Hauptsache noch mehr Nebel: Die Nord-Stream-Saga des Mainstreams geht weiter Von Dagmar Henn

Verschleiern und falsche „Enthüllungen“ und Anschuldigungen sind die „Zeitenwende“    Evelyn Hecht-Galinski

Hauptsache noch mehr Nebel: Die Nord-Stream-Saga des Mainstreams geht weiter

Von Dagmar Henn Gut, dass das westliche Publikum so gut dressiert ist und unterschiedlichste Varianten für ein und denselben Vorfall folgsam schluckt. Das ermöglichte nicht nur, bei der vermeintlichen Vergiftung des Herrn Nawalny vom Tee auf Mineralwasserflasche auf Unterhose zu wechseln; es ist auch äußerst hilfreich bei der Erhaltung des Nebels um den Anschlag auf Nord Stream 2.

Hauptsache noch mehr Nebel: Die Nord-Stream-Saga des Mainstreams geht weiter

Von Dagmar Henn

Wirkliche Enthüllungen darf man von westlichen Medien nicht erwarten, auch nicht von der Washington Post. Aber etwas wird immer sichtbar. In diesem Fall sind es innere Widersprüche im westlichen Bündnis, das um jeden Preis gehalten werden soll.
Hauptsache noch mehr Nebel: Die Nord-Stream-Saga des Mainstreams geht weiterQuelle: www.globallookpress.com © Stefan Sauer

 

Gut, dass das westliche Publikum so gut dressiert ist und unterschiedlichste Varianten für ein und denselben Vorfall folgsam schluckt. Das ermöglichte nicht nur, bei der vermeintlichen Vergiftung des Herrn Nawalny vom Tee auf Mineralwasserflasche auf Unterhose zu wechseln; es ist auch äußerst hilfreich bei der Erhaltung des Nebels um den Anschlag auf Nord Stream 2.

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Zu Beginn bestand er schlicht aus weitgehender Verweigerung der Berichterstattung, dann aus lang anhaltenden Erklärungen, man könne nichts wissen, und monatelanger Verzögerung jeder Untersuchung; als dann die Recherchen von Seymour Hersh trotz großer Bemühungen, sie zu ignorieren, die Ruhe störten, wurde schnell das Andromeda-Märchen ausgekocht, nach dem sechs Unbekannte in einer Jacht …

Wenn jetzt die Washington Post (WaPo) die Variante lanciert, da könnten Ukrainer oder Polen dahinterstecken, ist das Ablenkungsmanöver leicht durchschaubar; aber solange die überwiegende Mehrheit der Medien wie der Politiker im Westen sich zu dem Thema ausschweigt oder bei der Erstellung neuer Nebelwände kooperiert, ist kaum zu erwarten, dass größere Teile der Öffentlichkeit Aufklärung einfordern. Das haben die vergangenen Monate zur Genüge bewiesen.

Interessanter ist die Frage, warum die WaPo diese Version vorzieht. In den letzten Monaten gab es immer wieder Indizien für massive interne Auseinandersetzungen im Washingtoner Apparat, und gelegentliche Aussagen deuten darauf hin, dass zumindest Teile des Pentagons gerne die Ukraine-Nummer beenden würden, wenn auch nur, um daraufhin einen Konflikt mit China vom Zaun zu brechen. Die polnische Regierung hat sich zwar als höchst verlässlicher Partner gegen Russland erwiesen, aber zuletzt auch eine Neigung gezeigt, eigenen Machtambitionen zu folgen, insbesondere, auf ein Häppchen der ukrainischen Schlachtplatte zu spekulieren. Da wäre es auch denkbar, dass mit diesem Artikel Polen diskret die Instrumente gezeigt werden.

Es gibt natürlich noch das schlichte technische Problem, dass die Andromeda-Geschichte so erbärmlich schlecht gestrickt ist. Die technischen Details wurden bereits zur Genüge durchdiskutiert; sie reichen von der erforderlichen Länge der Ankerkette über nötige Tauchzeiten bis hin zur simplen Tatsache, dass ein Boot dieser Größe massive Probleme hätte, eine Fracht von 500 Kilogramm auf offener See überhaupt kontrolliert abzuladen. Das Gewicht einer solchen Jacht liegt bei etwa drei Tonnen.

Die ganze Andromeda-Geschichte war im Grunde nur ein Signalgeber an das Publikum, dass eine Diskussion der wirklichen Ereignisse und der Enthüllungen von Seymour Hersh nicht erwünscht ist. Und auch wenn die WaPo eine etwas andere Theorie aufstellt, bleibt ebendieses Signal dennoch erhalten.

Das Hauptargument für die neue Theorie sind angeblich abgefangene, aber erst später entdeckte Funkkommunikationen. Das ist auch nicht überzeugender als die angeblichen Sprengstoffspuren auf dem Tisch der Andromeda, vor allem in diesem bestens überwachten Seegebiet vor der Nase des dänischen Marinegeheimdienstes. Und, so die WaPo, „ein höherrangiger Mitarbeiter der Biden-Regierung warnte, die abgefangene Kommunikation pro-ukrainischer Akteure sei nicht beweiskräftig“.

Vor allem aber, das betont das Blatt, sei die westliche Einheit zu wichtig. Darin sind sich all die benannten und unbenannten Zitatgeber einig. Es gebe „kaum einen Nutzen, zu tief zu graben und eine unbequeme Antwort zu finden“. Das hat etwas von Omertà.

Dabei wird die Frage der wirklichen Interessen nicht diskutiert, auch nicht in der WaPo. Natürlich war Polen immer gegen Nord Stream; der Grund ist simpel – eine über polnisches Gebiet verlaufende Pipeline hätte nicht nur Durchleitungsgebühren abgeworfen, sie hätte auch Polen die Möglichkeit verschafft, über diese Pipeline politischen Druck auszuüben; eine Möglichkeit, die die Ukraine immer wieder genutzt hatte und die Polen gerade gegenüber Deutschland einen Vorteil verschafft hätte. Was exakt der Grund dafür war, warum diese Pipelines anders geplant wurden. Und natürlich war auch die deutsche Motivation nicht frei von Erwartungen, die Versorgung mit wichtigen Rohstoffen zur Kontrolle zu nutzen.

Es sind aber genau die immer wieder betonten Beteuerungen, wie wichtig die westliche Einheit sei, die den Schlüssel zur bedeutenderen Interessenslage liefern. Denn die Interessen, um die es wirklich geht, haben nur wenig mit dem Gemetzel in der Ukraine zu tun. Die letzten Monate und Wochen haben gezeigt, dass die eigentliche Auseinandersetzung um das gesamte koloniale System geht, das über Jahrzehnte hinweg so erfolgreich den globalen Süden abgeschöpft hat. Die beiden treibenden Kräfte in der Ukraine, die USA und Großbritannien, sind so weit deindustrialisiert, dass sie gar keine Alternative zur bedingungslosen Aufrechterhaltung dieses Systems haben. Schlimmer noch, zumindest die USA sind so tief verschuldet, dass ein Zusammenbruch der Dollar-Dominanz den Zusammenbruch der US-Ökonomie unvermeidlich nach sich ziehen würde. Und die Dollar-Dominanz zerfällt, mit exponenziell steigender Geschwindigkeit.

Nun steht Deutschland mitnichten außerhalb dieses Systems, das nicht nur zu völlig aufgeblasenen Bewertungen bei Finanzanlagen und Immobilien geführt hat, sondern außerdem unter der Überschrift des „geistigen Eigentums“ gewaltige Finanzströme von Süd nach Nord leitet. Aber auch wenn die Interessen der Milliardäre weitgehend identisch sind, stellte der vergleichsweise hohe Anteil realer Produktion eine Alternative dar, die ein Ausscheren aus der Front dieser Aggression ermöglicht hätte; spätestens dann, wenn sich – und das Wiedererscheinen der Krise im Bankensektor deutet darauf hin – abzeichnet, dass die virtuellen Werte sich so oder so in Luft auflösen werden. Denn wenn eine Krise zu einer massiven Entwertung führt, sind Produktionsanlagen relativ sicher, während Immobilien- und Finanzwerte tatsächlich vollständig ausgelöscht werden können.

Um dauerhaft dafür zu sorgen, dass auch sämtliche Teile des deutschen Kapitals (wir reden hier vom kleinen Zirkel der Milliardäre) auf Gedeih und Verderb an diese Front gebunden sind, müssen die Produktionsmöglichkeiten zerstört werden. Einen Teil dieser Aufgabe erledigen erfolgreich die deutschen Grünen; der andere wurde durch einen Terrorakt geklärt.

Mit anderen Worten – wenn man den Blick auf die Interessen vom kleineren Schauplatz Europa löst und auf die globale Auseinandersetzung richtet, dann haben genau zwei Beteiligte ein starkes Motiv, die USA und Großbritannien, und es sind genau diese beiden Akteure, auf die Seymour Hersh tatsächlich stieß. Dazu kommt selbstverständlich, dass der Pseudostaat Ukraine ohne Zustimmung seines Herrn und Meisters gar nichts tut und der Pakt des Schweigens, der offenkundig zum Thema Nord Stream besteht, keinesfalls von der Kiewer Pseudoregierung eingefordert werden könnte.

Das erbärmliche Schauspiel zum Fall Nord Stream dürfte noch lange weitergehen. Der Artikel in der WaPo hat nicht nur die Verlagerung der Geschichte auf Kiew als Schuldigen angedeutet, sondern auch eine Wiederaufnahme der ultimativen Räuberpistole mit der Beschuldigung Russlands nicht völlig ausgeschlossen, indem die Wiedergabe entsprechender polnischer Behauptungen mit folgendem Satz geschlossen wurde: „Nachrichtendienste haben keinen klaren Beweis gefunden, dass Russland, der ursprüngliche Hauptverdächtige, verantwortlich sei.“ So gönnt man sich eine Hintertür aus der Hintertür; sollte man von der Option, sich auf diese Weise der Ukraine zu entledigen, keinen Gebrauch machen, könnte ja doch noch ein „klarer Beweis“ gefunden werden. Währenddessen hält das eine oder andere Medium, wie t-online, diese Variante im Spiel.

Die Wahrheit dürfte erst dann bekannt werden, wenn die erste Bevölkerung eines der westlichen Länder die Nase voll davon hat, über Rüstungsaufträge und Inflation (oder demnächst die eine oder andere Bankenrettung) ausgeplündert zu werden und die ganze politische Elite in die Wüste gejagt wird. Oder wenn die westliche Politik, die die Macht der USA erhalten sollte, aber tatsächlich ihr Ende beschleunigt, am Ende angelangt ist.

Bei dem, was dann aus den Archiven gegraben wird, dürfte der Anschlag auf Nord Stream noch zu den minderen Sünden gehören. Bis dahin wird man das Theater weiter bewundern dürfen, in Deutschland, gegen dessen Interessen der Terrorakt vor allem gerichtet war, in der besonders unappetitlichen Variante völliger Selbstverleugnung.

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