Konfrontation statt Annäherung von Rainer Werning

Ich danke Rainer Werning sehr, für die Genehmigung seine neuen Artikel, Erstveröffentlichung in der jungen welt.de, 15.und 20.Septembert zur Zweitveröffentlichung auf der Hochblauen Seite. Evelyn Hecht-Galinski
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15. September 2022

US-Imperialismus

Atomares Faustpfand

Nordkoreas Staatschef Kim Jong Un bekräftigt den Status seines Landes als neunter Atommacht
Von Rainer Werning
15. September 2022

Chuseok, das traditionelle Erntedankfest in Korea, das in diesem Jahr am vergangenen Wochenende in Familienkreisen feierlich begangen wurde, war mal wieder von schrillen Tönen diesseits wie jenseits des 38. Breitengrads begleitet. In Südkorea (Republik Korea, ROK) hatten wenige Tage zuvor die seit Jahren größten Militärmanöver mit US-amerikanischen Streitkräften stattgefunden, in deren Verlauf ein Angriff auf den Norden simuliert wurde. In Nordkorea (Demokratische Volksrepublik Korea, DVRK) erklärte derweil deren Staatschef Kim Jong Un am 8. September laut der amtlichen Koreanischen Zentralen Nachrichtenagentur (KCNA) in seiner Rede auf der Sitzung der Obersten Volksversammlung, des nordkoreanischen Parlaments: »Das Ziel der Vereinigten Staaten ist nicht nur die Beseitigung unserer Atomwaffen, sondern letztlich auch der Sturz unserer Regierung, indem sie (Nordkorea) zwingen, die Atomwaffen abzuschaffen und die Macht zur Selbstverteidigung aufzugeben oder zu schwächen.«

Seit ihrem Amtsantritt im Mai hat die neue konservative südkoreanische Regierung unter Präsident Yoon Suk Yeol erklärt, dass sie eine härtere Gangart gegenüber Pjöngjang einschlagen werde. Am Freitag werden südkoreanische und US-Beamte in Washington »umfassende Maßnahmen« zur »Abschreckung« Nordkoreas erörtern, wie Seoul am Donnerstag laut der Nachrichtenagentur Reuters erklärte.

Pjöngjang verschärfte seinerseits den Ton im Zuge der jüngsten gemeinsamen elftägigen Militärmanöver der USA und Südkoreas. Vor allem zeigt sich Nordkorea enttäuscht über die Nukleargespräche mit den USA, die seit dem zweiten Gipfeltreffen zwischen dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump und Kim Jong Un im Februar 2019 in der vietnamesischen Hauptstadt Hanoi ohne eine Einigung endeten. Maßgeblicher Architekt des Scheiterns war seinerzeit Trumps nationaler Sicherheitsberater John Bolton, der immer neue Forderungen nachschob, was für die nordkoreanische Seite unannehmbar war.

Das Land arbeitet bereits seit Jahren daran, ein »größtmögliches Abschreckungspotential« aufzubauen, um sich gegen die USA zu wappnen. Washington hat im Zuge mehrerer entfesselter Kriege im Mittleren und Nahen Osten unter Beweis gestellt, wie wenig es sich letztlich um einmal getroffene – auch schriftlich fixierte – Vereinbarungen schert.

»Solange Atomwaffen auf der Erde verbleiben, der Imperialismus fortbesteht und die Manöver der Vereinigten Staaten und ihrer Anhänger gegen unsere Republik nicht beendet sind, werden wir unsere Arbeit zur Stärkung der Atomkraft nicht einstellen«, hatte Staatschef Kim in seiner Rede am 8. September erklärt und damit den Status der DVRK als Atomwaffenstaat als »irreversibel« eingestuft. KCNA zufolge segnete die Oberste Volksversammlung am selben Tag ein entsprechendes Gesetz ab, wonach die DVRK einen nuklearen Präventivschlag ausführen kann, wenn festgestellt wird, dass ein Angriff jeglicher Art auf die nordkoreanische Führung und die Führungsorganisation der eigenen Atomstreitkräfte unmittelbar bevorsteht. Weitere sogenannte Denuklearisierungsverhandlungen werde es fortan nicht geben. »Wir werden unsere Atomwaffen niemals aufgegeben«, hatte Kim weiter erklärt, »selbst wenn das Land 100 Jahre lang mit Sanktionen belegt würde.«

Die beiden Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, die USA und die Sowjetunion, hatten Korea entlang des 38. Breitengrads geteilt. Am 15. August 1948 verkündete Südkorea seine Unabhängigkeit, der Norden kurz darauf am 9. September 1948. Der anschließende Koreakrieg (1950–53), der als Bruderkrieg um die politisch-ideologische Vormachtstellung auf der Halbinsel begann, wurde von den USA internationalisiert und hinterließ einen riesigen Trümmerhaufen mit insgesamt weit mehr als vier Millionen Toten. Seitdem durchzieht die Halbinsel eine über 240 Kilometer lange demilitarisierte Zone, die die weltweit undurchlässigste, bestbewachte und höchstmilitarisierte Region darstellt.

 

Südkoreanische »F-15«-Kampfjets auf einem nicht identifizierten Luftwaffenstützpunkt (24.5.2022)

Geteilte Halbinsel: Konfrontation statt Annäherung

Washington und Seoul wollen Nordkorea „abschrecken“. Diplomatie findet nur auf der innerkoreanischen Ebene zu getrennten Familien statt.

Geteilte Halbinsel

Konfrontation statt Annäherung

Washington und Seoul wollen Nordkorea »abschrecken«. Diplomatie in bezug auf getrennte Familien
Von Rainer Werning

20. September 2022

 
Südkoreanische »F-15«-Kampfjets auf einem nicht identifizierten Luftwaffenstützpunkt (24.5.2022)

Das Verhältnis zwischen Seoul und Pjöngjang ist von einem stetigen Auf und Ab gekennzeichnet. Seitdem Südkorea (Republik Korea, englisch ROK) am 15. August 1948 seine Unabhängigkeit proklamierte und sich im Gegenzug Nordkorea (Demokratische Volksrepublik Korea, DVRK) am 9. September desselben Jahres als unabhängige Volksrepublik konstituierte, wurden Phasen gegenseitiger wüster Beschimpfungen kurzzeitig überlagert von vielversprechenden Annäherungen, um schon bald wieder Tiefpunkte gegenseitiger Entfremdung zu erreichen. Das entscheidende Hindernis auf dem Wege eines zumindest geregelten Miteinanders bleibt bis dato die Präsenz von momentan 28.500 US-Soldaten auf der Halbinsel. Ein Zustand, der von Washington gewollt ist und von den politischen Eliten in Seoul als »Schutzschild« gewünscht bleibt.

Kein Wunder, dass die Regierungen in Pjöngjang – mittlerweile in dritter Generation von der Kim-Familie politisch dominiert – gegen die fortgesetzte US-Präsenz im Süden der Halbinsel Sturm laufen und vor allem die wiederbelebten gemeinsamen Militärmanöver aufs schärfste kritisieren. Diese sind darauf gerichtet, einen »Enthauptungsschlag« gegen die nordkoreanischen Kommandozentralen zu simulieren. Während Südkoreas neuer konservativer Präsident Yoon Suk-Yeol im Wahlkampf dieses Frühjahr der DVRK mit einem »Präventivschlag« gedroht hatte, verabschiedete das nordkoreanische Parlament, die Oberste Volksversammlung, am 8. September Leitlinien für eine neue Atomwaffenpolitik »von großer Bedeutung«. Für Nordkoreas Staatschef Kim Jong-Un gilt das Land fortan als (neunte) Atommacht, womit Denuklearisierungsverhandlungen hinfällig geworden seien.

Am Freitag verurteilten die USA und Südkorea im Rahmen der bilateralen »Erweiterten Strategie- und Konsultationsgruppe für Abschreckung« (Extended Deterrence Strategy and Consultation Group) in Washington Nordkoreas neue Nukleardoktrin als »eskalierend und destabilisierend«. In einer gemeinsamen Erklärung nach dem Treffen bekräftigte Washington seine »eiserne« Verpflichtung, Seoul beizustehen und auf jeden nordkoreanischen Atomangriff mit einer »überwältigenden und entschiedenen Antwort« zu reagieren. Die USA hätten sich verpflichtet, »weiterhin strategische Mittel in der Region rechtzeitig und effektiv einzusetzen und zu üben, um die DVRK abzuschrecken«. So mit der gemeinsamen Ausbildung an F-35-Kampfjets im Juli und mit dem am Montag angekündigten Einsatz des US-Flugzeugträgers »USS Ronald Reagan« – der erste seit 2018, als die USA und die ROK viele ihrer gemeinsamen militärischen Aktivitäten im Zuge der diplomatischen Bemühungen um eine Annäherung an Pjöngjang ausgesetzt hatten.

Doch auch auf der Koreanischen Halbinsel gilt: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Fast zeitgleich mit der Entscheidung der Obersten Volksversammlung in Pjöngjang machte sich Südkoreas Vereinigungsminister Kwon Young-Se während einer improvisierten Pressekonferenz im Regierungskomplex in Seoul für die Wiederaufnahme von Treffen zur Wiedervereinigung getrennter Familien stark. Laut der südkoreanischen Agentur Yonhap schlug Kwon vor, dass sich Beamte der beiden Koreas so bald wie möglich zusammensetzen sollten, um »grundlegende Lösungen« für die seit dem Koreakrieg (1950–1953) getrennten Familien zu finden. Wie solche »grundlegenden Lösungen« aussehen könnten, ließ der Minister allerdings offen.

In der Vergangenheit hat es zwar staatlich streng regulierte Treffen gegeben, auf denen sich getrennte Familienangehörige aus Süd- und Nordkorea wiedersehen konnten. Allerdings handelte es sich dabei um jeweils kurze Veranstaltungen mit Symbolcharakter. Im August dieses Jahres lebten knapp 43.800 Menschen in den beiden koreanischen Staaten getrennt von ihren Angehörigen. Das sind rund 4.000 weniger als im vergangenen Jahr.

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