Der Dichter und der Neonazi Von Thomas Wagner

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Erich Fried und der Neonazi: Es ist aussichtslos …

Die Brieffreundschaft des Dichters aus Wien mit Michael Kühnen ist in der Österreichischen Nationalbibliothek dokumentiert

Nicht mitzuhassen, mitzulieben bin ich da

Er war der produktivste Lyriker deutscher Sprache, ein „rasender Verworter“. Schon Hans Magnus Enzensberger, der Erich Fried in den frühen 60er Jahren, als sein Ruhm noch esoterisch war, in London besuchte, sprach scherzhaft von den „ungefähr zwölftausend Gedichten, die Fried geschrieben habe und allesamt auswendig könne“.

 

Der Dichter und der Neonazi, eine spannende Geschichte einer deutschen Freundschaft, wie sie ungleicher nicht sein kann. Ich danke Thomas Wagner sehr dafür, dass er dieses Thema aufnahm und als Buch publizierte.

Als ich über das Buch las, war ich sehr befremdet und neugierig, dass gerade Erich Fried, der Dichter der mich von Jugend an begeisterte, so eine Freundschaft pflegte. Der große Dichter, Kämpfer gegen die Barbarei, von den Nazis zum Flüchtling gemacht, dessen halbe Familie grausam vergast worden war und einer der schlimmsten, unbelehrbaren Neonazis, den ich mir vorstellen konnte. Es überstieg eigentlich auch meine Vorstellungskraft von Toleranz und Humanismus. Der Dichter, der den Faschismus verabscheute und seine ganze Arbeit als Schriftsteller in den Dienst der Erinnerung und als Mahnung zum „Nie wieder“ verstand und diese Freundschaft? Er, der dem Kampf gegen Heuchelei und neu-deutscher Großmannssucht und Militarisierung verbunden war, scheute sich nicht sich mit dem Neonazi, Kühnen freundschaftlich auseinanderzusetzen.

Besonders faszinierend erscheint mir Frieds Weitblick, gerade auch im Hinblick auf heutige, sich in erschreckender Weise wiederholende Zustände. Fried prangerte schon Anfang der achtziger Jahre, die sich zuspitzende Konfrontation zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion an, dessen Nährboden die von ihnen angeführten Militärbündnisse, Nato und Warschauer Pakt waren. Erleben wir nicht heute genau das Gleiche? Befinden wir uns nicht erneut, dank westlicher gefährlicher Aggressionspolitik erneut in einem gefährlichen Zustand des Kalten Kriegs, der inzwischen noch gefährlicher geworden ist? Ich stimme Fried zu, der schon damals das Feindbild des Russen, in der „kulturellen Kontinuität der Nazizeit“ sah und die sich daran anknüpfende Politik des Wettrüstens in hohem Maße für gemeingefährlich hielt. Wie stellte Fried in der Talkshow „III nach 9“ fest, dass die Nato-Rüstung eines der schwersten Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist“. Wie, als Fried hätte man diesen Fakt aussprechen können, der sich bis heute in grausamer Weise bewahrheitet hat.

Diese emotionale Freundschaft zwischen Kühnen und Fried, ist für mich bis heute schwer nachvollziehbar, aber seiner großen Menschlichkeit zuzuschreiben. Wie glaubte Frieds Ehefrau Catherine, der Austausch mit kühnen sei für ihren Mann „fast ein Kreuzzug“ gewesen, bei dem ihm das Unmögliche gelang: einen Neonazi davon zu überzeugen, sich der Realität des Holocaust zu stellen. Diese „eigenartige Beziehung“, „die bis zu Kühnens Tod im Gefängnisanhielt“, wie sie in ihrem Erinnerungsbuch schrieb.

So ist es Erich Frieds großes Anliegen gewesen „aus der Geschichte zu lernen“ und wie er uns das vermittelte. So sehe ich auch seinen Kampf gegen die Unterdrückung der Palästinenser durch das „jüdische Volk“, dass er mit seinen anklagenden Gedichten immer wieder versuchte aufzurütteln und von diesen schrecklichen Verbrechen abzubringen.

Ein aufregendes und interessantes Buch von Thomas Wagner, dass es sich lohnt zu lesen. Erich Fried, der Verfechter einer offenen Streitkultur, der es verstand auch nicht vor radikalen Positionen zurückzuschrecken, sondern sie austrug. Solche Dichter, Schríftsteller und aufrechte Intellektuelle fehlen uns heute mehr denn je.

Evelyn Hecht-Galinski

 

„Der Dichter und der Neonazi“: „Einstweilen alles Liebe! Dein Erich“

Bizarre Brieffreundschaft: Thomas Wagner schildert erstmals, wie der linke Dichter und Jude Erich Fried den Neonazi Michael Kühnen gefühlvoll zur Umkehr bewegen wollte.

 

 

https://www.zdf.de/kultur/kulturzeit/freundschaft-erich-fried-und-michael-kuehnen-100.html

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