Ukrainekonflikt: «Der Westen will keine Verhandlungen» Interview mit Jacques Baud*

 

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Ukrainekonflikt: «Der Westen will keine Verhandlungen»
«Der Westen ist bereit, seine eigenen Bürger zu opfern,
um von Dogmatismus und Ideologie geleitete Ziele zu erreichen»
Interview mit Jacques Baud*

Zeitgeschehen im Fokus: Die Geländegewinne im Grossraum Charkow werden von den westlichen Medien als durchschlagender Erfolg der Ukrainer gefeiert. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?

Jacques Baud Die Rückeroberung der Region Charkow Anfang September scheint ein Erfolg für die ukrainischen Streitkräfte zu sein. Unsere Medien jubelten, sie übernahmen die ukrainische Propaganda und vermittelten uns ein Bild, das nicht der Realität entsprach. Eine genauere Betrachtung der Operationen hätte die Ukraine zu mehr Vorsicht veranlassen können.

Aus militärischer Sicht ist diese Operation ein taktischer Sieg für die Ukrainer und ein operativ-strategischer Sieg für die russische Koalition.

Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?

Auf ukrainischer Seite stand Kiew unter Druck, auf dem Feld Erfolge zu erlangen. Wolodymyr Selenskij hat Angst, dass die westliche Unterstützung ausbleiben könnte, und die Amerikaner drängten ihn, Offensiven im Raum Cherson zu starten. Diese Offensiven, die ungeordnet, mit enormen Verlusten und ohne Erfolg durchgeführt wurden, führten zu Spannungen zwischen Selenskij und seinem Generalstab.

Einige westliche Experten hatten bereits vor Wochen die Präsenz der Russen in Charkow in Frage gestellt, da diese eindeutig keine Absicht hatten, in der Stadt zu kämpfen. In Wirklichkeit diente ihre Präsenz in der Region einzig und allein dazu, die ukrainischen Truppen zu fixieren, damit sie nicht in den Donbas marschierten, der das eigentliche operative Ziel der Russen ist.

Die im August vorliegenden Informationen deuteten darauf hin, dass die Russen schon lange vor dem Beginn der ukrainischen Offensive geplant hatten, diese Region zu verlassen. Sie zogen sich also geordnet zurück, zusammen mit einigen Zivilisten, die Opfer von Vergeltungsmassnahmen hätten werden können. Ein Beweis dafür ist, dass das riesige Munitionslager in Balaklaya leer war, als die Ukrainer es entdeckten, was beweist, dass die Russen bereits seit einigen Tagen alles sensible Personal und Material evakuiert hatten. Die Russen hatten sogar Sektoren verlassen, die die Ukraine nicht angegriffen hatte. In dem Gebiet blieben nur noch einige Soldaten der russischen Nationalgarde und der Donbas-Milizen zurück.

Zu diesem Zeitpunkt waren die Ukrainer mit zahlreichen Angriffen in der Region Cherson beschäftigt, die seit August immer wieder zu Fehlschlägen und enormen Verlusten für ihre Armee führten. Als die US-Geheimdienste den Abzug der Russen aus der Region Charkow feststellten, sahen sie die Chance auf einen Erfolg für die Ukrainer und gaben ihnen die Informationen. So entschied sich die Ukraine plötzlich, ein Gebiet anzugreifen, das bereits praktisch leer war.

Warum haben sich die russischen Truppen zurückgezogen?

Offenbar hatten die Russen die Durchführung von Referenden in den Oblasten Lugansk, Donezk, Saporoschje und Cherson im Blick und stellten fest, dass das Gebiet um Charkow für ihre Ziele nicht unmittelbar nützlich war und sie sich in der gleichen Situation wie im Juni mit der Schlangeninsel befanden: Der Energieaufwand zur Verteidigung dieses Gebiets war grösser als seine strategische Bedeutung.  Weiterlesen in zeitgeschehen. im fokus. ch

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