Mesut Özil und die Meinungsfreiheit in Deutschland Von Evelyn Hecht-Galinski

Mein Juli/August Kommentar für Daily Sabah

Mesut Özil und die Meinungsfreiheit in Deutschland

Schmerzlich muss ich eingestehen, dass ich den deutschen Antitürkismus und Rassismus speziell gegen Muslime bisher noch unterschätzt hatte. Obwohl ich schon seit geraumer Zeit darüber schreibe. Es macht mich fassungslos, wie seit Monaten – angefacht von dem „Krebsgeschwür“ der deutschen Medienlandschaft der „Springernden-Bild“ – eine Treibjagd gegen Mesut Özil eröffnet wurde: Spätestens seitdem das Erdoğan-Foto und das Treffen zwischen Özil, Erdoğan und Gündoğan bekannt geworden ist.

Mesut Özil und die Meinungsfreiheit in Deutschland Juli/ August Kommentar für Daily Sabah

Von Evelyn Hecht-Galinski

 

Schmerzlich muss ich eingestehen, dass ich den deutschen Antitürkismus und Rassismus speziell gegen Muslime bisher noch unterschätzt hatte. Obwohl ich schon seit geraumer Zeit darüber schreibe.

Es macht mich fassungslos, wie seit Monaten – angefacht von dem „Krebsgeschwür“ der deutschen Medienlandschaft der „Springernden-Bild“ – eine Treibjagd gegen Mesut Özil eröffnet wurde: Spätestens seitdem das Erdoğan-Foto und das Treffen zwischen Özil, Erdoğan und Gündoğan bekannt geworden ist. Es scheint so, als sei Mesut Özil medial zur Treibjagd freigegeben worden.

Wir haben es mit einem DFB zu tun, der Mitarbeiter und Nationalmannschaftsmanager wie Oliver Bierhoff beschäftigt, die sich mit Sprüchen wie „man muss auch verstehen, wie Türken in dieser Sache ticken“ oder ähnlichem selbst disqualifizieren. Es ist beschämend, wenn ein Funktionär dieser Gehaltsklasse, so wenig Takt zeigt. Wenn das „unsere“ immer wieder hochgehaltenen Werte darstellt, dann gute Nacht Deutschland. Was Bierhoff da äußerte, ist durch nichts zu entschuldigen, ebenso wie DFB-Boss Reinhard Grindel, der völlig versagte und Öl ins Özil-Feuer goss. Da helfen keine kläglichen und peinlichen Rückzieher mehr, sondern nur noch ein Rückzug von allen Ämtern – dies sollte die Konsequenz sein.

Ein einziges Foto hat tatsächlich eine riesige Debatte eröffnet, die uns alle nachdenklich machen sollte. Hat Özil nicht vollkommen recht? Spricht man speziell mit türkischen oder muslimischen Bürgern mit Migrationshintergrund, dann sprudelt es nur so aus ihnen heraus und wir hören vom alltäglichen Rassismus, dem sie täglich ausgesetzt sind. Was Özil jetzt beklagt, diesen Rassismus speziell gegen Muslime, gehört zum traurigen Alltag. Das Özil ganz selbstverständlich für die deutsche Nationalmannschaft spielte, und nicht für die türkische, sollte uns alle stolz und dankbar machen. War er nicht ein Garant für Erfolg und Leistung? Was erlaubt sich ein vorbestrafter Bayern-Boss wie Hoeneß eigentlich so über Özil herzuziehen und sich so herablassend zu äußern – dass er „seit Jahren einen Dreck gespielt“ habe und er froh sei, dass dieser Spuk vorbei ist. Hoeneß kennt sich bestens aus mit Dreck, wie es scheint. Übrigens ist Özil im Gegensatz zu Hoeneß nicht vorbestraft. Dieser Spuk ist erst vorbei, wenn so ein Vorbestrafter nicht mehr an der Spitze des FC Bayern steht.

Warum darf sich ein deutscher Nationalspieler wie Özil nicht mit dem türkischen Präsidenten abbilden lassen? Gilt das Grundgesetz in Deutschland nicht auch für deutsche Nationalmannschaftsspieler? Welche Werte hat er verraten? Es ist ein Trauerspiel, was sich hier ereignet – verstärkt durch das deutsche Sommerloch. Ein Quotenbringer für Medien und eine Gelegenheit für Politiker aller Parteien ihren Senf dazu zu geben. Es sind übrigens dieselben, die nie etwas sagen, wenn es um Netanjahu und das jüdische Besatzer-Regime geht. Für mich speziell stellt sich hier die Frage, was wäre wohl, wenn es einen Nationalmannschaftsspieler deutsch-israelischer Herkunft, oder schlimmer noch, einen deutschen Bürger jüdischen Glaubens gäbe, der sich mit Netanjahu fotografieren lassen würde? Sicher gäbe es da keinen politischen oder medialen Aufschrei. Denn immer, wenn es um den „Jüdischen Staat“ geht, dann ist Kritik gleichgestellt mit Antisemitismus.

Während Vodafone sich gerade von Özil als Werbeträger verabschiedete, zeigt auch das nur, wie tief verwurzelt der Antitürkismus in der Gesellschaft ist. Meint Vodafone wirklich damit neue Kunden zu gewinnen? Türkische und andere muslimische Bürger sollten es sich zweimal überlegen, ob sie diese Firma brauchen. Ich für meinen Teil, bin sehr froh darüber, dass wir der ungewollten Vodafone-Werbung widersprachen. Özil ist ein Werbeträger, auf den jede Firma stolz sein sollte!

Ebenso wie unter #MeTwo, sollten wir alle mit Özil sein und uns mit ihm solidarisieren. Ich hatte schon seit Mai mehrmals geschrieben: Hätte die deutsche Mannschaft gewonnen, dann wäre er Deutscher gewesen, aber nach dem Versagen der gesamten Mannschaft, war er wieder der Türke. Frei nach dem Schiller-Text: „Der Türke hat seine Schuldigkeit getan, der Türke kann gehen.“ Nein bitte geht nicht, liebe türkische Freunde, sondern bleibt und haltet der Gesellschaft ihren rassistischen Spiegel vor. Alles das, was bei anderen Nationalitäten keine Rolle spielt, kommt gegenüber Muslimen zum Vorschein. Weil sie von Seiten einiger aus die „falsche“ Religion zu haben scheinen, wird dem ganzen Rassismus und Vorurteilen bei Muslimen freien Lauf gelassen. Dieser Rassismus ist beschämend und trifft uns ALLE!

Während Kritik an Erdoğan und Türken oder Migranten anscheinend niemals als Rassismus und Islamhass bewertet werden darf, sondern nur als „berechtigte“ Kritik gelten soll, wird auf der anderen Seite Kritik gegen den „Jüdischen Staat“ sofort als Judenhass verunglimpft. Während zu verlogenen „Kippa-Demonstrationen“ aufgerufen wird, bleiben Kopftuchträgerinnen isoliert. Dieses Doppelstandards haben genau zu dem Problem geführt, vor dem wir heute stehen. Während auch von jüdischer Seite ständig vor „muslimischen Antisemitismus“ gewarnt wird und ein kaum existenter Antisemitismus als Ablenkungsmanöver von den Gräueltaten im „Jüdischen Besatzerstaat“ abzulenken versuchen, ist der Antitürkismus in Deutschland zu einem gefährlichen Phänomen geworden.

In diesem Zusammenhang lese ich gerade ein sehr aufwühlendes Buch von Can Merey: „Der ewige Gast“. Darin beschreibt er, wie sein türkischer Vater versuchte, Deutscher zu werden. Dieses Buch, dass ich auch auf meiner Hochblauen-Seite empfehlen werde, sollte in ganz Deutschland Verbreitung finden. Tatsächlich sollte man jeden Gast gut behandeln, liest man aber dieses Buch, dann bekommt man vor Augen gehalten, wie ungastlich Deutschland gegenüber Fremden und speziell gegenüber Muslimen ist.

Es ist mehr als erfreulich, dass Präsident Erdoğan im September zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Berlin kommt und hoffentlich alle diese Probleme ansprechen wird. Ich würde es mir wünschen, das Bundespräsident Steinmeier, bei dem Özil und Gündoğan nach der „Affäre“ zu Besuch waren, beide Nationalspieler zu dem Gala-Dinner zu Ehren von Präsident Erdoğan ins Schloss Bellevue willkommen heißt. Am besten mit einem „besonderen“ gemeinsamen Foto zusammen mit dem türkischen Präsidenten und den beiden Türkeistämmigen Fußballern.

Seehofer und das Versagen Deutschlands im Inneren

Wenn der „Heimatminister“ Seehofer scheinheilig davon spricht, dass der AfD-Spuk bald vorüber ist, der aber selber einer CSU vorsteht, der diesen Spuk geradezu in AfD Manier entfacht hat und immer wieder von „christlichen Werten“ spricht, vor „islamistischen Gefährdern“ warnt und zugleich „rechte Gefährder“ klein hält – aber nicht davor zurückschreckt den Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, wegen seiner Kritik auch an ihm zurechtzuweisen, dann ist es Zeit, dass dieser Heimatminister zurücktritt. Denn eine integrierende Heimat vertritt er nicht! Waren es nicht Ausdrücke wie „Asyltourismus“, eben diese inakzeptable Rhetorik, die wie Voßkuhle richtig kritisiert, den Rechtsstaat immer mehr in Zweifel ziehen? Hier haben wir es doch genau mit der gleichen Taktik zu tun, wie mit der Rhetorik der Israel-Lobby: Wenn politische Antworten fehlen, dann müssen die Ablenkungsmanöver in Aktion treten. Wir können froh sein, dass es bei uns noch ein intaktes Verfassungsgericht mit so einem Präsidenten gibt.

Dazu möchte ich noch anmerken, dass dieser Springer Konzern und seine Organe, wie Bild, BZ und Welt gerade für mich als Berlinerin so ungute Erinnerungen wachrufen, an meine Zeit von 1949 bis 1972 in Berlin, die für mich prägend und unvergessen sind. Damals erlebte ich die „Jubel-Perser“, die gestützt von der Springer-Presse, ihre „Gesinnung“ auf Berliner Straßen entfalten konnten. Die Kampagnen gegen die 68er Bewegung, die dann mit dem feigen Mord an Benno Ohnesorg und dem Attentat auf Rudi Dutschke ihren traurigen Höhepunkt fanden. Immer war es die Springer-Presse, die auf dem rechten Auge blind zu sein schien – die alles daran setzte, den Schah von Persien zu preisen und die 68er Bewegung in den Dreck zu ziehen. Diese stand damals endlich gegen den „rechten Mief“ unter den Talaren auf und wollte sich nicht länger von den alten ehemaligen Nazi-Schergen unterrichten lassen. Die 68er stellten unbequeme Fragen an die Eltern, und brachten Deutschland einen neuen Wind, der so dringend gebraucht wurde. Diese Demonstrationen für eine neue Gesellschaft waren natürlich gerade den Springer Organen ein Dorn im Auge und wurden daher gnadenlos bekämpft. Diese Zeit und Zustände haben mich bis heute geprägt und schließlich alle meine Vorurteile bestätigt. Dies schließt natürlich auch die empörende Tatsache mit ein, dass gerade der „Springer-Konzern“ bis heute einseitig die Verbrechen Israels schönschreibt, während unliebsame Machthaber wie Erdoğan oder Putin gnadenlos und kampagnenartig verfolgt werden. Dieser Konzern betreibt einen ekelhaften Philosemitismus und als Gegenprogramm eine gnadenlose Türkei-Hetze und Islamophobie. Ich wundere mich immer wieder, dass die Bild-Zeitung so oft gekauft – und von Politikern aller Parteien immer wieder für ihre „Mitteilungen“ genutzt wird.

Das zeigt mir, dass wir in Deutschland mittlerweile ein intellektuelles Problem haben. Denn für halbwegs intelligente und geübte Leser hat dieses Blatt keinen Stoff. Sind es also die Politiker, die diesen Trend noch befördern, wenn sie geradezu süchtig danach gieren, sich in diesem Blatt zu artikulieren? Was will man also vom Durchschnittsbürger erwarten? Mich, als jemand, der niemals Geld für die Bild-Zeitung ausgeben würde, machte es besonders wütend, als ich vor ein paar Wochen die Bild-Sonderausgabe „Heimat“ in unserem Briefkasten fand – die als Aufmacher einen mehr als kritikwürdigen und arroganten Beitrag zu diesem Thema von Ex-Bundespräsident Gauck präsentierte – und zum Thema Integration mehr als fragwürdige Argumente lieferte. Damit wurde genau das bestätigt, was ich zuvor beschrieben habe.

Außerdem frage ich mich, warum sich die Gülen-Bewegung seit den 90ern in Deutschland so ausbreiten konnte, ein Netz von mehr als fragwürdigen Schulen betreibt und mehr als undurchsichtige Pläne verfolgt? Warum wurde eine Anfrage der Linken, nach den Beziehungen zwischen der Gülen-Sekte und dem Bundesnachrichtendienst (BND), mit der Begründung, dass diese Informationen vertraulich seien, abgelehnt? Weiter stelle ich die Frage, warum so viele ehemalige türkische Armeeangehörige in Deutschland Asyl bekamen? Oder warum gerade die Linke und die Grünen, die immer, wenn es um Israel und „Antisemitismusbeschlüsse“ geht, sofort mit den anderen Parteien gemeinsam dafür stimmen – und auf der anderen Seite Israel-Kritiker oder die Boykottbewegung (BDS) als antisemitisch verunglimpfen? Warum sind gerade die PKK-nahen Kurden so für Israel, wo sie doch nach einem eigenen Staat streben, was sie doch eigentlich mit den Palästinensern verbinden sollte und nicht mit den zionistischen Besatzern? Vor allen Dingen frage ich mich immer wieder, was treibt der BND und der Verfassungsschutz in diesem Zusammenhang?

Das nur als kleine geschichtliche Einleitung in die traurige Neuzeit. Schon die NSU-Morde in jüngster Zeit zeigten doch, wie tief verwurzelt der Vorbehalt in Deutschland gegen türkische Bürger und Muslime ist. Kamen doch sofort die Gerüchte und Anschuldigungen auf, dass es sich bei diesen Morden natürlich um interne „Clankämpfe“, „türkische Ehrenmorde“, also um „eigene“ Verbrechen handelte. Natürlich frage ich mich, was hat der Verfassungsschutz damit zu tun, der solange schwieg und schweigt – genau wie im Fall der zwei Attentate gegen das Grab meines Vaters Heinz Galinski in Berlin. Schon nach etwa 6 Wochen teilte uns die Staatsanwaltschaft damals mit, dass die Ermittlungen eingestellt worden seien und wir keine Belohnung, wie von uns erwünscht, aussetzen sollten. War es nur deshalb, weil die Justiz, der Verfassungsschutz und wer weiß noch wer, genau wussten, was und wer dahinterstand? Hätte man nicht schon damals die NSU Morde verhindern können, wäre dieser Spur konsequent nachgegangen worden? Dazu empfehle ich allen Lesern die ZDF-Zoom Sendung die „Todesliste des NSU“, die noch 1 Jahr in der Mediathek zu sehen ist. Dieser Beitrag rüttelt auf und ist hervorragend gemacht. Er zeigt die ganzen Verbindungen des NSU auf – auch zum Verfassungsschutz. Der Verfassungsschutz in Deutschland ist für mich ein trauriges Beispiel dafür, wie bis heute noch überführte Neo-Nazis ihr Spiel auf Staatskosten treiben können. Die mörderischen Anschläge in Solingen, Rostock oder der NSU-Terror sind von Deutschen begangen worden. Immer wieder wird damit argumentiert, wie viele Anschläge durch solche „Tippgeber“ schon verhindert worden seien. Ich allerdings kann nur vermuten, wie viele Anschläge, Morde und Attentate auf deren Konto gehen – natürlich ist das letztlich nie zu beweisen, aber noch sind die Gedanken frei und gelten auch für deutsche Nationalspieler. Ebenso wie die Meinungsfreiheit für Mesut Özil gilt.

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