Einmal kam der Sohn erschüttert von einer Jugendfahrt zurück: Er war als „Sexist“ geoutet worden, als Frauenfeind! Und das kam so: Die Mädchen im Zeltlager sollten auf Karten schreiben, was ihnen an den Jungen nicht passte, während diese die Klos putzten. (Was nicht binäre Jugendliche währenddessen taten, ist mir nicht bekannt.) Anschließend lasen die Mädchen im Plenum ihre „Kritik“ vor, zum Beispiel „X ist ein Besserwisser“, oder „Y, sei mal einfach leise, du nervst nur“. Dabei hatte Y, der ständig herumzappelte, sich Mühe gegeben, nicht zu stören, erinnerte sich der Sohn. Vermutlich bekommt Y in seinem unruhigen Alltag oft zu hören, dass er „nervt“. Während des Tribunals begann er jedenfalls zu weinen.
Doch den Jungen war untersagt, über das Bashing gegen sie zu sprechen – auch untereinander. Workshops hatten sie über den „weißen heterosexuellen Mann“ aufgeklärt, der als solcher für Sexismus und Rassismus verantwortlich sei. Angesichts der hohen Zahl von Kindern, die sexuelle Gewalt erfahren, ist es sehr wahrscheinlich, dass sich auch in diesem Zeltlager mindestens ein missbrauchter Junge befand. Dieser hätte nun von der Reise „mitgenommen“, dass er potenziell der Gruppe der „Täter“ angehört und dafür – durch Kloputzen und stigmatisierende Kritik – vorab zu büßen hat. „Wenn das euer Gender-Mainstreaming ist, stimmt damit etwas nicht“, hatte ich den – staatlich geförderten – Reiseveranstaltern geschrieben. Niemand antwortete.
Warum erzähle ich das? Weil jene individuell bloßstellende Art der „Kritik“ droht, zum Mainstream zu werden. „Antifeministen“, lese ich, können in einer bundesweiten „Meldestelle“ angezeigt werden. Und diese „Meldestelle Antifeminismus“ wird staatlich gefördert. Bisher war ich davon ausgegangen, dass es einen Unterschied gibt zwischen Straftaten und Meinungen. Die Verfolgung von Straftaten regeln Gesetze, die Verfolgung von Meinungen regelt der Medienmarkt, aus dem sich der Staat, sofern es nicht um Straftaten geht, fein herauszuhalten hat. Dachte ich.
Aber die „Meldestelle Antifeminismus“, ein von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung in Zusammenarbeit mit der Amadeu Antonio Stiftung durchgeführtes Projekt, lehrt mich eines Besseren. 2022 flossen 133.000 Euro bundesfamilienministerielles Steuergeld dorthin – natürlich nur zu meinem Besten: Ich kann nach Herzenslust frauenfeindliche Angriffe und Gewaltvorfälle zur Anzeige bringen, auch „antifeministische Sprüche“ oder Kampagnen gegen geschlechtergerechte Sprache. Wenn ein Medium „antifeministische Narrative“ verwendet, ist es meine Bürgerinnenpflicht, es auf antifeminismus-melden.de zu verpetzen, mehr noch: Ich sollte alle Äußerungen von Menschen, die erkennen lassen, dass für sie nicht alle Menschen gleich sind, dort anzeigen. Denn das ist laut Bundesfamilienministerin Lisa Paus das Haupt-Kennzeichen für „Antifeminismus“.
Da ich einigermaßen überzeugt bin, dass nicht alle Menschen gleich sind und somit Personen abwerte, müsste ich mich eigentlich selbst anzeigen, und den Sohn gleich mit. Um dann öffentlich Reue zu äußern. Das Ganze erinnert unangenehm an stalinistische Schauprozesse, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Assoziation nicht selbst schon „antifeministisch“ – und dort zu melden wäre. Schließlich gelten auch Aufkleber mit dem Wort „Gender-Ideologie“ als „antifeministisch“. Weiterlesen im freitag.de
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