfassbarer Einsicht aus den Lehren der deutsch-faschistischen Verbrechen, lehnen sie folgerichtig Israels Verbrechen ab. Hieraus wird den Einsichtigen indes der Doublebind-Strick gedreht. Wer die israelischen Verbrechen und Mord an Palästinenser ausspricht, sich gegen diese auflehnt, wird zum „Relativierer“, als berechtigter Antizionist in diffamierender Absicht des Antisemitismus beschuldigt. Der Psychologe Paul Watzlawik gibt zur Doublebind-Falle ein treffendes Beispiel: Eine Mutter schenkt ihrem Sohn zwei identische Hemden. Am nächsten Tag zieht der Sohn das eine Hemd an, worauf die Mutter sagt: Aha, das andere Hemd gefällt dir also nicht.

Dass die Autorin eternalistische Werte betont ist wohltuend, wichtig und darin liegt die Aufforderung. Denn durch Sonderwerte (Wertedemokratie, westliche Werte, sog. „jüdische Werte“ aka israelische Werte, Interessen Deutschlands, Interessen unserer Partner) und Räsonzwang wird dem Menschen das durch sein Sein bestehende Recht und seine Pflicht entwendet, gegen Unrecht nicht zu schweigen. Hier liegt ein ausgezeichnetes Buch vor, das auch die Behauptung, die als Mythos in das Geschichtsnarrativ zu Israel eingepflegt wurde, dass „der Völkermord der Nazis an den Juden habe zur Gründung des Staates Israel geführt, und zwar auf der Basis jüdischer Souveränität“, nicht belegt ist; und nie belegt werden kann.

Dieses Buch ist um Dekaden ausgezeichnet, denn zeigt es in Anerkennung, dass die israelische Staatsgründung nur durch den eingeleiteten Völkermord an den Palästinensern ermöglicht wurde. Und es beschäftigt sich mit der Behauptung, dass die Staatsgründung „Israels“ ausschließlich auf dem Territorium von Palästina legitim gewesen sei, und nirgends anders, die sich aufzwingende Logik dem Menschen indes fragt: Warum?

Das vorliegende Werk, erschienen im Campus Verlag, geht vielen Fragen nach. Von messianischen Politik über Judentum und seinem Gegenteil Zionismus, Arendts Kritik am Nationalstaat, bis hin zu Edward Said und Mahmoud Darwish. Das Buch zeigt Humanismus und die internationalistische Tradition von Bildung und Aufklärung. Hier liegt die Gemeinsamkeit der Menschheit; Wissen und Erkenntnis. Judith Butler folgt ihnen.

 

Eine Buchbesprechung von Fariss Wogatzki; Autor von >>Möge keiner sagen, er hätte es nicht gewusst!<< mit einem Vorwort von Evelyn Hecht-Galinski (Zambon Verlag 2017/2018) 

Fußnoten:
[1] Baltasar Gracián (span. Philosoph und Moraltheologe mit Publikationsverbot)
[2] zit.: Shlomo Sand

   

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