BDS – die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor Kampf gegen Rassismus nicht spalten Christoph Glanz – interviewt von Anneliese Fikentscher

 


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BDS – die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor
Kampf gegen Rassismus nicht spalten
Christoph Glanz – interviewt von Anneliese Fikentscher

Am kommenden Freitag, dem 22. November 2019, referiert der Palästina-Experte Christoph Glanz in Aachen über die ethische, rechtliche und politische Berechtigung der weltweiten, 2005 gegründeten palästinensischen Menschenrechtskampagne BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen). Deren Ziel ist es, Israel zu veranlassen, internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachzukommen. Die Neue Rheinische Zeitung stellt im Vorfeld einige Fragen. In seinen Antworten vermittelt Christoph Glanz eine zentrale Botschaft: Jegliche Form von Rassismus muss in den Blick genommen werden. Der Rassismus Israels darf nicht ausgeblendet werden. Der Kampf gegen Rassismus darf nicht gespalten werden.


Christoph Glanz: „BDS – die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor“, Vortrags- und Diskussionsveranstaltung zur Palästina-Israel-Problematik, Freitag, den 22. November 2019, 20 Uhr, Aula des Aachener WeltHaus, An der Schanz 1. Veranstalter: Aachener Aktionsgemeinschaft „Frieden jetzt!“

Was hat Dich mit dem Thema Palästina/Israel in Verbindung gebracht?

Mich beschäftigen seit Teenagertagen die politischen Themen Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Macht und Ohnmacht.

Am kommenden Freitag hältst Du einen Vortrag zu BDS (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen), der zivilen Widerstandskampagne des palästinensischen Volkes. Die israelische Regierung gibt einen Haufen Geld aus, um VertreterInnen und UnterstützerInnen dieser Kampagne – insbesondere im Ausland – zu diffamieren. Wie schätzt Du die Verdrehung von Tatsachen und den Gebrauch von üblen Vorwürfen ein?

Die israelische Regierung und ihre AnhängerInnen sind ja in einer schwierigen Situation: jedem Menschen mit vernünftigem politischen und humanistischen Kompass ist glasklar, dass das Unrecht, das Israel gegenüber den PalästinenserInnen begeht, nicht haltbar ist und enden muss. Meines Erachtens sprechen alle Fakten und Argumente gegen sie. In dieser Situation gibt es für ideologische ZionistInnen dann nur noch den Angriff durch Schmutzkampagnen.

Auch jüdische Menschen werden von üblen Attacken und Pöbeleien nicht verschont. Nur ein Beispiel ist die diesjährige Verleihung des Göttinger Friedenspreises an die Organisation „Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden in Nahost“. Mit der Einrichtung von Antisemitismus-Beauftragten sind Denunziationen Tor und Tür geöffnet. Es steht der Beschuldigung von jüdischen Menschen, die die unrechtmäßige israelische Politik kritisieren und auf Lösungen orientieren, nichts im Wege. Jüdische Menschen können von deutschen Einrichtungen die Bezeichnung „AntisemitIn“ verliehen bekommen. Wohin soll das noch führen?

Antisemitismus existiert und muss bekämpft werden bis er nur noch ein Kapitel im Geschichtsbuch darstellt. Deswegen ist die Einrichtung von “Antisemitismusbeauftragten” auch nicht abwegig. Es gibt dabei zwei Probleme: de facto verstehen sich diese Antisemitismusbeauftragten in ihrer Praxis gar nicht als institutionalisierte Kämpfer gegen den Antisemitismus, sondern als ideologische Verteidiger eines Staates. Wer das nicht unterscheiden kann, dem ist nicht mehr zu helfen.

Außerdem gibt es das Problem, dass derartige Ämter einen Beitrag dazu leisten, den Kampf gegen jegliche Form von Rassismus zu spalten. Genau das darf aber nicht geschehen. Wir müssen vereint aufstehen gegen jede Form von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit, gleich ob diese sich nun gegen Frauen, Juden, Menschen mit Behinderungen, Muslime, LGBTQ-Menschen… richtet. Da jede dieser Rassismen eine eigene Geschichte und spezielle Ausprägungen hat, müssen wir neben allen Überschneidungen eben auch die Unterschiede in den Blick nehmen.

Zionismus trägt antisemitische Züge

Was mir auch wichtig ist: wir sollten nicht überrascht darüber sein, dass Israel-FanatikerInnen mittlerweile keinerlei Scham mehr empfinden Jüdinnen und Juden anzugreifen und zu verleumden. Dies liegt in der Natur ihrer Ideologie, die eben   n i c h t   jüdisch ist, sondern: zionistisch.

Ein Beispiel: Hedy Epstein war eine in Deutschland geborene Jüdin. Sie überlebte den Nazifaschismus nur dank der Kindertransporte. Zeit ihres Lebens hat sie sich progressiven politischen Zielen verschrieben. Im höheren Alter gehörte dazu, dass sie mehrere Jahre lang mit dem International Solidarity Movement in der besetzten Westbank Freiwilligendienste leistete. Wie reagiert der israelische Staat darauf? 2004 wird sie am Tel Aviver Flughafen dazu gezwungen sich nackt auszuziehen und sie wird in allen Körperöffnungen auf “verdächtige” Gegenstände untersucht. Als 80jährige Friedensaktivistin, als Überlebende der Shoah!

Israel praktiziert Rassismus auf vielen Ebenen seines Staatsgebildes. Es ist nicht widersprüchlich, sondern auf eine kranke Weise logisch, dass der Staat rege mit Diktatoren aller Coleur und darunter eben auch explizit rassistischen und sogar antisemitischen zusammenarbeitet. Israel war “best friends” mit dem Apartheidregime in Südafrika und ist es heute beispielsweise mit dem philippinischen Machthaber Duterte. Nur wenige Monate nachdem dieser angekündigt hatte, mehrere Millionen Drogenabhängige in seinem Land “abschlachten” zu wollen und sich dabei in einem positiven Sinne mit Hitler verglich, fuhr er nach Israel, warf einen Kranz in der Gedenkstätte Yad Vashem ab – und ließ sich dann die neuesten Waffen der israelischen Industrie vorführen. Er fuhr mit großen Rüstungsverträgen nach hause.

Wir müssen immer stärker beleuchten, dass Zionismus häufig antisemitische Züge trägt.

Wie meinst du das?

Die Angriffe gegen unsere jüdischen MitstreiterInnen in der Solidaritätsbewegung basieren auf mehreren unhaltbaren rassistischen Annahmen. Erstens wird suggeriert, dass “die Juden” eine monolitische Einheit wären – alle gleich. Das ist natürlich genau so blödsinnig wie jede andere Behauptung, die mit “Alle Menschen der Gruppe XY sind…” beginnt. JüdInnen wird damit das Recht abgesprochen, eine eigene politische Meinung zu vertreten. Es ist aber noch schlimmer: indirekt wird damit behauptet, alle Jüdinnen und Juden weltweit würden mit angeborener Nibelungentreue gegenüber dem Staat Israel geboren und den durch diesen Staat regelmäßig begangenen Verbrechen. Aufgrund dieser rassistischen Annahme werden Menschen mit jüdischer Identität, die die Menschenrechte der PalästinenserInnen anerkennen als „selbsthassende Juden“ diffamiert! Diese Form von Antisemitismus leugnet alle, teils Jahrhunderte alten Strömungen im Judentum, ob nun säkular oder politisch, die humanistischen, linken, progressiven Zielen verpflichtet sind.


Demonstration „Palästina spricht!“ am 28.6.2019 vor dem Bundestag anlässlich des Anti-BDS-Beschlusses des Bundestages (Foto: Christoph Glanz)

Christoph Glanz ist seit mehreren Jahren für die BDS-Kampagne aktiv. Er hat in Israel und Palästina gelebt und gearbeitet und beschäftigt sich seit zwei Jahrzehnten intensiv mit der Region.

Weitere Informationen zur BDS-Kampagne:

http://bds-kampagne.de/
https://bdsmovement.net/
http://bds-kampagne.de/2019/08/04/der-antideutsche-diskurs-ist-rassistisch- entmenschlichend-und-antisemitisch/

Online-Flyer Nr. 726  vom 20.11.2019

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