Mehr Waffen und weniger Pastoren: Deutschlands neue Koalition hat Pläne für Israel und Palästina Von Shir Hever

Die Vergebung deutscher Schuld wird mit dem Verzicht auf klare Kritik an den Völkerrechts- und Menschenrechtsverbrechen des Staates Israel erkauft“.

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Bild: Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel übergibt das Kanzleramt an ihren Nachfolger, den neu ernannten Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin (Reuters)


Mehr Waffen und weniger Pastoren: Deutschlands neue Koalition hat Pläne für Israel und Palästina

Die SPD-Grüne-FDP-Koalition will verstärkt Waffen und Überwachungstechnologien von israelischen Firmen kaufen und hat Israels Sicherheit als „Staatsräson“ bezeichnet

Von Shir Hever
in Berlin

14. Dezember 2021

Nach all den Versprechungen im Wahlkampf haben die Deutschen oft eine klarere Vorstellung davon, was ihre neuen Regierungen zu erreichen gedenken, wenn die Koalitionsvereinbarungen veröffentlicht werden.

Was die entstehende SPD-Grüne-FDP-Koalition betrifft, so wurde die Vereinbarung der Parteien am 24. November veröffentlicht und enthält einige interessante Änderungen, aber auch Fortsetzungen im Vergleich zur Ära Angela Merkel in Bezug auf Israel und Palästina.

Baerbock ist genauso pro-israelisch wie die Vorgängerregierung mit Bundeskanzlerin Merkel und Außenminister Maas, wenn nicht sogar noch mehr.

– Annette Groth, ehemalige Bundestagsabgeordnete

Israel und Palästina werden erst gegen Ende des 177-seitigen Dokuments zur Nahostpolitik behandelt, beginnend mit der Verpflichtung, die Sicherheit Israels als „Staatsräson“ Deutschlands zu betrachten. Dieser Begriff wurde von der Vorgängerregierung verwendet und in deutschen politischen Kreisen weithin so verstanden, dass Deutschlands Unterstützung für Israel Vorrang vor der öffentlichen Meinung oder demokratischen Entscheidungsprozessen hat.

Der Vertrag erklärt weiter, dass gute Beziehungen zu Israel bedeuten, es vor Kritik in der UNO zu beschützen. Von der Palästinensischen Autonomiebehörde wird erwartet, dass sie die Gewalt gegen Israel eindämmt, ohne dass dies von der Besatzungsmacht in Palästina erwartet wird.

Die neu ernannte Außenministerin Annalena Baerbock ist eine junge Politikerin der Grünen, die sich bisher kaum öffentlich zu Israel/Palästina geäußert hat. Es bleibt abzuwarten, wie sie diese Vision umsetzen wird.

„Baerbock ist genauso pro-israelisch wie die vorherige Regierung mit Kanzlerin Merkel und Außenminister [Heiko] Maas, wenn nicht sogar noch mehr“, sagte Annette Groth, eine ehemalige Abgeordnete der Linkspartei, gegenüber Middle East Eye.
Absprachen treffen

Tatsächlich werden die Beziehungen zu Israel an früherer Stelle des Textes angesprochen, wenn auch auf undurchsichtige Weise.

Im Koalitionsvertrag ist von der Beschaffung bewaffneter Drohnen für die Bundeswehr die Rede. Was jedoch nicht erwähnt wird, ist, dass das Unternehmen, das bereits mit der Lieferung von Heron-TP-Kampfdrohnen beauftragt wurde, Israeli Aerospace Industries (IAI) ist. Die SPD hat sich jahrelang gegen die Aufrüstung des deutschen Militärs mit bewaffneten Drohnen gewehrt, aber die von ihr geführte neue Koalition hat bereits deutlich gemacht, dass solche Waffen Teil ihrer künftigen Strategie sein werden.

Ebenso verspricht die neue Regierung, mehr in die Cybersicherheit zu investieren und fortschrittliche Cyber-Überwachungstechnologie zu beschaffen – obwohl Deutschland solche Technologie bereits vom israelischen Unternehmen Candiru gekauft hat.

Die Zeit hat bereits aufgedeckt, dass die deutsche Polizei die umstrittene Spionagesoftware Pegasus von der israelischen NSO Group gekauft hat, obwohl diese mit mehreren Missbräuchen durch verschiedene autoritäre Regierungen in Verbindung gebracht wurde. Die Polizei behauptet, die Spionagesoftware sei nie eingesetzt worden.

Vor diesem Hintergrund scheint die Definition der neuen deutschen Koalition von „Staatsräson“ mehr mit Waffengeschäften und Sicherheitskooperationen mit israelischen Waffenherstellern zu tun zu haben als mit diplomatischer Politik im Nahen Osten.

Eldad Beck, Kolumnist der rechtsgerichteten israelischen Zeitung Israel Hayom, behauptet, das wahre Interesse der deutschen Regierung liege in der Ausweitung des Handels mit dem Iran, und erwartet, dass die Koalition die Wiederbelebung des Atomabkommens JCPOA von 2015 unterstützt.

In der Tat ist Deutschland der größte Handelspartner Irans, und im Jahr 2020 beliefen sich die deutschen Exporte in den Iran auf 1,8 Milliarden Euro (2 Milliarden Dollar). Für Deutschland ist der Iran jedoch nur der 58. größte Handelspartner. Unterdessen exportierte Deutschland 2019 Waren und Dienstleistungen im Wert von 5,2 Mrd. Euro nach Israel. Israel ist der 42. größte Handelspartner Deutschlands.

Deutschlands Unterstützung für den JCPOA ist also nicht aufgrund seiner wirtschaftlichen Interessen in Bezug auf den Iran und Israel, sondern trotz dieser Interessen und hat möglicherweise eher mit dem Interesse der deutschen Regierung zu tun, den Iran am Erwerb von Atomwaffen zu hindern.

Russland und China werden in Deutschland weithin als die Hauptgegner des Landes wahrgenommen, und die Politiker hoffen, dass der JCPOA den Iran davon abhalten kann, sich mit diesen Ländern zu verbünden.
Rückläufige Religiosität

Ein weiterer wichtiger Aspekt der neuen Koalition, der sich wahrscheinlich auf die Beziehungen Deutschlands zum Nahen Osten auswirken wird, ist, dass die neue Regierung die am wenigsten religiöse in der Geschichte Deutschlands seit der Wiedervereinigung von Ost und West ist.

Der neue Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnet sich selbst als konfessionslos und fügte bei seiner Vereidigung die Worte „so wahr mir Gott helfe“ nicht in seinen Amtseid ein. Außerdem bezeichnen sich sechs Minister im Kabinett als konfessionslos, und einer, der neue Landwirtschaftsminister Cem Özdemir, bezeichnet sich als „säkularer Muslim“.

Traditionell war die überwiegende Zahl der prominenten deutschen Politiker evangelische Christen. Da die Christlich Demokratische Union erstmals seit 2005 in der Opposition ist, dürfte der Einfluss der evangelischen Kirche auf die deutsche Politik geringer denn je sein.

    Die Vergebung deutscher Schuld wird mit dem Verzicht auf klare Kritik an den Völkerrechts- und Menschenrechtsverbrechen des Staates Israel erkauft.

    – Ulrich Duchrow, Theologe

Diese Tatsache ist für das Verhältnis zwischen Deutschland und Israel von besonderer Bedeutung, weil deutsche Politiker eine zutiefst theologische Sichtweise auf das Land haben. Ulrich Duchrow, ein pensionierter Theologe der Universität Heidelberg, erklärte gegenüber MEE, dass die deutsche evangelische Kirche 2017 ein Bekenntnis zu Israel/Palästina ablegte, indem sie den Antisemitismus der christlichen Tradition nach dem Völkermord der Nazis an den Juden anerkannte und sich damit auseinandersetzte.

„Die Kirche hat einen Deal gemacht: Die Vergebung der deutschen Schuld wird mit dem Verzicht auf klare Kritik an den Völkerrechts- und Menschenrechtsverbrechen des Staates Israel erkauft. Der rheinische Zweig der Kirche betrachtet den Staat Israel sogar als ein ‚Zeichen der Treue Gottes'“, sagte er.

Da die neue Koalition weniger an die Lehren der evangelischen Kirche gebunden ist als jede Regierung vor ihr, hat sie mehr Freiheit, israelische Verletzungen des Völkerrechts zu kritisieren.

So wird im neuen Koalitionsvertrag erwähnt, dass der israelische Siedlungsbau im besetzten Westjordanland nach internationalem Recht illegal ist. Übersetzt mit Deepl.com

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