Bundesregierung schwurbelt sich die Russland-Sanktionen schön Von Gert Ewen Ungar

Was für eine Truppe! Da gibt es nichts  schön zu schwurbeln. Die Wirklichkeit bleibt ohne  Perspektiven und die Zukunft mehr als unsicher    Evelyn Hecht-Galinski

Bundesregierung schwurbelt sich die Russland-Sanktionen schön

Von Gert Ewen Ungar Die Partei Die Linke hat die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage zu den Russlandsanktionen befragt. Die Anfrage stammt von Anfang Oktober, die Antworten liegen jetzt vor. Die Nachdenkseiten haben sie in einem Beitrag vorab veröffentlicht, der mit „Im Blindflug“ überschrieben ist.

Bundesregierung schwurbelt sich die Russland-Sanktionen schön

Von Gert Ewen Ungar

Die Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken offenbaren die völlige Ahnungslosigkeit der Koalition im Hinblick auf die Auswirkungen. Vor allem aber erschreckt: Es gibt kein Ausstiegsszenario und keinen Plan B. Die Unprofessionalität macht fassungslos.
Bundesregierung schwurbelt sich die Russland-Sanktionen schönQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Christian Spicker

Von Gert Ewen Ungar

Die Partei Die Linke hat die Bundesregierung in einer Kleinen Anfrage zu den Russlandsanktionen befragt. Die Anfrage stammt von Anfang Oktober, die Antworten liegen jetzt vor. Die Nachdenkseiten haben sie in einem Beitrag vorab veröffentlicht, der mit „Im Blindflug“ überschrieben ist. Die Überschrift trifft es ganz gut, denn die Antworten der Bundesregierung machen deutlich, dass sie nicht weiß, welche konkreten Auswirkungen die Sanktionen in Russland haben. Schlimmer noch, sie ist sich der Dürftigkeit ihrer Quellen, so sie denn überhaupt offengelegt werden, überhaupt nicht bewusst. Über weite Strecken schwurbelt die Bundesregierung vor sich hin, reiht Textbausteine aneinander und täuscht ein Wissen vor, das überhaupt nicht existiert. Vor allem aber wird deutlich, dass es weder ein konkretes Ausstiegsszenario noch einen Plan B für den Fall des Scheiterns der Sanktionen gibt. Die Unprofessionalität der Bundesregierung ist erschreckend und fahrlässig. Sie gefährdet durch die Einseitigkeit der ideologischen Fundierung tatsächlich die Zukunft Deutschlands.

Die vermutlich wichtigste Antwort ist die Antwort der Bundesregierung auf die Frage zwei im Fragenkatalog. Die Abgeordneten der Partei Die Linke fragen, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Sanktionen aufgehoben werden. In ihrer Antwort legt die Bundesregierung die Wiederherstellung der territorialen Integrität der Ukraine als Bedingung fest. Das heißt: Nicht nur die Gebiete des Donbass, sondern auch die Krim muss an die Ukraine zurückgegeben werden.

Ganz konkret bedeutet dies, dass die Bundesregierung kein Ausstiegsszenario hat. Selbst Minsk 2, die Vereinbarung für einen Weg zum Frieden und dem Erhalt der Donbass-Republiken als Teil der Ukraine, ließ den Status der Krim unangetastet. Die völkerrechtlich bindende Vereinbarung, bei der unter anderem Deutschland als Garantiemacht fungierte, wurde unter anderem von Deutschland sabotiert. Schon angesichts dieser Tatsache wirkt die stereotype Wiederholung von „Russlands brutalem Überfall“ und „Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg“ durch die Bundesregierung unangemessen und heuchlerisch. Deutschland hatte einen gewichtigen Anteil an der Eskalation hin zum Krieg. Sie leugnet diese Tatsache beständig.

Klar ist, Russland wird die Krim nicht aufgeben. Wer das als Bedingung setzt, will einen dauerhaften Konflikt in Europa. Die Bundesregierung macht deutlich, dass sie ihren Eskalationskurs gegenüber Russland fortsetzen will – koste es, was es wolle. Die Koalition will den Krieg – alternativlos und total.

Die Bundesregierung behauptet, die Sanktionen hätten massive Auswirkungen auf die russische Wirtschaft. Es ist sicherlich richtig, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts hinnehmen muss. Der Rückgang beträgt etwas mehr als zwei Prozent und fällt damit deutlich geringer aus als der Einbruch im ersten Corona-Jahr, als Russland mit einem harten Lockdown auf die Ausbreitung der Infektion antwortete. Von den prognostizierten Einbrüchen um bis zu 16 Prozent ist das allerdings himmelweit entfernt. Die russische Wirtschaft ist stabil. Nach Aussage des russischen Premierministers Mischustin hat Russland die Talsohle bereits durchschritten. Hinzu kommen im Vergleich mit Deutschland ganz andere, deutlich bessere Basisdaten.

Russland ist eines der am niedrigsten verschuldeten Länder der Welt. Das lässt sich weder von Deutschland noch von den Staaten der EU behaupten. Gleichzeitig wiegt der Rohstoffreichtum Russlands schwer. Deutschland hat dem wenig entgegenzusetzen. Offenkundig hat die EU bei der Verhängung der Sanktionen einen schweren Denkfehler begangen und lediglich auf das Bruttoinlandsprodukt geachtet. Das ist in Russland tatsächlich in etwa auf dem Niveau Spaniens. Daraus aber den Rückschluss zu ziehen, man könnte das Land in den Bankrott sanktionieren, war offenkundig falsch.

Gleichzeitig wurde versäumt, einen Plan B für den Fall zu entwickeln, dass der gewünschte Effekt der Sanktionen ausbleibt. Das ist der Fall und sowohl die EU als auch Deutschland stehen vollkommen nackt da. Es wäre längst an der Zeit gewesen für eine Kurskorrektur, für eine diplomatische Offensive, für Verhandlungen. Diese lehnt die Bundesregierung aber ab. Sie beharrt auf der Fortsetzung des Sanktionsregimes, das deutlich negativere Auswirkungen auf Deutschland als auf Russland hat. Augen zu und geradeaus – in den Abgrund.

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Kluges politisches Handeln würde für Deutschland bedeuten, die eigene Abhängigkeit zu erkennen und klug zu moderieren, aber nicht sich selbst von Anbietern abzuschneiden. Die Bundesregierung tut jedoch genau das. Trotz ihrer Abhängigkeit glaubt sie, den für sie größten und wichtigsten Lieferanten unter Druck setzen zu können. Eine pathologisch zu nennende, komplette Illusion.

Die Bundesregierung nennt ihre Quellen nicht. Die einzige Quelle, die sie in ihrer Antwort angibt, ist eine Studie der in den USA ansässigen Yale School of Management vom Juli 2022. Diese Studie sagt den Zusammenbruch der russischen Wirtschaft in nächster Zukunft vorher. Bisher blieb er aus. Die Studie wurde vielfach kritisiert, ihre Methodik in Zweifel gezogen. Daten, die nicht ins Bild passen, werden mit dem Hinweis, dass die russische Regierung negative Daten fälschen würde, relativiert. Daten, die ins Bild passen, werden dramatisiert, weil die russische Regierung nur die halbe Wahrheit veröffentlicht. Mit anderen Worten, die Studie genügt wissenschaftlichen Standards nicht. Sie ist eher in die Rubrik „Propaganda“ einzuordnen. Sie passt zwar ins Russland-Bild vor allem der Grünen, hat aber mit der Realität vermutlich genauso wenig zu tun wie die Studien der grünen Heinrich-Böll-Stiftung oder gar der den Grünen nahestehenden Denkfabrik „Zentrum Liberale Moderne“ zu Russland. Das ist dem Transatlantizismus verpflichtete Propaganda ohne jeden Realitätsbezug.

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Der Verdacht, dieser Mangel an tatsächlich belastbaren Angaben träfe nicht nur auf die genannte, sondern auf alle Quellen zu, auf die sich die Antworten der Bundesregierung stützen, liegt nahe. Bereits im September antwortete das Wirtschaftsministerium ebenfalls auf eine Kleine Anfrage der Partei Die Linke. Das Habeck-Ministerium ging damals von einem Einbruch der russischen Wirtschaft um 15 Prozent aus. Er stützte sich dabei auf Zahlen der Weltbank, die im April veröffentlicht und daher vermutlich bereits im März erhoben worden waren. Sie waren im September völlig veraltet, denn sie wurden vor den umfassenden Gegenmaßnahmen Russlands erhoben. Bereits im September war die Unprofessionalität des Habeck-Ministeriums im Hinblick auf eine fundierte Analyse der Sanktionswirkungen erschreckend. Schon damals machte sich Habeck die Welt, wie sie ihm gefällt: Wir haben gewonnen – Russland bricht in Kürze zusammen. Es gibt für diese Annahme keinerlei Grundlage. Und auch jetzt redet sich die Bundesregierung die Welt schön. Das ist reiner Selbstbetrug.

Die Beschädigung des Euros durch die Sanktionen nimmt die Bundesregierung gar nicht erst in Augenschein. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen, was hier passiert ist. Die EU friert russische Vermögen ein. Zum einen das Vermögen von Gazprom aus den Verkäufen von Gas an die EU in Höhe von 300 Milliarden Dollar. Zudem wurde das Auslandsvermögen finanzstarker russischer Unternehmer eingefroren, die im Mainstream-Jargon als „Oligarchen“ bezeichnet werden. Die EU-Kommission möchte dieses Geld nun der Ukraine für den Wiederaufbau zukommen lassen. Außerhalb der Korridore der Brüsseler Verwaltung und deutscher Ministerien würde das jeder als plumpen Diebstahl werten. Die Folge davon ist, dass jeder, der noch halbwegs bei Sinnen ist, vom Euro künftig die Finger lassen wird. Wenn die Kommissionspräsidentin mal nicht bei Laune ist, ist die Kohle eventuell einfach futsch, ist die Lektion, die für alle Investoren und Staaten der Welt hier zu lernen war. Der Verfall des Euros spricht in diesem Zusammenhang seine eigene Sprache. Mit den Sanktionen hat die EU ihre eigene Währung nachhaltig beschädigt.

Weiterhin hält die Bundesregierung an der Mär fest, die Sanktionen hätten Einfluss auf das Kriegsgeschehen, indem sie den Import wichtiger Technologiegüter verhindern würden, die Russland für die Herstellung von Rüstungsgütern braucht. Das ist absoluter Unsinn und wird auch durch den Kriegsverlauf selbst widerlegt. Nach dem Terroranschlag auf die Krimbrücke war Russland über Nacht imstande, die Angriffe zu eskalieren und landesweit in der Ukraine die Infrastruktur für die Energieversorgung zu attackieren. Nach knapp acht Monaten „präzedenzloser“ Sanktionen gegen Russland gehen die Waffen ganz offenkundig nicht aus. Der Verlauf auf dem Schlachtfeld steht konträr zu den von der Bundesregierung erhobenen Behauptungen der Wirkungsweise der Sanktionen. Zudem sind offenbar andere Länder bereit, Russland militärisch zu unterstützen. Dies hat seinen Grund auch darin, dass die Mehrheit der Staaten der Welt die deutsche Interpretation, Russland habe grundlos die Ukraine überfallen, nicht teilt. Dort sieht man eine langjährige Eskalation durch die NATO-Staaten, die EU und die USA. Es wäre dringend notwendig, die Bereitschaft zu zeigen, über das einfältige deutsche Narrativ zu diskutieren. Ansonsten ist der Konflikt nicht lösbar.

Nicht in Betracht zieht die Bundesregierung auch, dass Russland Öl und Gas deutlich günstiger produzieren kann als viele seiner Mitbewerber, die auf Fracking angewiesen sind. Fracking ist technisch aufwändiger und daher teurer. Russland hat somit die Möglichkeit, seinen Partnern umfangreiche Rabatte einräumen zu können, ohne sich am Marktpreis orientieren zu müssen. Das war übrigens auch im Hinblick auf die Gasverträge mit Deutschland so. Genau darin lag der große Vorteil für Deutschland. Russland hat ein Interesse an langfristigen Verträgen und liefert zu deutlich günstigeren Konditionen als die Spotmärkte. Dass Russland diese Rabatte gewährt, ist kein Manko, wie die Antwort der Bundesregierung suggeriert, sondern eine Strategie der dauerhaften Anbindung.

Was die Bundesregierung in ihrer Antwort komplett unterschlägt, ist die Abwendung Russlands von der EU und Deutschland sowie die Hinwendung zu asiatischen Partnern und Partnern auf anderen Kontinenten. Beim Lesen der Antwort entsteht der Eindruck, die EU sei der Mittelpunkt der Welt. Vermutlich glaubt die Bundesregierung genau das, was der Leseeindruck andeutet. Das war nie der Fall und ist es mit jedem Tag ein bisschen weniger. Jenseits des kollektiven Westens bilden sich riesige Zusammenschlüsse mit wirtschafts- und sicherheitspolitischer Ausrichtung. In diesen Zusammenschlüssen nimmt Russland eine wichtige Rolle ein. Es ist reich an Rohstoffen, verfügt über diplomatische und militärische Expertise. Gleichzeitig verfügt es über eine Eigenschaft, über die Deutschland nicht verfügt: Es verhandelt und diskutiert auf Augenhöhe. Dieser Charme fehlt der deutschen Diplomatie völlig.

Was die Bundesregierung überhaupt nicht in Augenschein nimmt, ist die Auswirkung der Sanktionen auf künftige Generationen. Spätestens mit dem Anschlag auf Nord Stream ist klar, dass es mit Deutschlands Wirtschaft steil bergab gehen wird. Nord Stream war die Lebensader der deutschen Industrie. Diese Lebensader wurde zerstört. Die Grundlage des wirtschaftlichen Erfolgs Deutschlands als Exportnation aber war neben Lohndumping die günstige Verfügbarkeit von russischer Energie. Das deutsche Geschäftsmodell ist daher tot. Wie ebenfalls die Nachdenkseiten zeigen, wird Deutschland seinen Bedarf an Gas künftig aus den USA decken. Das aber ist deutlich teurer. Dieser Preis muss auf die produzierten Waren aufgeschlagen werden. Von den Umstellungskosten und den mit der Umstellung verbundenen Schwierigkeiten gar nicht gesprochen. Aus diesem Grund braucht Deutschland dringend ein neues Geschäftsmodell, eine neue Ausrichtung seiner Wirtschaft. Über dieses Thema wurde noch nicht einmal angefangen zu diskutieren. Es ist in der deutschen Politik überhaupt nicht existent.

Die Antwort der Bundesregierung sieht die Schuld an den wirtschaftlichen Schwierigkeiten ausschließlich bei Russland, weil das Land seine Gaslieferungen vertragswidrig eingestellt habe. Das ist völlige Realitätsverweigerung. Es lässt zahllose Fakten außer Acht. Eine dieser Tatsachen: der Anschlag auf Nord Stream. Russland hat nach dem Anschlag angeboten, über den noch intakten Strang an Deutschland Gas zu liefern. Das wurde von der Bundesregierung mit dem Hinweis abgelehnt, der Strang gehöre zu Nord Stream 2 und sei daher nicht zertifiziert.

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Partei Die Linke ist eine regierungspolitische Bankrotterklärung. Sie liefert das psychiatrische Zeugnis einer vollständigen Realitätsverweigerung. Die Bundesregierung hat den Kontakt zur Wirklichkeit verloren und sich in einer irrealen Welt eingeigelt. Die Bundesregierung hat alles versäumt, was opportun gewesen wäre zu tun: Ein System der Überprüfung zu implementieren, Alternativen auszuarbeiten, sich den Verhandlungsweg und die Diplomatie offen zu halten. Die Antwort offenbart ein erschreckendes Ausmaß an politischer Inkompetenz. Die Bundesregierung belügt sich selbst, klebt an der transatlantischen Ideologie wie die Fliege am Fliegenleim. Vor allem aber täuscht sie die Bürger. Sie verfügt über keinerlei Erkenntnis zu den Auswirkungen der Sanktionen auf den Kriegsverlauf. Das aber war das zentrale Argument für ihre Einführung. Sie verfügt über keinerlei Erkenntnis darüber, ob die Sanktionen das politische Ziel einer Beeinflussung der russischen Regierung überhaupt erreichen können. Dennoch hält sie trotz all dieser Defizite zum Schaden Deutschlands am Sanktionsregime fest. Sie mutet den Bürgern Deutschlands Wohlstandsverlust und Armut zu, ohne eine Aussage darüber treffen zu können, ob dieser massive Einschnitt zielführend und angemessen ist. Es ist reine Willkür. Mit ihrer Ignoranz gibt die Bundesregierung Deutschland der Verelendung preis, weil sie die Mühen scheut, sich um diplomatische Lösungen zu bemühen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und weil sie es ablehnt, die gemachten Annahmen und den eigenen Standpunkt einer selbstkritischen Prüfung auszusetzen. Es ist erbärmlich.

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