Ein Jahr als Nachschlag gefällig, liebe Abgeordnete? Bundestag diskutiert fünfjährige Wahlperioden Von Dagmar Henn

Ein Jahr als Nachschlag gefällig, liebe Abgeordnete? Bundestag diskutiert fünfjährige Wahlperioden

Wenn man darüber nachdenkt, was getan werden müsste, um die Zufriedenheit deutscher Bürger mit dem politischen System zu verbessern – das ja so bedroht sein soll -, so ist eine Verlängerung der Wahlperioden für den Deutschen Bundestag so ziemlich das Gegenteil.

Ein Jahr als Nachschlag gefällig, liebe Abgeordnete? Bundestag diskutiert fünfjährige Wahlperioden

Von Dagmar Henn

Wenn man darüber nachdenkt, was getan werden müsste, um die Zufriedenheit deutscher Bürger mit dem politischen System zu verbessern – das ja so bedroht sein soll –, so ist eine Verlängerung der Wahlperioden für den Deutschen Bundestag so ziemlich das Gegenteil.
Ein Jahr als Nachschlag gefällig, liebe Abgeordnete? Bundestag diskutiert fünfjährige WahlperiodenQuelle: www.globallookpress.com © © Jörg Carstensen

 

Nachdem der Bundestag ungefähr zwanzig Jahre gebraucht hat, um ein Verfassungsgerichtsurteil umzusetzen, das die Verkleinerung des Parlaments vorschrieb, sollen jetzt die Wahlperioden von bisher stets vier auf dauerhaft fünf Jahre verlängert werden.

Wie jüngst eine Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung ergab, dürfte das der Mehrheit der Bürger egal sein, weil das Ansehen des Bundestages ohnehin nicht mehr hoch ist. Aber es ist schon interessant, dass genau in jenem Moment, da das Vertrauen der Deutschen in die vorgegebenen politischen Prozesse und das daraus resultierende Personal der Abgeordneten tief im Keller gelandet sind, eben dieses politische Personal auf die brillante Idee kommt, die Wahlperioden zu verlängern.

Das bedeutet am Ende schlicht, dass der Pöbel ein Ergebnis, das den meisten schon vier Jahre lang nicht behagt, nun noch länger ertragen muss. In Wirklichkeit wünscht sich ein großer Teil der deutschen Bevölkerung, selbst befragt zu werden. Die meisten Deutschen ziehen Formen direkter Demokratie der repräsentativen Variante vor, in der die über Listen delegierten Abgeordneten vermeintlich nur ihrem Gewissen (in der Praxis eher entweder ihrer Fraktion oder ihrem Geldbeutel oder beidem) verantwortlich sind. Viele Wähler finden auch, dass ganz andere Leute in den Parlamenten sitzen sollten, anstelle der anteilmäßig vielen Beamten und Juristen.

So viel Uneigennützigkeit darf man von deutschen Abgeordneten nicht erwarten. Schließlich wäre es für viele nach mehreren Wahlperioden schon eine echte Herausforderung, noch einmal eine andere Existenz zu finden, weil „Abgeordneter“ meistens der einzige Beruf ist, den sie je gelernt haben, von den Einkommenseinbußen in einem „normalen Berufsleben“ ganz zu schweigen. Vor die Entscheidung gestellt, die Demokratie in Deutschland zu beleben oder aber sie weiter zu strangulieren, juckt es ihnen doch gar zu sehr in den Fingern, an der Garotte noch ein wenig weiter zu drehen.

Schließlich ist es für das eigene Dasein als Abgeordneter eigentlich ziemlich egal, wie viele Bürger gar nicht mehr wählen und wie viele politische Positionen – etwa aus „Wahlkampfzeiten“ – nicht mehr im Parlament vertreten werden. Selbst wenn sich nur noch weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten an einer Wahl beteiligen würde, bliebe das Einkommen der Abgeordneten gleich, und sie würden sich auch weiter so benehmen, als könnten sie berechtigterweise von sich behaupten, die gesamte Wählerschaft zu vertreten.

Ganz zu schweigen ist hier von ohnehin nie basisdemokratisch gewählten Ministern, die neuerdings immer häufiger öffentlich erklären, es „ist mir egal, was meine Wähler dazu sagen“. Respekt vor dem verfassungsrechtlichen Souverän ist völlig aus der Mode gekommen. Wo käme man hin, wenn man den Pöbel zu ernst nähme, den man doch regelmäßig mit Umfragen oder gar verfassungsschützend untersuchen lässt, nur um festzustellen, dass er den moralischen Maßstäben der Damen und Herren Politiker schlicht nicht genügt?

Jetzt könnte man meinen, unter solchen Voraussetzungen wären solche Entscheidungen ohnehin egal. Denn diejenigen, die sowieso nicht mehr zur Wahl gehen, weil sie nichts mehr finden, was sie wählen wollten, oder weil sie davon ausgehen, dass ohnehin der gleichen Agenda gefolgt wird – egal, wer gewählt wird –, werden ihre Ansichten nicht weiter verändern, wenn nun die gleichen wohlgestylten Gesichter fünf statt vier Jahre über die Bildschirme flimmern.

Und das andächtige Publikum, das der Mitgliedschaft in den parlamentarischen Parteien verblieben ist (zumindest den meisten), ist ohnehin zufrieden damit, wie die Dinge sind, und wird sich auch an fünf Jahren Legislatur nicht weiter stören (mit Ausnahme einiger Vertreter noch vorhandener Reste von Jugendorganisationen vielleicht, weil sich für die womöglich der erste Griff in die Futterkrippen weiter hinauszögert).

Aber ganz so folgenlos, wie die Erfinder der Idee sich das denken, ist das dennoch nicht. Denn gerade die hohe Zustimmung zur direkten Demokratie zeigt, dass sich durchaus viele Bürger in Deutschland Gedanken und durchaus auch Sorgen um die Demokratie machen, aber eben schlicht dem bisher praktizierten Modell einige Skepsis entgegenbringen. Eine Skepsis, die an vielen Punkten wohlbegründet ist, denn wenn heute die ärmeren Teile der Bevölkerung weniger von Regierung und Institutionen – den Deutschen Bundestag eingeschlossen – halten als die Reicheren, dann ist das eben ein Ergebnis von vierzig Jahren Politik – vor allem im Interesse der Letztgenannten.

In der Regel macht sich ein Mensch nur Gedanken um Dinge, die einem wichtig sind. Im Grunde stellen all diese Befürworter der direkten Demokratie daher ein Potential dar, das die politische Landschaft in Deutschland wiederbeleben könnte, das wieder eine wirkliche politische Debatte zum Leben erwecken könnte.

Aber das wird weder von einer niemals gewählten Kommission in Brüssel noch von den bundesdeutschen Abgeordneten gewünscht. In Brüssel möchte man keinerlei Bestrebungen in Richtung souveräner Entscheidungen sehen, die die angebliche „europäische Einheit“ gefährden könnten, und die lieben Bundestagsabgeordneten wollen vor allem eines nicht: weitere Konkurrenz um die eigenen üppigen Futterplätze.

So kommt es dann zu dem Vorschlag für Wahlperioden von fünf statt vier Jahren für den Deutschen Bundestag.

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