Völkerrecht war gestern, Siedlungen sind heute

logo_nrhzEigentlich wollte ich auf die Rede von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vom 12. Februar vor dem israelischen Parlament, der Knesset, gar nicht mehr eingehen. Aber nach den Reaktionen, besser gesagt den Nicht-Reaktionen auf diesen Auftritt möchte ich doch nochmals auf die Rede und den Israel-Besuch von Schulz eingehen.

Es war ein inszenierter Skandal, wie Prof. Dr. Moshe Zuckermann von der Tel-Aviver Universität in einem der wenigen treffenden Kommentare auf die Rede in der jungen Welt schrieb. Schulz hat meiner Meinung nach ein schreckliches Beispiel der deutschen Anbiederung als europäischer Funktionsträger geboten. Wie kann man es sonst verstehen, dass er selbst seine Rede als „pro-israelisch“ bezeichnete? Ein EU-Parlaments-präsident hat keine „pro-israelische“ Rede zu halten, sondern eine „pro-demokratische“! Diese Chance hat er allerdings gründlich verpasst und verdient daher für meinen Begriff auch keinerlei Solidarität!
Die zeigte schon Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, als für Gelassenheit und Besonnenheit plädierte und auf die von Vertrauen und Freundschaft geprägten deutsch-israelischen Beziehungen hinwies, von der die Gedanken der israelischen Politiker und auch die Gedanken von Martin Schulz getragen würden. Bei soviel triefendem Verständnis braucht Schulz wahrlich kein Verständnis unsererseits, sondern Kritik für seine Rede der verpassten Chancen.
Schulz begann, indem er sich dafür bedankte, die Rede vor der Knesset auf Deutsch halten zu dürfen. Wie schreibt Moshe Zuckermann sehr richtig: Es sei ist die verpönte Sprache von Moses Mendelsohn, Heinrich Heine, Karl Marx, Sigmund Freud, Albert Einstein oder einiger anderer Juden. Aber wie Zuckermann richtig feststellt, werden hier die Begriffe „im Haus der israelischen Demokratie“ (Knesset) und die Selbstdarstellung der Israelis als Opfer vermischt.
Stört es israelische Politiker, die deutsche Sprache zu hören, wenn sie Deutschland besuchen und mit deutschen Politikern über Waffengeschäfte oder andere „sensible“ Themen verhandeln? Stört es israelische Politiker, wenn sie deutsch/israelische Regierungskonsultationen veranstalten?
Wenn Schulz also die Knesset als einen Ort „lebendiger Demokratie “ bezeichnet, kann ich nur den Kopf schütteln. Kann man wirklich ein Parlament so bezeichnen, das rassistische Gesetze verabschiedet, wie unter anderem das Gesetz, welches verhindert, dass palästinensische Bürger durch die Heirat mit einem jüdisch/israelischen Bürger die Staatsbürgerschaft oder die Aufenthaltsgenehmigung für Israel erhalten? Ebenso das Verbot des offiziellen Gedenkens an die Nakba, die Vertreibung der Palästinenser bei und vor der israelischen Staatsgründung 1948?. Oder das Abwesenheitsgesetz, das es Palästinensern, die 1948 vertrieben wurden, die aber immer als „Abwesende“ gelten, unmöglich macht, ihr von Israel konfisziertes Eigentum wieder zu erwerben? Alle diese Gesetze haben nur ein Ziel: den „jüdischen Staat“ rein zu halten vor „Überfremdung“ und die Judaisierung unaufhörlich voranzutreiben.
Vor seinem Knesset-Auftritt hatte Schulz noch die übergroße Empfindlichkeit von Israel gegenüber Kritik aus Europa beklagt und seine Positionen verteidigt, wie: „Ich war in der Knesset verpflichtet, die Position des Europäischen Parlaments darzulegen. Ich kann natürlich nicht nur die Dinge sagen, die allen gefallen. Ich muss auch die konfliktträchtigen Dinge vortragen“. Was aber hat er stattdessen gemacht? Nach dem Besuch von Yad Vashem, wo er von einem ehemaligen israelischen Verfassungsrichter begleitet wurde, „macht kein Deutscher einer israelischen Regierung große Vorhaltungen mehr“, schrieb Nils Minkmar in der F.A.Z. Natürlich nach einer israelischen „Schuld-Inszenierung“, wie sie für alle ausländischen Besucher ständiges Pflichtprogramm ist. Danach werden alle Kritiken und natürlich ganz besonders die von deutschen Besuchern verhindert oder zum Schweigen gebracht.
Derselbe Minkmar, der Schulz auf der Reise begleitete, beschrieb in seinem Feuilleton-Artikel vom 15. Februar den Präsidenten der Palästinenser (Abbas) als einen „gemütlich wirkendem Herrn, dem man seine militante Vergangenheit nicht mehr ansieht“. Komisch, dass sich Minkmar nur bei der Beschreibung des palästinensischen Präsidenten an dessen militante Vergangenheit erinnert, aber terroristische oder militärische Vergangenheiten von israelischen Politikern nicht anspricht. Wieder einmal ein Lehrstück von deutschem eingebettetem/embedded Journalismus in Bezug auf Israel und den Palästina Konflikt. Das Schlimmste an der ganzen Geschichte ist, dass Schulz sehr gut weiß, wie die Wirklichkeit der israelischen Besiedlung und des Wasserraubes aussieht.
Ein Fehler von ihm war doch nur, dass er die Fakten und genauen Zahlen des israelischen und des palästinensischen Wasserverbrauchs nicht direkt gegenüber stellte, die nämlich belegt im Verhältnis von 4:1 liegen! Warum, also in Frageform und einen palästinensischen Jungen zitierend, wo eigentlich die Beschaffung von Material so einfach gewesen wäre, wie zum Beispiel von dem deutschen Hydrogeologen, anerkannten Fachmann und jahrelangen Berater von internationalen Organisationen in den Palästinensergebieten, Clemens Messerschmid, der schon seit vielen Jahren in Ramallah lebt und die traurige Wirklichkeit des israelischen „Wasserklaus“ nur allzu gut kennt. Auch israelische Menschenrechtsorganisationen wie Betselem wären ein guter Ansprechpartner für Schulz in der Wasser- und anderen Menschenrechtsfragen gewesen. Nicht umsonst möchte die Netanjahu-Regierung schon lange den in Israel wirkenden Menschenrechtsgruppen den Geldhahn zudrehen und kritisiert außerdem, dass Europa Menschenrechtsgruppen mit Millionen Euro unterstützt, die laut Israel Israel-feindliche Propaganda betreiben. Ist es nicht vielmehr Tatsache, dass Europa besetzte und von Israel vertriebene und unterdrückte Palästinenser unterstützt? Diese Unterstützung wird nach jedem gescheiterten „Friedensprozess“ erneut gesteigert, da es den Palästinensern wirtschaftlich immer schlechter geht. Da half es nach meiner Meinung auch nicht, dass Schulz zwar eine Selbstverständlichkeit forderte, nämlich dass „die Palästinenser in Frieden leben und unbegrenzte Bewegungsfreiheit haben sollten, was ihnen in Gaza verwehrt würde“. Aber wirklich nur in Gaza? (siehe http://blog.br.de/studio-tel-aviv/2014/02/14/kein-wasseranschluss-in-susiya.html)
In diesem Kontext sind für mich die Formulierungen in der Schulz-Rede vor der Knesset besonders verwerflich, die die besonderen Beziehungen der EU zu Israel bekräftigen. Doch der schlimmste Satz war für mich: „Die israelischen Siedlungen sind nach der Genfer Konvention illegal, aber sie sind auch real“. Und weiter: „Wir brauchen keine Diskussion, ob sie legal oder illegal sind, sondern praktische Lösungen“.
Hier tritt also ein EU Parlamentspräsident die Genfer Konvention und das Völkerrecht mit Füßen, negiert die Rechte der Besetzten, also der Palästinenser, toleriert die illegalen jüdischen Siedlungen und verhilft ihnen auf diese Weise zu einer Legalität. Hier haben wir es meiner Meinung nach mit einem eklatanten Rechtsbruch eines maßgeblichen EU-Funktionsträgers zu tun, der diesen eigentlich für einen höheren Posten disqualifiziert.
Ebenso schlimm war seine klare Absage zum Boykott, denn nichts fürchten der „jüdische Staat“ und die „Kaufmänner von Jerusalem“ mehr, als diese BDS-Androhungen. Sie sind die wirksamste Waffe im Kampf für Gerechtigkeit für die Palästinenser!
Aber die klare Boykott-Verneinung von Schulz, zeigte mir sein „pro-israelisches“ Denken richtig deutlich. Ebenso natürlich der Hinweis, dass die EU keinen Boykott gegen Israel plane oder befürworte und dass es dafür sicher keine Mehrheit gäbe. Und weiter meinte er: „Sofern es Überlegungen gäbe, Sanktionen gegen israelische Produkte oder Einrichtungen zu beschließen, gingen diese nicht von der EU oder ihren Institutionen aus, sondern von einzelnen europäischen Ländern“.
Zur Frage der Kennzeichnungspflicht für Siedler-Produkte in der EU meinte er: „Ich bin mir nicht sicher, ob das helfen würde“. Stattdessen trat er persönlich dafür ein, „die fruchtbare Zusammenarbeit der EU mit Israel zu vertiefen“.
Auch hier irrt Martin Schulz gewaltig. Ein gemeinsam abgestimmter EU-Boykott als letztes Druckmittel wäre ein mehr als wirksames Mittel gegen die israelische Politik. Und die Frage der Kennzeichnungspflicht für Siedler-Produkte ist eigentlich EU-Konsens, oder?
Martin Schulz will die „fruchtbare Zusammenarbeit“ mit Israel vertiefen – und die Palästinenser werden ausgetrocknet! Ist das die Politik, wofür die EU mit dem Friedensnobelpreis geehrt wurde? Ist es nicht in Wirklichkeit immer wichtiger, den EU-Druck zu verstärken, um das Völkerrecht und die Menschenrechte, auch und gerade von Israel einzufordern, dem „Licht unter den Völkern“, das dem palästinensischen Volk aber das Leben verdunkelt? Bei der Ukraine, oder in anderen Ländern sind sie doch immer sofort zur Stelle mit Boykottandrohungen. Aber bei der „einzigen Demokratie “ im Nahen Osten, der Ethnokrathie Israel, werden beide Augen zugedrückt, und das Völkerrecht ist von gestern.Menschenrechtsverletzungen, Besatzung, werden toleriert, weil es ja von deutscher Seite eine besondere Verantwortung gegenüber Israel gibt. Da irren Sie sich aber gewaltig, Herr Präsident Schulz. Auch und gerade als Deutscher haben Sie auch eine Verantwortung für die Palästinenser und die Menschenrechtsverletzungen gegenüber diesen, auch wenn sie von Juden begangen werden, die sich als Nachfahren der Shoah-Überlebenden und ewige Opfer stilisieren.

Verbrechen bleiben Verbrechen, egal wer sie begeht!
Halten Sie, Präsident Schulz, eigentlich die Annahme der Ehrendoktorwürde der Hebräischen Universität von Jerusalem für angebracht, obwohl die auf geraubtem palästinensischem Boden steht? Die Universität würdigte mit der Auszeichnung Ihren Einsatz als deutschem Sozialdemokraten gegen Antisemitismus und Intoleranz. Sollte der Kampf gegen Antisemitismus und Intoleranz nicht eine Selbstverständlichkeit für jeden demokratischen Europäer sein? Haben wir es hier nicht erneut mit der jüdisch/israelischen Taktik zu tun, Politiker oder Amtsträger mit Preisen und Ehrungen zu überschütten, um sie so von Kritik an israelischen Menschenrechtsverletzungen abzuhalten?
Ist nicht der Begriff des Antisemitismus inzwischen zu einem inflationären Kampfbegriff geworden, jetzt noch verstärkt durch das Beharren und den Anspruch Israels auf Anerkennung als „jüdischer Staat“?
Bekommt so nicht der Philosemitismus der Israel-Unterstützer eine immer stärkere Bedeutung?
Gegen diese Form des „anderen Antisemitismus“ sollten wir massiv vorgehen. Mittlerweile umgibt sich der „jüdische Staat“ immer mehr mit diesen Israel-Verstehern und christlichen Zionisten – eine höchst gefährliche Entwicklung. So kann man jeden Israel-Kritiker mundtot machen, wenn man ihn als Antisemiten beschimpft, da er ja die Juden kritisiert. Eine gefährliche Entwicklung, die schlussendlich JEDEN der Israel kritisiert, treffen kann.
Darum sollte es gerade der EU-Präsident vermeiden, vom „jüdischen Staat“ und vom „jüdischen Volk“ zu sprechen, wenn Israel und seine Bürger gemeint sind. Erinnern wir uns an Schlomo Sand: „Es gibt kein jüdisches Volk und es gibt keinen jüdischen Staat“.
Aber es gibt für Europa eine Pflicht, an alle Regierungen die gleichen Forderungen zu stellen und sie nach den selben Kriterien zu behandeln, egal welcher Nationalität oder Religionszugehörigkeit sie sind. Erst dann werden wir eine Wertegemeinschaft haben – auch mit Israel, aber so nicht! (PK)

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