Poesie und weibliche Menschenrechtsarbeit: ein Interview mit Milena Rampoldi über Ellen Rohlfs

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Evelyn Hecht-Galinski: Was verbindet Sie vor allem mit Ellen Rohlfs?

Milena Rampoldi: Mit Ellen Rohlfs verbindet mich die Sisyphusarbeit für Palästina, die Übersetzung und das Dasein als Frau im Kampf gegen die Ungerechtigkeiten des israelischen Staates, der den Holocaust manipuliert, um dadurch konstante Menschenrechtsverstöße weißzuwaschen und diese dem Westen noch als legitime Sicherheitsvorkehrungen zu verkaufen.

Was mich noch mit Ellen verbindet, ist die schmerzliche Empathie für das Leid der Menschen, unabhängig davon, auf welcher Seite sie stehen: für das jüdische Leid von damals während des Holocausts und für die Palästinenser von heute in der fortschreitenden Nakba. Denn die Palästinenser fielen dem Verwandlungsprozess der jüdischen Siedler, die aus der Naziverfolgung flohen und nach Palästina kamen, in Täter, wie es im Gedicht „Höre Israel!“ von Erich Fried so schön heißt, zum Opfer. Die Nakba als Katastrophe und Ermordung, Verfolgung, Vertreibung und Unterdrückung der Palästinenser bis heute ist ein Leitmotiv unseres Übersetzens und Schreibens für Palästina. Wir schreiben in deutscher Sprache und übersetzen in die deutsche Sprache, um den Deutschen, den damaligen Tätern, aufzuzeigen, wie die heutigen Täter im zionistischen Staat nicht die Opfer von damals, sondern die Kolonialisten und Unterdrücker von heute sind. Noch etwas, was mich mit Ellen verbindet, ist die Überzeugung der Wichtigkeit der Einbeziehung der Poesie, Kunst und Musik in den Diskurs rund um die Menschenrechte, wie ich in meinem ersten Projekt zum Thema Poesie und Menschenrechte in Zusammenarbeit mit der Künstlerin LaBGC aufgezeigt habe. Dies hat mich auch dazu motiviert, die Gedichte und Biographie von Ellen Rohlfs im vor kurzem veröffentlichten Buch „Ellen Rohlfs, Gedichte für den Frieden in Nahost“ vorzustellen. Die Poesie wird somit für mich zu einem Werkzeug des Kampfes der MenschenrechtlerInnen gegen die Gewalt des kolonialistischen Zionismus.

Ellen Rohlfs: Gedichte für den Frieden in Nahost

Evelyn Hecht-Galinski: Warum ist die Zusammenarbeit und Vernetzung von Menschenrechtlern so wichtig?

Milena Rampoldi: Kooperative und vernetzte Menschenrechtsarbeit war mein Ziel, als ich 2014 das Presseportal ProMosaik gründete. Mit dem Blog begannen wir gerade, als im Sommer 2014 der Gazakrieg wütete. Die Menschenrechtsarbeit bedeutet für mich eine Zusammenarbeit mit anderen Menschen, auch mit Andersdenkenden, da ich sehr stark an die verschiedenen Farben und Wege glaube, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen. Die Bestätigung dessen, dass Menschenrechtsarbeit auch sehr stark mit der Anerkennung ideologischer, kultureller und religiöser Diversität im Zusammenhang steht, finde ich im Besonderen im folgenden Koranvers 93:16 wieder, in dem es heißt: „Und wenn Allah gewollt hätte, hätte er euch sicherlich zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht.“ Somit sollen wir uns auch in der Menschenrechtsarbeit der Herausforderung der Diversität stellen. Das ermöglicht uns, auch mal die Stimme des Feindes zu hören und uns mit Menschen auseinanderzusetzen, die andere Lösungswege sehen als wir selbst. Da es im Moment keine wahre Lösung gibt, um den Weltfrieden zu gewährleisten, sollten wir uns öffnen und auch auf Meinungen hören, die uns nicht überzeugen. Gerade wenn es um Themen wie den vom Krieg gefolterten Nahen Osten geht, sollten wir den streitenden Menschen den Weg der Versöhnung aufzeigen.

Evelyn Hecht-Galinski: Was bedeutet Antizionismus für Sie?

Milena Rampoldi: Der Antizionismus bedeutet für mich auf einer ideologischen Ebene die Widerlegung des Kolonialismus als politisch-militärisches Instrument, auf einer ethischen Ebene die Widerlegung der Entmenschlichung bzw. Auslöschung der Palästinenser durch das zionistische Narrativ, auf einer sozialen Ebene die Widerlegung der Ethnokratie und auf einer theologischen Ebene die Widerlegung des „Auserwähltseins“ als Rechtfertigung für den Siedlerimperialismus, während das „Auserwähltsein“ des Juden in der Torah nicht mit Macht, sondern mit ethischer Demut und mit Werten der Menschlichkeit und der Verpflichtung zu tun hat. Ich erlebe sehr stark den Widerspruch zwischen dem Judentum von Hillel und dem militärisch-kolonialistischen Zionismus von heute. Das ist glaube ich einer der Hauptgründe, wofür ich mich ideologisch dem Antizionismus anschließe. Antizionismus bedeutet auf einer interkulturellen und interethnischen Ebene schließlich die Auflehnung gegen Apartheidregime im Allgemeinen, in denen das Leben einer Ethnie mehr zählt als das Leben einer anderen. Ich bin nämlich fest davon überzeugt, dass wir Menschen alle gleich sind. Denn wie der Prophet des Islam so schön sagte: „Die Menschen sind gleich wie die Zähne eines Kammes“.

Evelyn Hecht-Galinski: Welche sind Ihrer Meinung nach die Hauptaussagen der Poesie von Ellen Rohlfs?

Milena Rampoldi: Eine Kernaussage betrifft für mich vorab die stilistische und intentionale Ebene der Poesie. In „Trockene Gedichte“ zeigt uns Ellen Rohlfs auf, warum sie schreibt und schreiben muss und warum ihre Gedichte trocken sind. Diese methodologische Trockenheit durchdringt alle ihre Gedichte, die sie nicht schreiben würde, wäre es nicht notwendig. Den Zwang, Gedichte für Palästina zu verfassen, verbindet Ellen Rohlfs auch mit der Notwendigkeit des Schreis (ganz nach Edward Munchs Gemälde), um laut gegen das Unrecht zu klagen, bis jemand hinhört. Somit hängen Poesie, Gerechtigkeit und Emotionen auch sehr stark zusammen. Das Leid der Palästinenser nimmt Ellen Rohlfs emotional sehr stark mit, und auf dieser Grundlage setzt sie sich für die Rechte der Palästinenser ein. Menschenrechtlerin zu sein bedeutet für sie einfach ein empathischer Drang hin zum Schrei für die Gerechtigkeit für Palästina, gerade als Deutsche, die das NS-Regime hautnah erlebt hat und somit das „Nie Wieder“ auch für Palästina fordert. Aber aus ihren trockenen Gedichten liest sich auch das positive Leitmotiv „I have a dream“ von Martin Luther King heraus; ein Gedicht mit diesem Titel widmet Ellen Rohlfs ihrer Freundin Rachel, der verstorbenen Frau von Uri Avnery. Ein Thema, das auch sehr stark aus den Gedichten von Ellen Rohlfs herausklingt, ist die Bedeutung des interreligiösen Dialogs für die Förderung des Weltfriedens und der gemeinsamen Bemühung aller Monotheisten für die Beendigung der Gewalt im Nahen Osten. Denn es ist gleich zwölf, warnt die Poetin in einem Gedicht.

Evelyn Hecht-Galinski: Wie wichtig sind Frauen im Kampf für die Menschenrechte?

Milena Rampoldi: Als muslimische Feministin bin ich felsenfest davon überzeugt, dass Frauen der Pfeiler aller Gesellschaften sind, und dies unabhängig von Kultur, Sprache, Religion und Tradition. Und gerade im Kampf gegen Gewalt und Menschenrechtsverstöße können die Frauen in unseren Gesellschaften einen großartigen Beitrag leisten. In Palästina wie auch anderswo: Frauen lehnen sich gegen die Besatzung auf, Frauen harren in den Gefängnissen aus, Frauen kämpfen für ihre Kinder, Frauen protestieren gegen Gewalt und Diskriminierung. Frauen, die noch nicht so weit sind, erlernen das Menschenrechtsbewusstsein von den anderen Frauen. Und dieses Bewusstsein hat mit Empowerment und Würde zu tun. Denn auf starken und würdevollen Frauen baut jede Gesellschaft ihre Menschenrechtsarbeit auf.

1 Kommentar zu Poesie und weibliche Menschenrechtsarbeit: ein Interview mit Milena Rampoldi über Ellen Rohlfs

  1. Eine Bahnfahrt, zu Beginn der 1990er Jahre von Hannover nach Oldenburg, wurde für mich durch die Begegnung mit meiner Abteil-Nachbarin zu einem Schlüsselerlebnis. Die gepflegte grauhaarige ältere Dame neben mir, hatte einen Sticker mit 2 gekreuzten Flaggen am Kostüm: die israelische und die palästinensische. Beginnend mit meinen Fragen, seit jener Bahnfahrt, hat das Gespräch mit dieser Dame, es ist Ellen Rohlfs, nie ein Ende gefunden. Sie wurde mir ein Vorbild für menschliche Wärme und für beharrlich und nicht-endendes Engagement für die entrechtete und ihrer Ehre beraubten Palästinenser. Dabei hatte es bei Ellen mit Empathie und Verantwortung gegenüber jenen, die vorher aufgrund des verbrecherischen Nazi-Regimes in Deutschland Opfer geworden waren, begonnen. Und nun musste sie, in Kibbuzim und anderswo in neuen Staat erleben, wie Zionisten neues Unrecht verübten und weiterhin verüben. Nur eine grundsolide und ethische Erziehung durch ihre Elternhaus müssen ihr wohl die Kraft dazu gegeben haben, ihr Engagement trotz, wie sie es schmerzhaft empfindet, Stillstands, ja Entwicklung zum immer Schlimmeren, für die unterdrückten Palästinener überhaupt zu ertragen. Möge ihr, der lieben Freundin, diese Kraft lange erhalten bleiben!

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