Israel-Iran: Ein sich anbahnender Krieg von Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen neuen auf Overton-Magazin erschienen Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/israel-iran-ein-sich-anbahnender-krieg/

Israel-Iran: Ein sich anbahnender Krieg

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Nach Angriff auf Beirut am 2. Oktober. Bild: lebanon24.com

Am Dienstag dieser Woche hat der Iran Israel mit massivem Raketenbeschuss übersät. Bahnt sich ein regionaler Krieg an?

 

Der am Dienstag dieser Woche erfolgte massive Beschuss Israels durch den Iran markiert eine “neue Phase” in der Chronik der gegenwärtigen Gewalteskalation im Nahen Osten. Zwar fand bereits im März eine vergleichbare Attacke statt, aber der diesmalige Angriff unterschied sich vom vorhergehenden darin, dass der Iran zum ersten Mal bewusst auf dichtbesiedelte israelische Städte zielte. Bei der Attacke im April hatten die Iraner von dieser Möglichkeit abgesehen.

Durfte man überrascht sein? Nur dann, wenn man sich in der den Iranern beigemessenen Bereitschaft zum Risiko bei der Verwirklichung einer solchen Option verschätzte. Dass man sich verschätzen konnte, hing damit zusammen, dass sich der Impakt, den die israelischen Schläge gegen die Hisbollah auf die Iraner ausgeübt hat, nicht genau beurteilen ließ. Im nachhinein weiß man, dass man sich offenbar verschätzt hat.

Geblendet durch die Erfolge der Armee und der Geheimdienste in den vorhergehenden Wochen bei der Bekämpfung der Hisbollah, breitete sich in der israelischen Medienwelt wie allgemein in der Bevölkerung (von den Politikern an der Macht ganz zu schweigen) eine mit Allmachtsgefühlen gekoppelte Euphorie aus – man wähnte sich auf dem Olymp der Unbesiegbarkeit, berauschte sich mithin am Gefühl der militärischen Überlegenheit und der technologisch-innovativen Potenz. Zu sehr ging man davon aus, dass das durch den 7. Oktober stark angeschlagene Abschreckungsvermögen der israelischen Militärgewalt wiederhergestellt sei. Nicht ausgeschlossen, dass es bei den Hollywood-reifen Paradestücken, die alle Welt in Staunen versetzte, gerade darum ging.

Gewiss ist, dass die israelischen Aktionen den Iran in ein Dilemma von geopolitischer Tragweite trieben: Reagierte er nicht, ließ sich fragen, ob der Iran den Anspruch, eine gewichtige Macht im Nahen Osten zu bilden, überhaupt noch erheben darf. Nur zögernd hatte er nach Beginn des Gaza-Krieges die Hisbollah, seinen bedeutendsten militärischen Proxy in der Region, zur Aktivität gegen Israel aus Libanon angetrieben. Da nun aber sein Stellvertreter in Not geraten war, konnte er sich kaum noch ohne Renommée-Schaden der Reaktion gegen Israel enthalten. Reagierte er aber (wie er es am letzten Dienstag tatsächlich tat), ging er das Risiko ein, dass das direkt von ihm angegriffene Israel zu einem besonders heftigen Gegenschlag ausholen würde.

Diese Eskalation, die u.a. auch die Zerstörung der bereits vorhandenen Infrastruktur für die Entwicklung einer iranischen Atombombe zur Folge haben könnte, müsste den Iran wiederum unweigerlich in den Zugzwang setzen – ein Szenario, das in einen regionalen Krieg mit katastrophalen Folgen münden könnte. Ob der Iran das will, darf bezweifelt werden; militärisch hat Israel bei einem solchen Krieg die Oberhand.

Will aber Israel einen solchen Krieg?

Nach allem, was man von israelischen Politikern (die auch als Sprachohre Netanjahus fungieren) hört, muss man diese Frage bejahen: Man hat Blut geleckt, und gerade die massive iranische Attacke bietet nun die Gelegenheit, so zu retaillieren, wie man es sich schon lange gewünscht hat – nicht zuletzt, wie gesagt, mit einer Zerstörung der militärisch-nuklearen Kapazität Irans.

Netanjahus Wunsch war das schon immer; als “Mister Security” hat er seine Politik fast die gesamte Amtszeit hindurch mit dieser Zielsetzung gespeist. Das Militär (vor allem die Luftwaffe) würde sich dieser Herausforderung allzu gern stellen. Man darf übrigens nicht vergessen, dass nicht wenige israelische Spitzenpolitiker eine ranghohe Militärkarriere hinter sich haben, wodurch nicht nur ihr positives Image beim Wahlvolk, das der “Sicherheit” nachgerade kultisch frönt, vorgeprägt ist, sondern auch die Matrix des israelischen Militarismus strukturell bedient wird.

Militärmenschen denken nun einmal zumeist in militärischen Kategorien, und zwar selbst dann, wenn sie gemäß ihrer Funktion als Politiker mit diplomatisch-staatsmännischem Kapital aufzuwarten hätten. Wie zu erwarten war, übt man nun “inneren  Druck” auf Netanjahu, auf Irans Attacke vom Dienstag massiv zu reagieren.

Das wiederum will Joe Biden nicht. Der US-Präsident hat zwar das Recht Israels zu reagieren hervorgehoben, zugleich aber betont, dass die USA einen israelischen Angriff auf die Nuklearanlagen Irans nicht befürworten können. Abzuwarten bleibt gleichwohl, ob diese Einschränkung befolgt werden wird. Denn obgleich sich Biden seit Beginn des Gaza-Krieges militärisch wie diplomatisch uneingeschränkt hinter Israel gestellt hat, tut der israelische Premier erstaunlich viel, um dem US-Präsidenten im Hinblick auf dessen geopolitische Bestrebungen im Nahen Osten in den Rücken zu fallen.

Gemessen daran, dass Israel von den USA völlig abhängig ist, muss man sich über diese Undankbarkeit, vor allem aber über die politische Unverfrorenheit Netanjahus entsetzen. Dass Joe Biden das hinnimmt, lässt sich nur damit erklären, dass er sich nicht leisten kann, die Versorgung Israels mit Waffen zu stoppen, schon gar nicht im gerade laufenden Wahljahr – und das ideologisch auch gar nicht will. Was er von Netanjahu hält, hat er (sich einer nicht gerade diplomatischen Sprache bedienend) schon mehrfach bekundet. Aber seine Hände sind unter den gegebenen Umständen gebunden.

Eine Katastrophe bahnt sich an

Kann sein, dass die militärische Reaktion Israels auf die iranische Attacke am Dienstag bis zur Publikation dieser Zeilen bereits erfolgt sein wird. Netanjahu hat sie jedenfalls schon großmäulig in den Medien angekündigt. Der iranische Präsident Masoud Pezeshkian hat auf diese Drohung seinerseits mit einer rabiaten Gegendrohung reagiert – die verbale Eskalation läuft auf vollen Touren.

Sollten sich diese Kampfansagen verwirklichen, mündete dies möglicherweis in einen regionalen Krieg, der das, was man im letzten Jahr erleben musste, an Gewaltexzessen bei weitem übersteigen würde. Eine Katastrophe bahnt sich an. Alle Beteiligten wissen es; “die Welt” weiß es – und obwohl man vorgibt, sie vermeiden zu wollen, wird nichts Wesentliches unternommen, um ihre fatale Verwirklichung zu verhindern.

Dabei ist klar, dass es keine Sieger in diesem Krieg geben kann: Israel kann nicht besiegt werden, der Iran auch nicht, wie denn auch von vornherein hätte klar sein müssen, dass die Attacke am 7. Oktober 2023 nicht zu einem “Sieg” der Hamas führen würde, letztlich aber auch die Hamas und die Hisbollah nicht von Israel “total besiegt” werden können (wie es Netanjahu vorschwebt). Es geht nicht um einen Sieg in der gegenwärtigen Krise und der von ihr generierten Gewalteskalation, sondern um deren Überwindung durch Verhinderung des sich ankündigenden Krieges. Hört man aber die Gewaltrhetorik der führenden Politiker auf allen Seiten, gewahrt man zudem den öffentlichen israelischen Jubel über die Liquidierung von Hassan Nasrallah und parallel dazu die Begeisterungsstürme in Teheran angesichts der Bombardierung Tel Avivs, dann weiß man, wie weit gewollt-entfernt man von der Verhinderung dessen ist, wofür gerade die Jubelnden den bitteren Preis werden zahlen müssen.

Man kann nur mit Entsetzen registrieren, wie sehr sich die Epiphänomene dessen, worum es eigentlich zu gehen hätte – den israelisch-palästinensischen Konflikt! – mittlerweile verselbständigt haben und nunmehr der Dynamik eines katastrophalen Eigenlebens mit sich ständig steigernder Hassemphase und ideologisch aufgezwungener Blindheit fürs menschliche Leben unterliegen.

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