Kurt O. Wyss: Die gewaltsame amerikanisch-israelische „Neuordnung“ des Vorderen Orients Buchbesprechung von Evelyn Hecht-Galinski

Kurt O. Wyss: Die gewaltsame amerikanisch-israelische „Neuordnung“ des Vorderen Orients

Aufklärung ohne Tabus

Buchbesprechung von Evelyn Hecht-Galinski

 

Ich bin sehr dankbar dafür, dass mich ein befreundeter Kinderarzt aus der Schweiz auf das neu erschienene Buch von Kurt O. Wyss aufmerksam machte. Der leider viel zu früh, im Jahr 2019, verstorbene ehemalige Schweizer Diplomat Kurt O. Wyss war ein bewunderungswürdiger Mann, dessen Lebenswerk unvergessen ist und dank seiner drei Bücher für immer ein Vermächtnis der besonderen Art bleibt. 32 Jahre lang war Kurt O. Wyss als Diplomat tätig, davon 17 Jahre in vielen der Staaten und Krisenherden, über die er so kenntnisreich schreibt. Es ist ein Glücksfall, dass es seiner Witwe und vielen Freunden und Helfern gelang, aus unzähligen Manuskripten dieses hervorragende Buch zu machen. Ebenso konnte diesem Buch nichts Besseres passieren, als dass Karin Leukefeld, eine der in Deutschland bekanntesten und hervorragenden Nahostexpertinnen und ehemalige Korrespondentin für verschiedene Zeitungen, das Vorwort schrieb.

 

Unbeirrt gegen alle Widerstände auf dem Weg der Wahrheit

 

Ganz besonders faszinierte mich an Kurt O. Wyss und diesem Buch, dass er sich nicht scheute, nach seinem Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst einen Strich zu ziehen unter die wahrlich erfolgreiche Karriere und sich der Wahrheit zu stellen und die Institution zu kritisieren, für die er Jahrzehnte im Auslandseinsatz war. Soviel Klarheit und Mut fehlt so vielen Menschen, besonders wenn sie sich in gehobenen Positionen befinden. Vor allem angesichts der Tatsache, dass er (wie üblich) nach Erscheinen seines zweiten Buchs 2013 über Israel/Palästina mit dem Titel “Wir haben nur dieses Land- Der Israel-Palästinenser-Streit als Mutter aller Nahostkonflikte.“ als feindselig gegenüber Israel angegriffen wurde. Es ist als Glücksfall für uns alle zu bezeichnen, dass ihn die Angriffe nur noch mehr darin bestärkten, an diesem Thema „dran zu bleiben“ und unbeirrt gegen alle Widerstände seinen Weg der Wahrheit und des Anstands fortzusetzen.

 

Alles was von ihm in dem neuen Buch beschrieben wird, spricht mir aus dem Herzen und lässt in seiner Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Obwohl das Manuskript im November 2018 beendet wurde, hat es nichts an seiner Aktualität eingebüßt, im Gegenteil es wirkt so, als ob es gerade beendet worden wäre.

 

Erleben wir aktuell nicht dank westlicher heuchlerischer US- und Nato fehlgeleiteter „Wertepolitik“, dass in unserer Welt zerstörerisches Chaos um sich greift und wir zu einem globalen Spielball dieser USA werden?

 

Was nach 9/11 als „Anti-Terrorkrieg“ begann, war ein Krieg gegen die Muslime und traf in besonderer Weise gerade auch Palästina. Der Irakkrieg, der Afghanistankrieg, alles Kriege unter „falscher Flagge“, um unsere „Freiheit“ zu verteidigen, während die Freiheit Palästinas bis heute ein frommer Wunsch bleibt.

 

Meisterhaft und spannend aufgezeichnet

 

Im Zuge der US-Machtpolitik stolperten wir von Krieg zu Krieg und von „Regime Change“ zu „Regime Change“, alles von gefährlichen und rücksichtslosen „Denkfabriken“ in Jahrzehnten vorbereitet. All das hat Wyss vorausgesehen und meisterhaft und spannend aufgezeichnet. Die vorausgeplante Zerstörung, die Abhängigkeit, dieser permanente Kriegszustand zum eigenen Machterhalt ist so wuchtig zusammengefasst, dass dem Leser manchmal der Atem stockt. Seine Konklusion, dass endlich mehr Druck auf das immer mehr im Rechtsextremismus versinkende Israel ausgeübt werden muss, ohne Scheu und frei von Nazizeit und Holocaust, ist für mich ein MUSS. Wie lange schon kämpfe auch ich für dieses Anliegen. Tatsächlich sieht die Gegenwart düster aus; die jüdischen Extremisten und die illegale Siedlungs- und Judaisierungspolitik wird immer drastischer und unter dem neuen „Bennet-Regime“ immer ungezügelter in seiner Brutalität. Auch wenn der Autor diese Entwicklung nicht mehr erleben konnte, zeigt die Wucht seiner Fakten schon genau den Weg zu diesem Ziel.

 

Ja, auch mir erscheint es fast unwirklich, dass ein so kleiner „jüdischer Staat“ es geschafft hat, sich seit seiner Gründung mit massivster Lobbyarbeit und „christlichem“ Beistand die Unterstützung der USA zu sichern, als Bollwerk gegen Muslime, also „Terroristen“, mit der „Judaisierung“ des  Landes auf einem Weg in ein „Groß-Israel“. Alles das hat der Autor in diesem Buch grandios, mit der Kritik an der aggressiven westlichen Interventionspolitik unter Führung der USA und Israels im Nahen und Mittleren Osten beschrieben.

 

Ich möchte noch weitergehen, denn ich bin angesichts der brutalen Propagandapolitik fassungslos über die Wellen der Falschinformationen und Einseitigkeit der Berichterstattung über die „Ukraine-Krise“, die uns aktuell überschwemmen. Das gefährliche daran ist, dass diese uns an die Schwelle zu einem Dritten Weltkrieg spülen könnte. Genauso einseitig wird uns der „jüdische Staat“ als angegriffenes Opfer präsentiert, den wir bedingungslos zu unterstützen haben in seinem „Überlebenskampf“ und um sein „Existenzrecht“. Dies zudem noch unter Bezug auf den Holocaust ist schon ein propagandistisches Meisterstück.

 

Was wir jetzt allerdings als Steigerung erleben, hätte auch ich mir so nicht vorgestellt. Nach einer US-Nato Politik, die Russland mit allen Mitteln in die Knie und zum Bruch mit der EU und speziell Deutschland durchführten, ist unfassbar. Wir erleben, dass die Ukraine als hilflos und unschuldig dem „Aggressor Russland“ ausgeliefert ist, und mit allen Mitteln und Waffen unterstützt werden muss. Mit willigen Helfern aus verschiedenen Ost-Staaten und wie zu erwarten, dem Baltikum.

 

Allerdings bin ich von Deutschland in puncto einseitiger Israel-Politik schon viel gewöhnt an Ungerechtigkeit, falsch verstandenem Philosemitismus mit dem Bezug auf die Vergangenheit. Aber was aktuell geschieht, ist so unglaublich, dass ich meine, dass man dazu nicht mehr schweigen darf.

 

Schändlich, Herr Scholz!

 

Da saß kürzlich der SPD-Kanzler bei seinem Israel-Antrittsbesuch einträchtig neben dem „Kollegen“ Bennett, der eine rechtsextreme ethnische Säuberungs- und Besatzungspolitik verfolgt, die eindeutig jeder „Wertepolitik“ widerspricht und nur ein Ziel verfolgt, nämlich die Judaisierung von Palästina.

 

Und in der ARD Sendung „Anne Will“ vom 27. März 2022 saß dieser Kanzler nur 77 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee und mit von Deutschen verantworteten unvergessenen 27 Millionen Kriegstoten und droht Russland und seinem Präsidenten Putin. Sein Satz „Wage es nicht“ ließ mich erstarren! Schändlich! Scholz scheint zu verdrängen, dass jeder Krieg eine „Vorgeschichte“ hat, und dieser gegen die Ukraine ja eine ganz „besondere“.

 

Scholz kündigte eine deutliche Aufrüstung an und verweist darauf, dass sich Deutschland entlang der Linie bewege, die auch mit den USA vereinbart sei. Bei der eigenen Verteidigungsstrategie bestätigt er Überlegungen der Bundesregierung, das israelische Raketenabwehrsystem „Iron Dome“ und „Iron Arrow“ anzuschaffen. Demnächst wird eine hochrangige Delegation von Verteidigungspolitikern nach Israel reisen. Und Andreas Schwarz (SPD), maßgeblicher Politiker im Haushaltsausschuss und für den Verteidigungsetat zuständig, kann sich vorstellen, dass wir den „2 Milliarden schweren“ „Iron Dome“-„Iron-Arrow“ auch über unsere Nachbarländer spannen“ Man möchte sich also mit einem „Schutzschild aus dem jüdischen Staat“ gegen die (eingebildete) „Bedrohung durch Russland“ schützen. Das wäre nur ein weiteres Desaster auf dem Weg der verpfuschten Israel-Palästina-Politik. Dumm nur, dass es keinen Schutz gibt gegen Hyperschallwaffen wie die russische Super Rakete „Awangard“.

 

Beklemmend in seiner umwerfenden Analyse und Aktualität

 

Umso wichtiger ist dieses nun vorliegende Buch von Kurt O. Wyss, das beklemmend ist in seiner umwerfenden Analyse und Aktualität, vor allem in den für mich besonders relevanten und weitsichtigen Kapiteln wie „die amerikanisch-israelischen Sonderbeziehungen, „den Einfluss der Neokonservativen und deren Einfluss auf die amerikanische Nahostpolitik“, „das amerikanisch-israelische Gedankengebäude für die Schaffung eines „Neuen Nahen Osten“, die besetzten Territorien als Testgelände für die nahöstliche „Neuordnung“, „der Libanon als permanente Kampfarena Israels – bis 2006“, „Israels Bemühungen zur Zerstörung der palästinensischen Gesellschaft“, „der Gazastreifen als groß angelegtes israelisches Versuchslabor in Rüstungs- und Sicherheitsbereich“, „Israelische Politik des „Divide et Impera“ gegenüber den Palästinensern, „Syrien als weiteres Opfer“ der amerikanisch-israelischen „Neuordnung“, „die aufstrebende Regionalmacht Iran im Fadenkreuz Israels und der USA“, „die USA und Israel als Brandbeschleuniger im saudi-arabischen Vorherrschaftskampf“, „die amerikanisch-israelische „Neuordnung“ entfacht Flüchtlingsströme nach Europa“, „der Verlust der Glaubwürdigkeit westlicher Medienberichterstattung“.

 

Kurt O. Wyss resümiert in seinen Schlussfolgerungen: „möglicherweise muss erst die ganze Region in Flammen aufgehen, bis die Verantwortlichen in Washington und anderswo begreifen, dass es keine Tabus mehr geben darf“. Und dieser Autor hat sich daran gehalten, denn er schaute nicht weg und kannte keine Tabus, wenn es um Gerechtigkeit und Aufklärung ging.

 

 

Kurt O. Wyss: Die gewaltsame amerikanisch-israelische „Neuordnung“ des Vorderen Orients

 

 

Vorwort von Karin Leukefeld. Léry-Verlag, Bern, 310 Seiten, 38.90 CHF

 

 

In der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) veröffentlicht in Ausgabe 788 vom 30.03.2022 unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27990

 

 

Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom „Hochblauen“, dem 1165 m hohen „Hausberg“ im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (https://www.sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten „Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik“ ausgezeichne

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