Beim Pegasus-Spionagestreit geht es in Wirklichkeit darum, wer Cyberwaffen kontrolliert Von Jonathan Cook

Pegasus spyware row is really about who controls cyber weapons

Washington’s ban on NSO Group is not about safeguarding human rights. It’s about curbing Israel’s dominance of ‚espionage diplomacy‘

Bild: Das Logo der israelischen Firma NSO Group ist in einer Niederlassung im Süden Israels im Juli 2021 zu sehen (Reuters)


Beim Pegasus-Spionagestreit geht es in Wirklichkeit darum, wer Cyberwaffen kontrolliert


Von Jonathan Cook


31 Januar 2022


Bei Washingtons Verbot der NSO Group geht es nicht um den Schutz der Menschenrechte. Es geht darum, Israels Dominanz in der „Spionagediplomatie“ zu bremsen.

Die israelische Spionagesoftwarefirma NSO Group ist im vergangenen Jahr kaum aus den Schlagzeilen gekommen.

Ihr Spionageprogramm Pegasus schleust sich in Telefone ein, greift auf Daten zu und schaltet Mikrofon und Kamera ein, um sie rund um die Uhr zu überwachen. Autoritäre Staaten haben Berichten zufolge die Cyberwaffe von NSO gekauft und sie für schändliche politische Zwecke eingesetzt, um Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Bürgerrechtsanwälte und Oppositionsparteien ins Visier zu nehmen.

Cyberwaffen werden, wie konventionelle Waffen, nicht verschwinden. Sie werden nur immer raffinierter, invasiver und zerstörerischer werden.

Am bekanntesten ist vielleicht, dass Mitarbeiter des Journalisten Jamal Khashoggi, eines Kritikers der saudischen Regierung, der 2018 in der saudischen Botschaft in Istanbul ermordet wurde, später Pegasus auf ihren Telefonen hatten. Und letzten Monat wurde berichtet, dass die Spionagesoftware 2019 auf dem Telefon von Kamel Jendoubi verwendet wurde, als er im Auftrag der Vereinten Nationen mögliche saudische Kriegsverbrechen im Jemen untersuchte.

Die Regierung von US-Präsident Joe Biden setzte NSO und Candiru, einen weiteren israelischen Entwickler von Überwachungssoftware, im November auf eine schwarze Liste und untersagte US-Firmen, sie mit Technologie zu beliefern. Washington erklärte, die militärischen Software-Tools dieser Unternehmen würden zur „grenzüberschreitenden Unterdrückung“ eingesetzt und schadeten den nationalen Interessen der USA.

Der von der Opposition geführte polnische Senat schloss sich der Gegenreaktion letzte Woche an und kündigte an, ein Gesetz zur Regulierung von Überwachungssoftware wie Pegasus auszuarbeiten, nachdem damit die Telefone mehrerer Oppositionsführer überwacht worden waren. Das Gesetz hat kaum Chancen, verabschiedet zu werden. Berichten zufolge hat das polnische Justizministerium die Spionagesoftware 2017 gekauft, angeblich als Teil einer Anti-Korruptionskampagne.
Selektive Empörung

Doch während es international viel selektive Empörung über NSO gab, weil es von Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen profitiert, wird das eigentliche Problem weitgehend verdrängt.

Hier geht es nicht um eine bessere Regulierung einiger weniger Privatunternehmen, die aus dem Ruder gelaufen sind. Hier geht es um den Kampf um die Kontrolle über eine sich rasch entwickelnde Cyberwaffenindustrie, die nicht nur äußerst profitabel ist, sondern den Staaten, die diese Industrie kontrollieren können, auch enormen Einfluss auf andere Staaten verleiht.

Die Realität ist, dass Cyberwaffen ebenso wie konventionelle Waffen nicht verschwinden werden. Sie werden nur immer raffinierter, invasiver und zerstörerischer – und profitabler.

Bislang hat Israel das Feld dominiert. Das liegt vor allem daran, dass die israelische Industrie für konventionelle und Cyberwaffen großzügig mit US-Militärhilfe subventioniert wurde und dass die besetzten Palästinenser ein ideales Labor für die Erprobung der neuen Technologien darstellten.

Dies könnte sich jedoch ändern, da Washington beginnt, gegen israelische Pionierunternehmen wie NSO und Candiru vorzugehen, wodurch es für sie wesentlich schwieriger wird, ihre Produkte zu verkaufen. Im letzten Monat wurde berichtet, dass NSO kurz vor der Insolvenz steht.

Während die Regierung Biden ihre Maßnahme als einen Weg zum Schutz der Menschenrechte vor Offensivsoftware verpackt hat, scheinen ihre Motive weit weniger uneigennützig zu sein. Ein Blick auf Israels eigene Rolle bei der Entwicklung der Cyberwaffenindustrie zeigt, was wirklich auf dem Spiel steht.
Polizeieinsatz

In diesem Monat wurde bekannt, dass die Pegasus-Software von NSO nicht nur von böswilligen Akteuren im Ausland verwendet wurde, sondern auch von israelischen staatlichen Stellen verdeckt gegen Gegner der rechtsextremen israelischen Regierung eingesetzt wurde, und zwar sowohl in den besetzten Gebieten als auch in Israel selbst.

Die israelische Polizei musste kürzlich zugeben, dass auch sie Pegasus eingesetzt hat. Berichten zufolge kaufte sie 2013 eine frühe Version der Software, lange bevor ihr Einsatz anderswo entdeckt wurde.

Zu den Zielpersonen in Israel gehörten die Anführer der Proteste, die 2019 zum Sturz des ehemaligen Premierministers Benjamin Netanjahu führten. Netanjahu steht derzeit wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht und bereitet sich Berichten zufolge auf einen Vergleich vor.

Die israelische Wirtschaftszeitung The Calcalist hat über einen Fall berichtet, in dem die Polizei Pegasus eingesetzt hat, um Details über das Sexualleben einer sozialen Aktivistin zu sammeln.

In Israel hat sich die Debatte über die Spionageaktion der Polizei weitgehend auf technische Fragen beschränkt. Hatte die Polizei eine gerichtliche Erlaubnis, bevor sie diese Spionagesoftware militärischer Qualität einsetzte? Um das herauszufinden, wurde eine Untersuchungskommission eingesetzt. Doch diese Untersuchung soll vom eigentlichen Thema ablenken.
Intime Bindungen

Die jüngsten Enthüllungen bestätigen ein Muster, das jedem aufmerksamen Beobachter bereits klar war: Der israelische Staat versagt nicht nur bei der Regulierung von NSO. Er arbeitet Hand in Hand mit dem Unternehmen – und anderen wie ihm.
Sahar Francis, Direktorin der palästinensischen Nichtregierungsorganisation Addameer, forderte die UNO auf, zu untersuchen, wer hinter dem Einsatz von Pegasus auf den Telefonen palästinensischer Rechtsaktivisten im November 2021 steckt (AFP)

Der erste direkte Hinweis auf die Komplizenschaft des israelischen Staates mit NSO tauchte im vergangenen November auf, kurz nachdem Israel sechs prominente palästinensische Menschenrechtsgruppen zu Terrororganisationen erklärt hatte – obwohl diese unwahrscheinlichen Behauptungen nie durch Beweise untermauert wurden.

    Israel kann nicht einfach als ein weiterer unseriöser Käufer von NSOs offensiver Spionagesoftware behandelt werden

Innerhalb weniger Tage wurde bekannt, dass die Telefone einiger führender Mitarbeiter der palästinensischen Gruppen mit Pegasus-Software infiltriert worden waren. Daraus ergab sich eine verblüffende Schlussfolgerung: Nur israelische Sicherheitsdienste hatten sowohl das Motiv als auch die Mittel, diese palästinensischen Organisationen auszuspionieren.

Nun, da neue Enthüllungen über den Einsatz von Pegasus durch die israelische Polizei bekannt geworden sind, lassen sich die engen Verbindungen zwischen dem israelischen Staat und Firmen wie NSO nicht mehr leugnen. Laut dem erfahrenen Militäranalysten von Haaretz, Amos Harel, ist NSO sogar „Teil des Herzens und der Seele des israelischen Establishments“. Israel kann nicht einfach als ein weiterer unseriöser Käufer von NSOs offensiver Spionagesoftware behandelt werden.
Blindes Auge

Pegasus wurde von ehemaligen Mitgliedern der israelischen Cyber-Teams und Geheimdienste entwickelt und stützt sich auf militärische Forschung, die von Israel und den USA finanziert wurde. Wie andere Veteranen der israelischen Armee haben auch die NSO-Mitarbeiter ihr Know-how durch Tests von Überwachungsinstrumenten an Palästinensern erworben.

Das israelische Verteidigungsministerium erteilt Lizenzen für die Ausfuhr der NSO-Spionagesoftware. Es wurde immer behauptet, dass die Software ausschließlich an die Sicherheitskräfte demokratischer Länder im Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus verkauft wird.

Bald stellte sich heraus, dass NSO in Wirklichkeit von der Überwachung und dem Missbrauch – und manchmal der Ermordung – von Regimegegnern profitierte, seien es Journalisten, Anwälte, Politiker oder Menschenrechtsaktivisten. Es war Israel, nicht nur NSO, das die Augen vor diesen Informationen verschloss.
Pegasus-Projekt: Warum ich ins Visier israelischer Spionageprogramme geraten bin
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Und das war aus gutem Grund. Die Auswahl der Kunden, an die NSO verkaufte, schien nicht zufällig zu sein. Seine Kunden waren Israels engste Verbündete sowie Staaten, zu denen Israel aus politischen und diplomatischen Gründen engere Beziehungen aufbauen wollte.

Dazu gehörten auch die repressiven Golfstaaten, die immer engere Beziehungen zu Israel entwickelten, was im Abraham-Abkommen von 2020 gipfelte.

Einem Bericht der New York Times von letzter Woche zufolge intervenierte der damalige Premierminister Netanjahu persönlich, um den Vertrag zwischen Saudi-Arabien und NSO zu verlängern, nachdem das Verteidigungsministerium eine Exportlizenz abgelehnt hatte, nachdem die Ermordung Khashoggis im Jahr 2018 für schlechte Publicity gesorgt hatte.

Israel wollte auch die Beziehungen zu ultranationalistischen Regierungen in Osteuropa und Indien vertiefen, Länder, auf die sich Israel in internationalen Foren verlässt, um sich gegen das palästinensische Streben nach Staatlichkeit auf seine Seite zu stellen.

Auf einer Konferenz im vergangenen Monat wies Eli Pincu, der ehemalige Leiter des Teams im israelischen Verteidigungsministerium, das den Export von Pegasus beaufsichtigte, auf die Verpflichtungen des israelischen Staates gegenüber NSO hin: „Wenn ein Unternehmen, das in irgendeiner Weise den Interessen des Landes diente, auf die schwarze Liste der USA kommt … ist der Staat Israel dann nicht verpflichtet, es zu unterstützen, es zu verteidigen und sich mit dem Problem zu befassen?“

Ein anderer israelischer Analyst hat dies als „Spionagediplomatie“ bezeichnet. Die Überlegung war: „Ich gebe euch die Mittel zur Unterdrückung eurer internen Gegner, wenn ihr im Gegenzug meine Unterdrückung der Palästinenser unterstützt.“
Auf die falsche Fährte gelockt

Doch die NSO – und damit auch Israel – hat zu viele mächtige Interessen auf den falschen Fuß gebracht. Meta (ehemals Facebook) und Apple, zwei der reichsten transnationalen Unternehmen der Geschichte, verklagen die NSO in den USA wegen des Hackens ihrer Produkte. Sie sind wahrscheinlich besorgt, dass solche Infiltrationen das Vertrauen der Verbraucher untergraben haben.

Auch die US-Regierung ist unglücklich darüber, dass Pegasus auf den Geräten ihrer Beamten gefunden wurde. Sie hat bereits große Anstrengungen unternommen, um an dem Wikileaks-Gründer Julian Assange ein Exempel zu statuieren, und versucht, ihn auf unbestimmte Zeit einzusperren, nachdem er peinliche diplomatische Kabel veröffentlicht und Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hatte.

Es ist allgemein bekannt, dass auf den Telefonen von US-Diplomaten, die in Uganda Dienst tun, kürzlich NSO-Spionageprogramme entdeckt wurden. Zu den wahrscheinlichen Verdächtigen gehören Uganda und Ruanda, beides Kunden von NSO.
US-Präsident Joe Biden spricht im August 2021 in Washington (AFP)

In Anbetracht der harten Realität der zwischenstaatlichen Beziehungen ist es jedoch wahrscheinlich, dass die USA im Geheimen die Pegasus-Software auf den Telefonen von viel mehr ihrer Beamten gefunden haben. Die Klientenstaaten der NSO haben ein Interesse daran, die einzige Supermacht der Welt abzuhören, um zu verstehen, was sie mit ihnen vorhat.

Im Jahr 2015 spionierte ein anderes israelisches Unternehmen, Black Cube, US-Beamte aus, die an den Verhandlungen über ein Atomabkommen mit dem Iran beteiligt waren, das Israel entschieden ablehnte. Washington weiß, dass es die Entwicklung von Spionagesoftware nicht aufhalten kann – und es hat ohnehin kein Interesse daran, diese aufkeimende Industrie zu untergraben. Schließlich benötigt es diese Instrumente für seine eigenen Spionageoperationen, sowohl gegen rivalisierende Staaten als auch zur internen Unterdrückung von Dissidenten.

Was sie jedoch tun können, ist, die Kontrolle über die Cyberwaffenindustrie zu übernehmen, damit die USA entscheiden können, wer Zugang zu der besten Spionagesoftware hat, und technologische Sicherheitsvorkehrungen einzubauen, um zu verhindern, dass sich die Angriffssoftware gegen die USA selbst richtet.

Die Besorgnis über Menschenrechtsverletzungen und Eingriffe in die Privatsphäre wird weiterhin die Schlagzeilen beherrschen. Aber der eigentliche Kampf wird darum gehen, wer als globaler Spionagemeister hervorgeht. Übersetzt mit Deepl.com

Jonathan Cook ist der Autor von drei Büchern über den israelisch-palästinensischen Konflikt und Gewinner des Martha-Gellhorn-Sonderpreises für Journalismus. Seine Website und sein Blog sind zu finden unter: www.jonathan-cook.net

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