Der Ukraine-Konflikt im Hinblick auf die Verantwortung der Regierenden von Thierry Meyssan

 

https://www.voltairenet.org/article218913.html

Der Ukraine-Konflikt im Hinblick auf die Verantwortung der Regierenden

Bevor Präsident Joe Biden nach Kiew kam, bat er Russland um Zusicherungen, dass es seinen Sonderzug nicht bombardieren würde.

Der erste Jahrestag der militärischen Ost-West-Konfrontation in der Ukraine war eine Gelegenheit für den Westen, seine Bevölkerung davon zu überzeugen, dass sie „auf der richtigen Seite der Geschichte“ stünde und dass der Sieg des Westens „unvermeidlich“ sei.

Nichts davon ist überraschend. Es ist normal, dass Regierungen über ihre Aktivitäten berichten. Nur dass hier die Informationen durch Auslassung zur Lüge werden und die Kommentare Propaganda sind. Man erlebt eine solche Umkehrung der Realität, dass man sich fragen kann, ob am Ende nicht die Verlierer des Zweiten Weltkriegs heute in Kiew an die Macht gekommen sind.

„Russlands illegaler, nicht zu rechtfertigender und unprovozierter Krieg“

Alle westlichen Interventionen behaupten, dass wir „Russlands illegalen, nicht zu rechtfertigenden und unprovozierten Krieg“ verurteilen [1]. Das ist sachlich falsch.

Lassen wir die Qualifikation „nicht zu rechtfertigen“ beiseite. Sie bezieht sich auf eine unanständige moralische Position. Kein Krieg ist gerecht. Jeder Krieg ist das Resultat nicht eines Fehlers, sondern eines Misserfolgs. Schauen wir uns den Begriff „unprovoziert“ an.

Laut der russischen Diplomatie begann das Problem mit der Operation von USA und Kanada im Jahr 2014 und dem Sturz des demokratisch gewählten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch, unter Verletzung der ukrainischen Souveränität und damit der der UN-Charta. Es ist unmöglich zu leugnen, dass Washington eine entscheidende Rolle in dieser sogenannten „Revolution der Würde“ gespielt hat: Die damalige stellvertretende US-Staatssekretärin für Europa und Eurasien, Victoria Nuland, erschien an der Spitze der Putschisten.

Laut der chinesischen Diplomatie, die gerade zwei Dokumente zu diesem Thema veröffentlicht hat, darf man es nicht bei dieser Operation belassen, sondern muss auf die „Orangene Revolution“ von 2004 zurückgehen, die ebenfalls von den Vereinigten Staaten organisiert wurde, um die erste Verletzung der ukrainischen Souveränität und der Charta der Vereinten Nationen festzustellen. Wenn Russland sie nicht erwähnt, dann natürlich, weil es darin auch eine Rolle gespielt hat, was es aber dann im Jahr 2014 nicht getan hat.

Die westliche Öffentlichkeit ist so schockiert über die Leichtigkeit, mit der die Vereinigten Staaten Menschenmengen manipulieren und Regierungen stürzen, dass sie sich der Schwere dieser Tatsachen nicht mehr bewusst ist. Seit dem Sturz von Mohammad Mossadegh im Iran 1953 bis zum Sturz von Sergey Sarkisian in Armenien 2018 hat sie sich an erzwungene Regimewechsel gewöhnt. Ob die abgesetzten Führer gut oder schlecht waren, sollte nicht berücksichtigt werden. Unerträglich und inakzeptabel aber ist, dass ein fremder Staat deren Sturz organisiert, indem er seinen Eingriff hinter inländischen Gegnern versteckt. Das sind Kriegshandlungen ohne militärische Intervention.

Die Fakten aber sind hartnäckig. Der Krieg in der Ukraine wurde durch die Verletzungen der ukrainischen Souveränität in den Jahren 2004 und 2014 provoziert. Diesen Verstößen folgte ein achtjähriger Bürgerkrieg.

Krieg ist auch nach internationalem Recht nicht illegal. Die Charta der Vereinten Nationen verbietet nicht die Anwendung von Krieg. Der Sicherheitsrat hat sogar die Möglichkeit, ihn zu erklären (Artikel 39 bis 51). Diesmal besteht die Besonderheit darin, dass er ständige Mitglieder des ständigen Sicherheitsrates betrifft.

Russland hat die Minsker Vereinbarungen mitunterzeichnet, um dem Bürgerkrieg ein Ende zu setzen. Da Russland jedoch nicht naiv war, verstand es von Anfang an, dass der Westen keinen Frieden, sondern Krieg wollte. Daher ließ Russland die Minsker Vereinbarungen fünf Tage nach ihrem Abschluss durch die Resolution 2202 des Sicherheitsrates bestätigen und zwang dann den russischen Oligarchen Konstantin Malofejew, seine Männer aus dem ukrainischen Donbass abzuziehen. Russland ließ der Resolution eine Erklärung der Präsidenten Frankreichs, der Ukraine und Russlands, sowie der deutschen Bundeskanzlerin beifügen, in der die Umsetzung dieser Texte von ihnen zugesichert wurde. Diese vier Unterzeichner verpflichteten ihre Länder.

• Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko sagte in den folgenden Tagen, dass es absolut nicht darum ginge, nachzugeben, sondern im Gegenteil, die Bewohner des Donbass zu bestrafen.
• Altkanzlerin Angela Merkel erklärte gegenüber Die Zeit [2], sie wolle nur Zeit gewinnen, damit die NATO die Kiewer Behörden bewaffnen könne. Sie bestätigte ihre Äußerungen unbewusst in einem Gespräch mit einem Provokateur, den sie für den ehemaligen Präsidenten Poroschenko hielt.
• Der ehemalige Präsident François Hollande bestätigte die Bemerkungen von Frau Merkel in Kyiv Independent [3].
• Damit blieb Russland, das am 24. Februar 2022 eine spezielle Militäroperation, unter seiner „Schutzverantwortung“ durchführte. Zu sagen, dass seine Intervention illegal ist, bedeutet beispielsweise zu sagen, dass die Intervention Frankreichs während des Völkermords in Ruanda ebenfalls illegal war und man das Massaker hätte weitergehen lassen sollen.

Die E-Mails des Sonderberaters des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Wladislaw Surkow, die gerade von der ukrainischen Seite enthüllt wurden, bestätigen diesen Prozess nur. In den folgenden Jahren half Russland den ukrainischen Republiken des Donbass, sich auf die Unabhängigkeit vorzubereiten. Diese Einmischung war illegal. Sie war eine Reaktion auf die ebenso illegale Einmischung der Vereinigten Staaten, die nicht die Ukraine, sondern ukrainische „integrale Nationalisten“ bewaffneten. Der Krieg hatte bereits begonnen, wurde aber ausschließlich von Ukrainern geführt. Er verursachte 20 000 Tote in 8 Jahren. Der Westen und Russland intervenierten nur indirekt.

Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Angela Merkel und François Hollande mit ihrer vorgetäuschten Friedensverhandlung das schlimmste aller Verbrechen begangen haben. Denn laut dem Nürnberger Tribunal sind die „Verbrechen gegen den Frieden“ noch schlimmer als die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Sie sind nicht die Ursache für dieses oder jenes Massaker, sondern für den Krieg selbst. Aus diesem Grund hat der Vorsitzende der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, die Einberufung eines neuen Nürnberger Tribunals gefordert, um Angela Merkel und François Hollande vor Gericht zu stellen [4]. Dieser Aufruf, der uns den Abgrund zeigt, der zwischen den beiden Wahrnehmungen des Konflikts liegt, wurde von der westlichen Presse nicht aufgegriffen.

In der Anordnung des Internationalen Gerichtshofs vom 16. März 2022 heißt es vorsorglich: „Die Russische Föderation muss die militärischen Operationen, die sie am 24. Februar 2022 auf dem Territorium der Ukraine begonnen hat, unverzüglich aussetzen“ (Ref: A/77/4, Ziffern 189 bis 197). Moskau kam ihr nicht nach, da das Gericht über einen Völkermord Kiews an der eigenen Bevölkerung befragt worden war und nicht zur Militäroperation zum Schutz der ukrainischen Bevölkerung.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hat ihrerseits mehrere Resolutionen verabschiedet, zuletzt A/ES-11/L.7 vom 23. Februar 2023. Der Text „Fordert erneut, dass die Russische Föderation sofort, vollständig und bedingungslos alle ihre Streitkräfte aus dem Territorium der Ukraine innerhalb der international anerkannten Grenzen des Landes abzieht, und ruft zur Einstellung der Feindseligkeiten auf“.

Keiner dieser Texte erklärt die russische Intervention für „illegal“. Sie befehlen oder fordern den Rückzug der russischen Armee. 141 von 193 Staaten sind der Ansicht, dass Russland seine Intervention einstellen müsse. Einige von ihnen denken, dass sie illegal sei, aber die meisten, dass sie „nicht mehr notwendig“ sei und unnötiges Leid verursache. Das ist absolut nicht dasselbe.

Die Staaten haben eine andere Sichtweise als die Juristen. Das Völkerrecht kann nur das sanktionieren, was bereits existiert. Staaten müssen ihre Bürger vor sich anbahnenden Konflikten schützen, bevor es zu spät ist, darauf zu reagieren. Aus diesem Grund hat sich der Kreml in der Generalversammlung der Vereinten Nationen nicht an die Vorgaben gehalten. Er hat sich nicht vom Schlachtfeld zurückgezogen. Er hat acht Jahre lang beobachtet, wie die NATO die Ukraine aufrüstete und den Krieg vorbereitete. Er weiß also, dass das Pentagon eine zweite Runde in Transnistrien vorbereitet [5] und muss seine Bevölkerung vor dieser zweiten Operation schützen. So wie er den Zeitpunkt seiner Intervention in der Ukraine aufgrund von Informationen über einen bevorstehenden Angriff Kiews auf den Donbass wählte, die erst später bestätigt wurden [6], so beschließt er heute, ganz Noworossija, einschließlich Odessa, zu befreien. Dies ist rechtlich inakzeptabel, solange der Beweis für die westlichen Machenschaften nicht erbracht ist, aber aus der Perspektive seiner Verantwortung bereits notwendig.

Offensichtlich sind diese beiden Denkweisen den Beobachtern nicht entgangen. Die Einschätzung, dass die russische Intervention nicht mehr notwendig ist, muss von jener der Unterstützung des Westens unterschieden werden. Aus diesem Grund sind es nur 39 von 191 Staaten, die sich an den westlichen Sanktionen beteiligen und Waffen in die Ukraine schicken.

Die Ukraine ist eine „Demokratie“

Die zweite Botschaft westlicher Führer ist, dass die Ukraine eine „Demokratie“ sei. Abgesehen davon, dass dieses Wort in einer Zeit, in der die Mittelschichten verschwinden und die Einkommensunterschiede größer geworden sind als zu jeder anderen Zeit in der Geschichte der Menschheit, keine Bedeutung mehr hat und sich vom egalitären Ideal entfernt, ist die Ukraine alles andere als eine „Demokratie“.

Ihre Verfassung ist die einzige rassistische auf der Welt. In ihrem Artikel 16 heißt es: „Die Erhaltung des genetischen Erbes des ukrainischen Volkes obliegt der Verantwortung des Staates“; eine von Slava Stetsko, der Witwe des ukrainischen Nazi-Ministerpräsidenten verfasste Passage.

Das ist ein ärgerliches Thema. Spätestens seit 1994 haben die „integralen Nationalisten“ (nicht zu verwechseln mit den „Nationalisten“ im Allgemeinen), d.h. die Leute, die die Ideologie von Dmytro Donzow und das Handeln von Stepan Bandera gutheißen, hohe Positionen im ukrainischen Staat inne [7]. Tatsächlich ist diese Ideologie im Laufe der Zeit radikaler geworden. Sie hatte nicht die gleiche Bedeutung während des Ersten Weltkriegs und während des Zweiten Weltkriegs. Dennoch war Dmytro Donzow ab 1942 einer der Gestalter der „Endlösung der Juden- und Zigeunerfragen“. Er war Treuhänder des Organs des Dritten Reiches, des Reinhard-Heydrich-Instituts in Prag, das für die Ermordung von Millionen Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft zuständig war. Stepan Bandera war unterdessen der militärische Führer der ukrainischen Nazis. Er befehligte zahlreiche Pogrome und Massentötungen. Im Gegensatz zu dem, was seine jetzigen Nachfolger behaupten, wurde er nie in einem Konzentrationslager interniert, sondern in den Vororten Berlins, im Hauptquartier der KZ-Verwaltung, unter Hausarrest gestellt. Er beendete übrigens den Krieg, indem er die ukrainischen Truppen unter dem direkten Befehl von Führer Adolf Hitler kommandierte.

Ein Jahr nach Beginn der russischen Sonder-Militärintervention sind überall in der Ukraine integrale nationalistische oder nationalsozialistische Symbole sichtbar. Der Forward-Journalist Lev Golinkin, der eine Bestandsaufnahme aller Denkmäler zum Gedenken an Verbrecher begann, die an Nazi-Verbrechen auf der ganzen Welt beteiligt waren, erstellte eine erstaunliche Liste solcher Denkmäler in der Ukraine [8]. Ihm zufolge datieren sie fast alle nach dem Putsch von 2014. Man muss daher zugeben, dass die Behörden, die aus den Staatsstreichen hervorgegangen sind, sich tatsächlich zum „integralen Nationalismus“ bekennen, und nicht einfach zum „Nationalismus“. Und für diejenigen, die noch bezweifeln, dass der jüdische Präsident Selenskyj die Nazis feiert, verlieh er vor zwei Wochen den „Edelweiss-Ehrentitel“ an die 10. separate Gebirgsjägerbrigade in Erinnerung an die 1. Nazi-Gebirgsdivision, die Kiew, Stalino, die Dnjepr- und Charkow-Grenzübergänge „befreite“ [9].

Nur wenige westliche Persönlichkeiten haben die Äußerungen von Präsident Wladimir Putin und seinem Außenminister Sergej Lawrow zu diesem Thema akzeptiert [10]. Der israelische Premierminister Naftali Bennett und sein Verteidigungsminister, General Benny Gantz, haben jedoch wiederholt erklärt, dass sich die Ukraine zumindest in diesem Punkt den Anweisungen Moskaus unterwerfen muss: Kiew muss alle Nazi-Symbole zerstören, die es zur Schau stellt. Weil Kiew sich jedoch weigert, dies zu tun, liefert Israel ihm keine Waffen: Den Nachfolgern der Judenmassaker werden keine israelischen Waffen übergeben. Diese Position kann sich natürlich mit Benjamin Netanjahus Koalitionsregierung ändern. Er selbst war Erbe von Wladimir Jabotinskys „revisionistischen Zionisten“, die ein Bündnis mit den „integralen Nationalisten“ gegen die Sowjets schlossen.

Die aktuelle Politik der Wolodymyr Selenskyj-Regierung ist unverständlich. Auf der einen Seite funktionieren demokratische Institutionen, auf der anderen Seite werden nicht nur überall integrale Nationalisten gefeiert, sondern es wurden auch oppositionelle politische Parteien und die orthodoxe Kirche unter dem Moskauer Patriarchat verboten; Millionen von Büchern wurden zerstampft, weil sie in Russland geschrieben oder gedruckt wurden; 6 Millionen Ukrainer wurden zu „Kollaborateuren des russischen Invasoren“ erklärt und die Persönlichkeiten, die sie unterstützen, werden dort ermordet.

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