Faschismus – ein jüdisches Schicksal Von Moshe Zuckermann

Ich danke Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen heute bei overton-magazin veröffentlichten Artikel, auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/hintergrund/gesellschaft/faschismus-ein-juedisches-schicksal/

Faschismus – ein jüdisches Schicksal

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Deir al-Balah im Gazastreifen nach dem Abzug der israelischen Truppen. Bild: Quds News

Den Juden ist im 20. Jahrhundert die Shoah widerfahren. Das heutige Israel entfaltet faschistische Strukturen. Wie ist das zu deuten?

 

Es stellt sich immer wieder die Frage, wie es möglich sei, dass die in dem von ihnen als jüdischer Staat apostrophierten Israel lebenden Juden sich einer ihre Gesellschaft und Politik offenbar zunehmend faschisierenden Ideologie verschreiben. Eine Ideologie ist es, die nicht nur der barbarischen Unterdrückung eines anderen Volkes durch brutale militärische Okkupation das Wort redet, sondern auch immer mehr rassistische, autoritäre und national-chauvinistische Verhaltensmuster und Diskursformationen als Matrix des nationalen Daseins generiert.

Die Frage erhebt sich vor dem historischen Hintergrund, dass den Juden unter dem Faschismus (und seiner nazistischen Variante) im 20. Jahrhundert ihre größte kollektive Katastrophe widerfahren ist. Wie, wundert man sich, können da gerade sie, die leiderfahrenen Juden, die das historische Leid zur ethischen Grundlage ihrer nationalen Gedenk- und Erinnerungskultur erhoben haben, Ideologie und Praxis einer systematischen Leidverursachung nicht nur zulassen, sondern sich nachgerade bewusst zu eigen machen? Hier der Versuch einer doppelten Antwort.

Möglicherweise handelt es sich dabei überhaupt um keinen Widerspruch. Denn gerade weil sich diese Katastrophe der Juden im 20. Jahrhundert ereignet hatte, durften sie beanspruchen, dass eine künftige zu verhindern sei. So kam die Parole “Nie wieder!” in die Welt. Sie fand ihre universalistisch ausgerichtete Ausprägung im sogenanntem neuen kategorischen Imperativ Theodor Adornos. In dessen “Negative Dialektik” heißt es : “Hitler hat den Menschen im Stande ihrer Unfreiheit einen neuen kategorischen Imperativ aufgezwungen: ihr Denken und Handeln so einzurichten, daß Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe.”

Adornos Denken bezieht sich dabei auf alle Menschen zu jeder Zeit und überall auf der Welt. Der israelische Historiker Yehuda Elkana postulierte gleichwohl in einem Zeitungsartikel von 1988 zwei widerstreitende Gedenk-Imperative, die zu verschiedenen Konsequenzen führen: Das universell angedachte “Es soll nie wieder geschehen” steht dabei dem partikularistischen “Es soll uns nie wieder geschehen“ entgegen. In Israel wurde das zweite Postulat in Praxis umgesetzt – der Stellenwert der Sicherheit und, damit zusammenhängend, die fetischistische Verehrung der IDF, der “moralischsten Armee der Welt”, wie es im narzisstischen Selbstverständnis der zionistischen politischen Kultur heißt, basieren auf dem Postulat, dass sich an Israels Juden nicht wiederholt, was die Nazis am europäischen Judentum verbrochen haben. Dass dabei die der zionistischen Gewalt ausgelieferten Palästinenser den Nazis gleichgestellt werden, wird nicht nur hingenommen, sondern nachgerade ideologisiert: Die Palästinenser seien die neuen Nazis, heißt es bei prominenten Vertretern des israelischen Faschismus, und als solche radikal zu bekämpfen und zu unterdrücken; dies umso mehr, als ohnehin “die ganze Welt gegen uns” sei.

Dieses Denk- und Handlungsmuster findet seine metaphorische Entsprechung in der Vorstellung, dass ein Kind, das von seinem Vater geschlagen worden ist, möglicherweise selbst kein Vater sein will, der sein Kind schlägt; aber es ist mitnichten auszuschließen, dass er selbst als ehemals Geschlagener sein Kind erst recht schlagen wird. In der Ideologie des staatlichen Zionismus, der die Schmach alles diasporisch Wehrlosen historisch zu überwinden trachtete, ist die in sich schlüssige Idee der Selbstwehr spätestens nach 1967 zur aggressiven Praxis der Expansion und brutalen Unterdrückung (der Palästinenser) geronnen.

Man mag dies in Zusammenhang mit den Folgen des Sechstagekrieges und dem sehr bald danach einsetzenden Siedlungswerk im Westjordanland sehen, mithin die national-religiöse, messianisch befeuerte Siedlerbewegung für diese (zunächst für randständig gehaltene) Entwicklung verantwortlich machen. Bedenkt man aber, dass die expansive Okkupationspolitik von allen israelischen Regierungen seit den 1970er Jahren, nicht nur hingenommen, sondern auch getragen und gefördert wurde, stellt sich hier eine andere Frage, die auch den anfangs dargestellten Widerspruch in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Zu fragen gilt es nämlich, ob wir es hier lediglich mit einer Kontingenz zu tun haben, also mit einer historischen Entwicklung, die durch eine Reihe unvorhersehbarer “Zufälligkeiten” gekennzeichnet ist, oder etwa mit einem Praxismuster, das sich durch die gesamte Geschichte des Zionismus hindurchzieht. In letzteren Fall wäre der oben erwähnte Widerspruch kein Resultat der Reaktion auf die Katastrophe der Juden im 20. Jahrhundert, sondern eine Grundeinstellung, die die gesamte leiddurchwirkte jüdische Exil- bzw. Diasporaerfahrung zu “kompensieren” bestrebt ist.

In der Moderne musste der wehrhaft kämpfende “Neue Jude” erst herangebildet werden; darin gerade sah ja der Zionismus sein Ziel, wobei er den schwachen diasporischen Juden als pejoratives Gegenbild ideologisch hochhielt und schmähte. Max Nordaus Begriff des “Muskeljudentums”, der seiner Rede im zweiten Zionistenkongress von 1898 entstammte, war da beredt.

Aber nicht nur der “Neue Jude” der Moderne sollte gebildet werden, sondern auch der kampfgestählte Jude der antiken Zeit gleichsam auferstehen. Nicht von ungefähr hielt man sich an biblischen Vorbildern des jüdischen Kämpferheroismus (die diasporische Exilzeit bewusst überspringend). David ist da nur das bekannteste Beispiel für die Herstellung einer ideologisch gemeinten “Kontinuität” von der Zeit der Urväter bis zur modernen Renaissance des jüdischen Volkes. Die Bibelzeit, mithin das Land der Urväter propagierte man als geschichtliche Quelle (und letztlich als Raison d’être) des modernen Zionismus. Die Herkunft in Europa sollte man hinter sich und die Erinnerung an sie verblassen lassen. Das war freilich leichter gesagt als getan. Nicht zuletzt darin lag die Tragik, aber auch die im Grunde lächerliche Selbstüberschätzung des zionistischen Projekts.

Wem diese Darlegung zu spekulativ vorkommt, möge sich die Führer der nationalreligiösen Parteien im heutigen Israel anhören, allen voran Polizeiminister Itamar Ben-Gvir und Finanzminister Bezalel Smotrich. Ihre unverhohlene Kriegsgeilheit, ihre rabiate Bereitschaft, die entführten Geiseln dem “heroischen nationalen Kampf” zu opfern, ihre Freude darüber, dass Gott ihnen das “Wunder” bescherte, den Gazastreifen aufs neue erobern und jüdisch besiedeln zu dürfen, ihre Forderungen, möglichst viele Gaza-Bewohner (für sie allesamt “Terroristen”) zu liquidieren (auch wenn dabei Frauen und Kinder getötet werden), ihr brutales Vorgehen gegen jede Widerstands- und Protestregung unter den Palästinensern in den besetzten Gebieten und im Kernland Israel, und ohnehin ihr dezidierter Versuch, die kümmerlichen Residuen der formalen Demokratie Israels aus den Angeln zu heben und zu zerstören – sie alle und noch vieles mehr sprechen unzweideutig für sich. Und man vergesse nicht: Man lässt sie gewähren. Man fürchtet sie und unterlässt es, ihnen entgegenzuwirken.

Es sind diese Kahanisten, die zum politischen Establishment des zionistischen Israel und seiner Führung avanciert sind, diese ungestört agierenden rassistischen Faschisteen. Es sind aber auch nicht zuletzt die großen Massen israelischer Bürger, die hinter ihnen stehen bzw. eine antidemokratische Gesinnungsaffinität zu ihnen empfinden, die die betrübliche, nicht offen aussprechbare Spekulation aufkommen lassen: Was wäre wohl gewesen, wenn die Juden im Laufe der Jahrhunderte kein Exil der Schwäche und ein diasporisches Opferdasein zu durchleben gehabt hätten, sondern einen eigenen mit “biblischer Wehrhaftigkeit” und “gottbeseelten Heroismus” gepanzerten Staat gehabt hätten? Was wäre das für ein Judentum geworden, wenn es hätte verbrechen dürfen und können, was andere Völker aneinander verbrochen haben? Wie hätte es sich historisch gebildet, und als was hätte es sich politisch, gesellschaftlich und kulturell manifestiert?

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1 Kommentar zu Faschismus – ein jüdisches Schicksal Von Moshe Zuckermann

  1. Vielleicht bilden sich in Menschengruppen, die auf der Grundlage einer gemeinsamen Identität tatsächliche oder vermeindliche Demütigungen und Leiden erfahren, allgemein zwei unterschiedliche Reaktionen heraus: entweder: das soll nie wieder überhaupt jemandem geschehen, oder: das soll nie wieder uns geschehen, und dafür werden wie andere zu Brei schlagen! Diese zwei gegensätzlichen Reaktionen scheinen sich durch die Geschichte zu ziehen. Viele Menschen, die vor Unterdrückung und Verfolgung in den amerkanischen Kontinent auswichen, haben sich ihrerseits an Völkermord, Landraub und Sklaverei beteiligt, Eine traurige geschichtliche Bilanz.
    Herzliche Sonntagsgrüße

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