Notizen vom Ende der unipolaren Welt – 24 Von Mathias Bröckers

 

Notizen vom Ende der unipolaren Welt – 24

Von Mathias Bröckers

18. Mai 2022

Am 9.Mai bin ich mit dem “Unsterblichen Regiment” durch Moskau gelaufen – zusammen mit 800.000 Menschen, von denen jede/r das Bild eines Familienmitglieds oder einer Person trug, die im Kampf gegen den Faschismus ums Leben gekommenist. Ich habe ein Porträt meines alten Lieblings Erich Mühsam getragen, auf das ich öfter angesprochen wurde und erklären mußte, dass es sich nicht um einen Verwandten, sondern um einen  revolutionären Publizisten und Anarchisten handelt, der 1934 von den Nazis im KZ ermordet wurde. Dieser Marsch am “Tag des Sieges” war nicht nur die größte Demonstration an der ich je teilgenommen habe, sondern auch die beeindruckendste, denn alles, aus dem ganzen russischen Riesenreich, lief da mit:  vom uralten Mütterchen im Kopftuch bis zu Teenies und Kids mit bunten Haaren, sämtliche Ethnien Russlands und der ehemaligen Sowjetrepubliken samt ihren Fahnen waren vertreten, Ex-Offiziere in Pracht-Uniformen, Familien mit Kind & Kegel. Keine Banner, keine Parolen, keine politischen Forderungen oder Kundegebungen, nur die Portäts der “Unsterblichen”, die ihr Leben gelassen haben – und ab und zu der Ruf aus hundertausenden Kehlen: “Russ-i-a, Russ-i-a – Urra” (wie im  Französischen fällt im Russischen das H weg) Am Roten Platz, wo Präsident Putin am Morgen gesprochen und die übliche Militärparade abgenommen hatte, endete der Marsch. Wie auch einige andere ausländische Teilnehmer – aus Deutschland waren die Kollegen Tom Wellbrock (Neulandrebellen) und Thomas Stimmel (Frische Sicht) dabei –  wurden wir  von einem TV-Team über den Grund unseres Kommens befragt, worauf ich meinen Respekt vor den Opfern der Roten Armee bei der Befreiung von Auschwitz und Deutschlands von den Nazis bekundete und auch noch kurz die Geschichte meines Vaters ansprach. Und dass ich mich freue, mit den Russen ihren Sieg vor 77 Jahren hier und heute feiern zu können.
Welche unermeßlichen Opfer das Land dafür gebracht hat, hatten wir im Museum des 2. Weltkriegs gesehen, und auch, welches Selbstbewußtsein und welche Kraft Russland aus dieser Geschichte zieht – was verstehen läßt, dass es sich von den seit Jahren näher rückenden NATO-Truppen und ihrer mit Wolfsangeln und Schwarzer Sonne ausgestattten Speerspitze der Asow-Brigaden zurückversetzt fühlt in den großen vaterländischen Krieg vor 80 Jahren.
Den haben auch die erst vor 25 Jahren geborenen Studierenden im Gedächtnis, mit denen wir in den folgenden Tagen 600 Kilometer südlich von Moskau an der Uni von  Woronesch sprachen, der Landeshauptstadt, die von der deutschen Wehrmacht bei ihrem Rückzug dem Erdboden gleich gemacht worden war. Dass McDonalds und Starbucks, mit denen sie groß geworden sind, jetzt wegen der Sanktionen geschlossen haben, bedauern zwar einige, aber Burger King, KFC und andere FastFood-Ketten haben weiterhin geöffnet (wie übrigens auch die allermeisten Shops westlicher Labels im Moskauer Edel-Kaufhaus “Gum”). Die jungen Leute sind klug, belesen und offen für alles Westliche, doch von den USA regiert werden wollen sie nicht, einige mit Verwandeten oder Beziehungen in der Ukraine sind sehr unglücklich über den Krieg, verstehen aber die Gründe dafür und dass die Aufrüstung dort gegen Russland gerichtet ist. “Wir haben nichts gegen das Land und die Menschen, aber die rechtsradikale, anti-russische Regierung muß verschwinden”, meinte einer – und diese Haltung scheint mit der des “offiziellen” Moskau zu korrespondieren, wo das berühmte “Hotel Ukraine” in der Nacht noch immer gelb und hellblau schimmert.
Dass die Regierung den “Tag des Sieges”  und auch den aus einer  Bürgerinitiative hervorgegangen Marsch des “Unsterblichen Regiments”, der in zahlreichen Städten stattfindet,  für die Militäroperation in Ukraine “instrumentalisiert”, wie es die westlichen Medien behaupten, ist zwar nicht falsch. Aber die Ukraine und das “Z” – ein Fan-T-Shirt mit dem illegalen Buchstaben habe ich erfolgreich am deutschen Zoll vorbeigeschmuggelt (-;  – blieben auf diesem Marsch durch Moskau dezent im Hintergrund. Die Bevölkerung muss nicht mehr agitiert werden, sondern hat verstanden, dass Russland das eigentliche Ziel des NATO-Aufmarschs in der Ukraine ist. In einem Hotel in Woronesch sprachen sprachen wir mit Flüchtlingen, die aus umkämpften Städten im Donbass evakuiert und dort untergebracht wurden. Ein Geschäftsfrau aus Mariupol erzählte, wie sich die Lage dort entwickelte, nachdem in einem Kindergarten neben ihrem Mode-Atelier ein Stützpunkt der Asow-Brigade eingerichtet wurde, wie ihre Freundin, eine Tierärztin, die sich für die Separation der Volksrepublik eingesetzt hatte, bedroht wurde und dann einfach verschwunden ist. Ein Mann aus der Gegend von Kharkow berichtete, wie er beim Hundespaziergang nicht von den Russen, sondern von der ukrainischen Armee beschossen wurde. Er verneinte, wie auch einige andere, die Frage, ob es einen Unterschied zwischen der regulären Armee und den Nazi-Bataillonen gäbe. Alle können sich auch vorstellen, bald wieder in die Ukraine zurückzukehren: “Wir können alle zusammenleben, auch mit der West-Ukraine, nicht wir, die Politik verhindert das.” Weiterlesen bei Mathias Broeckers.com

 

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