. Libanons  Hiroshima   Von Abdel Bari Atwan

War es ein durch Fahrlässigkeit und Korruption verursachter Unfall oder – wie der Twitter-Schwätzer Trump  es ausplauderte – ein vorsätzlicher Angriff?

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Libanons  Hiroshima

 


Von Abdel Bari Atwan

War die katastrophale Explosion in Beirut am Dienstag, bei der mehr als 140 Tote und Tausende von Menschen ums Leben kamen, kein schrecklicher Unfall, sondern ein vorsätzlicher Angriff, wie US-Präsident Donald Trump ihn charakterisierte? Wenn ja, dann steckten wahrscheinlich die USA und Israel dahinter und tragen die Verantwortung dafür, entweder direkt oder über ihre Kunden (clients) im Libanon. Die Verschwörungstheorie kann in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden: Dieselben Akteure haben im Laufe der Jahre bereits in vielen nachgewiesenen Verschwörungen zusammengearbeitet, sowohl im Libanon selbst als auch im weiteren Nahen Osten, insbesondere im Irak.Trump war praktisch der einzige führende Politiker der Welt, der an die Öffentlichkeit ging und den Vorfall als „schrecklichen Angriff“ bezeichnete. Als er zu dieser Beschreibung befragt wurde, erklärte er, seine Generäle hätten ihm gesagt, dass die massive Explosion nicht „ein Ereignis vom Typ einer Fabrikationsexplosion“ zu sein scheine, sondern eine „Bombe irgendeiner Art“.

Sprecher des Pentagons zogen später die Äußerungen ihres Präsidenten zurück und machten sie lächerlich. Aber es ist zweifelhaft, ob Trump nur aus dem Stegreif gesprochen hat.

Es ist wahrscheinlicher, dass er etwas enthüllt hat, was er wusste. Schließlich sprach er über den Libanon, ein Land, das gegenwärtig einem beispiellosen Druck der USA und Israels ausgesetzt ist, der darauf abzielt, es von innen zu destabilisieren und ihm mit der Aussicht auf einen erneuten Bürgerkrieg zu drohen, um die Entwaffnung des libanesischen Widerstands zu erzwingen – alles im Dienste Israels.

Kaum war die Explosion eingetreten, da strahlte ein arabischer Fernsehsender in saudischem Besitz einen „Exklusivbericht“ aus, in dem er „enthüllte“, dass sie sich in einem Waffenlager der Hisbollah am Hafen ereignete, obwohl libanesische Beamte behaupteten, es handele sich um einen durch Fahrlässigkeit und Missmanagement verursachten Unfall. Dies erwies sich als der Beginn einer konzertierten Kampagne saudi- und golffinanzierter Medienaufhetzung gegen die Hisbollah und ihre breite Wählerschaft im Libanon, indem man ihnen die Schuld an der Explosion zuschob, um einen Rückschlag auszulösen – und die anklagenden Finger von den USA und Israel abzuwenden.

Die Ermittlungen zu der Explosion haben gerade erst begonnen und werden mindestens zehn Tage und wahrscheinlich noch länger dauern, um schlüssige Antworten darauf zu finden, was genau passiert ist und wer daran beteiligt war. In der Zwischenzeit klingen Trumps Äußerungen, die er nicht zurückgenommen hat, für viele Libanesen wie ein unbeabsichtigtes Geständnis.
Ohne vorwegnehmen zu wollen, ob es sich um einen Unfall oder einen Angriff handelte, sind noch viele Fragen zu der Explosion zu beantworten. Warum wurden mehr als 2.500 Tonnen hochexplosives Ammoniumnitrat im Hafen von Beirut gelagert? Wenn sie, wie berichtet, vor sechs Jahren von einem moldauischen Schiff beschlagnahmt wurden, wem gehörte die Ladung und warum wurde sie überhaupt eingeführt? Sollte sie, wie einige Berichte vermuten lassen, an die syrische Opposition geschickt werden? Oder sollte sie für terroristische Zwecke innerhalb des Libanon zur Herstellung von Sprengfallen und Autobomben verwendet werden?
Und woher stammte sie? Israel hat Tausende von Tonnen dieser gefährlichen Verbindung im Hafen von Haifa gelagert. Wurde eine Sendung über eine Drittpartei in den Libanon verschifft und im Hafen von Beirut von lokalen Kollaborateuren gelagert, bis der richtige Zeitpunkt für ihre Verwendung gekommen war? Waren diese lokalen Akteure, wissentlich oder unwissentlich, daran beteiligt, wiederholte gerichtliche Anordnungen zur Zerstörung oder Verlagerung der Sendung zu ignorieren?
Wir haben natürlich noch keine Antworten auf diese Fragen, aber es war richtig, dass die libanesische Regierung hochrangige Hafenbeamte unter Hausarrest stellte und ihnen bis zum Abschluss der Ermittlungen die Reise ins Ausland verbot.
Diese Katastrophe – die die Hälfte der libanesischen Hauptstadt verwüstet, 300.000 Menschen obdachlos gemacht und den größten Teil der Weizen- und Getreidevorräte vernichtet hat – ist das Letzte, was die Libanesen brauchten. Sie hatten bereits mit einer lähmenden sozioökonomischen Krise, dem Zusammenbruch ihrer nationalen Währung, dem Ausbruch des Coronavirus, den Folgen der US-Sanktionen, einer angespannten innenpolitischen Lage und der daraus resultierenden Verarmung der großen Mehrheit der Bevölkerung zu kämpfen.
Die Herzen von Hunderten von Millionen Menschen auf der ganzen Welt werden beim Libanon sein, insbesondere arabische Mitbürger (fellow Arabs), die den Libanon als einen Leuchtturm der Freiheit und Kreativität und als einen Zufluchtsort für Vertriebene und Flüchtlinge auf der Flucht vor Unterdrückung kennen. Dies ist sicherlich der Zeitpunkt für wohlhabende arabische Staaten, sich zu engagieren und ihm die Hilfe und finanzielle Unterstützung anzubieten, die er so dringend benötigt, ohne die üblichen politischen Bedingungen zu stellen. Dies ist mehr in der Hoffnung als in der Erwartung gesagt. Aber die Katastrophe könnte sich langfristig doch positiv auf den Libanon auswirken. Sie könnte der Auftakt sein zur Entwurzelung der korrupten Sektenführer und -parteien und der politischen Feudalisten, die seit einem Jahrhundert oder mehr das Land plündern und das Blut und den Schweiß seiner Bürger aussaugen.

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