
Auch ich habe dieses faszinierende Buch gelesen und bewundere Arno Luik dafür, dass er trotz dieser niederschmetternden Krebs-Diagnose so einen scharfsinnigen politischen Blick beibehielt und in diesem Tagebuch veröffentlichte. Was für eine Leistung! Ein unbedingt empfehlenswertes Buch.
Dank an die Nachdenkseiten. Evelyn Hecht-Galinski
https://www.nachdenkseiten.de/?p=96053
Gestern war ich noch mitten im Leben, heute bin ich draußen und mit dem konfrontiert, was wir alle wissen, die meisten irgendwie verdrängen. Doch für mich ist es nicht mehr möglich, dieses Wissen auszublenden: dass wir alle sterben müssen. Das Mistviech in meinem Körper hämmert mir dieses Wissen ja ohne Unterlass in den Kopf: Ich hab‘ Dich im Griff! Und ich würde es gerne anbrüllen: Komm raus, Du blödes Viech! Aber das böse Tier denkt nicht daran. Ob Bestrahlung, Chemo es zermürben, erwürgen?“ Diese Zeilen stammen aus dem Buch „Rauhnächte“ des Bestseller-Autors Arno Luik – für ihn mit Abstand der wichtigste Text, den er in seinem Leben geschrieben hat. Ein Text, entstanden in einer Extremsituation, der, ja, auch deswegen anregt, das Selbstverständliche nicht als Selbstverständliches zu sehen. Nach seiner Krebsdiagnose, die Luik im vergangenen Spätsommer bekam, macht er das, was er vorher nie tat: Er schreibt ein Tagebuch. Er notiert seine Innenansichten, seine Albträume, seine Sehnsucht nach Leben – aber plötzlich geht es um viel mehr: um diese zerrissene, malträtierte Welt. Die so schön sein könnte, wenn, zum Beispiel, die Regierenden nicht … Ein Auszug aus dem Buch, das am 3. April erschienen ist.
17. Oktober 2022
Jetzt geht’s los. Ich bin im UKE, ich liege im MRT, werde hin- und hergefahren; ich versuche, mich von allem wegzuträumen … höre die Stimme einer Krankenschwester, »Ihre Blase ist recht voll, wollen Sie sich noch erleichtern …?« Ich will gar nix, ich will abtauchen, weg von diesen Geräten, diesem Summen und Brummen, ich …
… vorvergangenen Sonntag waren Wahlen in Niedersachsen, sie gingen mehr oder weniger aus wie erwartet: Es wird eine rot-grüne Regierung geben.
Zwar haben die Grünen etwas weniger Stimmen bekommen, als sie erhofft hatten – sie kamen aber immerhin auf knapp 15 Prozent der Wählerstimmen.
15 Prozent. Bedrückend.
Bei der Frage, wen würden Sie kommenden Sonntag bei der Bundestagswahl wählen, liegen die Grünen auf Platz zwei, bei rund 20 Prozent.
20 Prozent. Sehr bedrückend.
Denn: Die Grünen sind die Partei, die wie keine andere für Aufrüstung, Krieg, Konfrontation mit Russland, das es (O-Ton Baerbock) »zu ruinieren« (!) gilt, steht.
20 Prozent der Wähler (und Wählerinnen) sind damit für eine Partei, die mit einer außergewöhnlichen moralischen Rigidität und einem selbstgerechten Furor für eine Politik eintritt, die in den Dritten Weltkrieg führen kann.
In den 1990er-Jahren war ich mal Chefredakteur der taz. Es war die Zeit der aufziehenden Balkankriege. Ich hielt die Nato-Osterweiterung für keine gute Idee, ich war (auch mit Kommentaren) gegen eine Beteiligung der deutschen Armee an diesen Kriegen. Gegen diese Position (g)eiferten Teile des taz-Auslandsressorts, des Meinungsressorts, des Inlandsressorts.
Der Hintergrund: Die Grünen mit Joschka Fischer wollten damals mit aller Macht an die Macht, und das hieß: Bedingungsloses Ja zu Nato und zur Bundeswehr, bedingungsloses Ja zur Nato-Osterweiterung, Ja zu einer möglichen Beteiligung an dem absehbar drohenden Angriffskrieg gegen Serbien.
Und Joschka Fischer war klar, dass es extrem wichtig ist, dass die taz als Sprachrohr der Grünen, auch linker (Gegen)-Öffentlichkeit, auf diesen Pro-Nato-Kurs einschwenkt und ihn publizistisch unterstützt – dass dies viel wichtiger ist als das selbstverständliche Ja der FAZ zum Militarismus.
Es ging um nichts weniger als die Umerziehung einer Bevölkerung, die kritisch gegenüber der Armee, in ihrer überwiegenden Mehrheit ablehnend gegen Kriegseinsätze war. Es galt, die Skepsis, die Unwilligkeit der zu vielen Friedenswilligen zu überwinden. Es ging darum, den grün-alternativen Pazifismus, dieses lästige Gedankengut, auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen.
Es war ein Kampf um die Herzen und Köpfe.
Entsprechend heftig agierten Fischers Bodentruppen in der taz gegen mich, machten mir das Leben schwer.
Ein Beispiel: Ich wusste, dass Rolf Winter, großer Journalist der alten BRD, Ex-Stern-Chef, Ex-Geo-Chef, aufgrund persönlicher Erfahrungen in Jugoslawien während des Zweiten Weltkriegs ein Anti-Militarist geworden ist. Ihn bat ich, einen Essay über den um sich greifenden Militarismus zu schreiben – heraus kam ein fulminantes pazifistisches Manifest. Nur: Für mich war es unmöglich, diesen Essay in der taz zu publizieren; das ginge, hieß es, in dieser historischen Situation nicht. Weiterlesen in den nachdenkseiten.de
Arno Luik
Rauhnächte
Über das Buch
Von der Lust auf Leben
„Gestern war ich noch mitten im Leben, heute bin ich draußen und mit dem konfrontiert, was wir alle wissen, die meisten irgendwie verdrängen. Doch für mich nicht mehr möglich ist, dieses Wissen auszublenden: dass wir alle sterben müssen. Das Mistviech in meinem Körper hämmert mir dieses Wissen ja ohne Unterlass in den Kopf: Ich hab‘ Dich im Griff! Und ich würde es gerne anbrüllen: Komm raus, Du blödes Viech! Ob Bestrahlung, Chemo es zermürben, erwürgen?“ Nach seiner Krebsdiagnose, die Bestseller-Autor Arno Luik im vergangenen Spätsommer bekam, macht er das, was er noch nie tat: Er schreibt ein Tagebuch. Er notiert seine Innenansichten, den Schrecken, die Albträume, seine Sehnsucht nach Leben – aber plötzlich geht es um viel mehr als das persönliche Drama: um diese zerrissene, malträtierte Welt. Die so schön sein könnte, wenn die Regierenden nicht …
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