Israel und die Wahl zum Europäischen Parlament von Moshe Zuckermann

Dank an Mosehe Zuckermann für die Genehmigung seinen neuen auf Overton erschienen Artikel, auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen.

 

https://overton-magazin.de/top-story/israel-und-die-wahl-zum-europaeischen-parlament/

Israel und die Wahl zum Europäischen Parlament

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Vom israelischen Außenminister auf X am 10. Juni veröffentlichtes KI-generiertes Bild mit dem Kommentar: „Die Spanier haben die Koalition von @sanchezcastejon und @Yolanda_Diaz_ mit einer krachenden Wahlniederlage bestraft. Es stellt sich heraus, dass die Unterstützung der Mörder und Vergewaltiger der Hamas der Wahl nicht dient.“

Der bei den Wahlen zum europäischen Parlament zu verzeichnende Rechtsruck hat eine gewisse Relevanz für Israel.

 

Das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament haben in Israel kein besonderes Aufsehen erregt. Das verwundert nicht allzu sehr, da Israels Politik stets Nabelschau betreibt, und sich jetzt, im fortwährenden Kriegszustand, nur noch mit sich selbst zu beschäftigen vermag.

Ein bekanntes Diktum Henry Kissingers aus den 1970er Jahren besagt, dass Israel eigentlich gar keine Außen-, sondern nur eine Innenpolitik habe. Das ist wahr und muss dennoch eingeschränkt werden. Denn da Israel seit 1967 die Okkupation der palästinensischen Territorien zum zentralen Faktor seines politisch-ökonomisch-militärischen Daseins hat heranwuchern lassen, bedeutet dies, dass das außenpolitische Anliegen (das Besatzungsregime und die dezidierte Verhinderung der Errichtung eines souveränen palästinensischen Staates) die innere Parteipolitik affiziert, diese aber ihrerseits zwangsläufig auch die Ausrichtung auf die Außenpolitik prägt. Wie sehr dabei die Praxis der israelischen Beziehungspolitik zu anderen Staaten mittlerweile verkommen ist, hat sich diese Woche, nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse zum EU-Parlament, in peinlichster Weise artikuliert.

Bekanntlich haben im letzten Monat Irland, Norwegen und Spanien den palästinensischen Staat anerkannt. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez und Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Díaz gerieten sogleich ins Visier des israelischen Außenministeriums. Im Netzwerk X zeihte Israel Katz, Israels amtierender Außenminister, Sánchez und Díaz der Hetze zum Judenmord.

Wörtlich hieß es: “Chamenei, Sinwar und Spaniens Vize-Ministerpräsidentin Yolanda Díaz rufen zur Liquidierung des Staates Israel und zur Errichtung eines palästinensisch-islamischen Terrorstaates vom Fluss bis zum Meer auf”. Er fügte dem hinzu: “Sánchez, wenn Sie Ihre Vize nicht entlassen und die Anerkennung eines palästinensischen Staats proklamieren, nehmen Sie an der Hetze zur Ermordung des jüdischen Volkes und an Kriegsverbrechen teil.”

Die “Ha’aretz” berichtete zudem, Katz habe auch ein Video verbreitet, das Bilder von der Attacke am 7. Oktober zeigte, die von Flamenco-Musik begleitet wurden. Titel des Videos: “Hamas: Danke Spanien”. Entrüstet habe daraufhin der spanische Außenminister reagiert. Das Video sei skandalös und abstoßend: “Skandalös ist es, weil alle Welt weiß, dass wir die Taten der Hamas vom ersten Moment an verurteilt haben. Und abstoßend ist es, weil es sich eines der Symbole der spanischen Kultur bedient.”

Dass der oberste Diplomat der israelischen Politik sich aggressiv-polemischer Rhetorik bedient, ist nicht sonderlich überraschend. Nicht nur hat er von seinem Chef, Premierminister Benjamin Netanjahu, schamloses Lügen, ausfälliges Räsonieren und manipulative Skrupellosigkeit gelernt, sondern er schwimmt im Fahrwasser der im israelischen Parlament üblichen Rhetorik, die in den letzten Jahren zum Niedrigsten verkommen ist, was man in diesem Haus je zu hören bekam. Er befleißigt sich dessen ganz bewusst, weil er auf diese Weise in der Basis seiner Partei zu punkten trachtet.

Aber selbst das war noch moderat, gemessen an dem, was ihm nach der Wahl zum EU-Parlament entfleuchte. Nach der Niederlage der sozialistischen Partei von Pedro Sánchez (PSOE) bei den spanischen EU-Wahl beglückwünschte Israel Katz den spanischen Premier zu seinem Misserfolg und entblödete sich nicht zu schreiben, das sei der Weg des spanischen Volkes, ihn für die Anerkennung des palästinensischen Staates zu bestrafen. Diese subtile diplomatische Glanzleistung garnierte der kreative Außenminister mit einem KI-Foto, auf dem Pedro Sánchez und Yolanda Díaz mit zerbrochenen, über ihren Köpfen fließenden Eiern zu sehen sind. “Es stellt sich heraus, dass es sich nicht auszahlt, die Vergewaltiger und Mörder der Hamas zu umarmen”, schrieb Katz dazu.

Man könnte diese infantilen Vulgaritäten abwinkend beiseiteschieben, wenn sie nicht (über das bisher Gesagte hinaus) symptomatisch wären für etwas Grundlegendes in Israels Ausrichtung auf andere Länder. Zum einen ist es kein Zufall, dass gerade die Anerkennung des palästinensischen Staates durch eine linke Partei Spaniens Israels Außenminister so in Rage versetzte. Eines der zentralen propagandistisch-agitatorischen Zielsetzungen Benjamin Netanjahus in seiner gesamten bisherigen Regierungszeit war die Etikettierung alles “Linken” als landesverräterisch, anti-israelisch und antisemitisch. Er hatte da leichtes Spiel bei sehr vielen israelischen Bürgern, die ihm darin folgten, selbst wenn sie ihn selbst verabscheuten.

Netanjahus ministeriales und parteiliches Umfeld befleißigte sich dieser Anti-Linken-Hetze – mit einigem Erfolg, wie man sagen muss; nicht zuletzt ihr ist das fast völlige Verschwinden der israelischen Linken aus der öffentlichen Sphäre zuzuschreiben. Israel Katz, der (wohl vergeblich) sucht, sich als Netanjahus möglicher Nachfolger zu profilieren, weiß genau, wie er da zu handeln und bei wem er den angemessenen ideologischen Anklang zu generieren hat. Von selbst versteht sich, dass bei der gegenwärtigen rechtsradikal und faschistisch durchwirkten Regierungskoalition das anrüchige Ressentiment gegen die Linken mit gesteigertem Applaus rechnen darf.

Zum anderen geht es aber eben auch um die Verhinderung eines palästinensischen Staates. Seit dem 7. Oktober und dem darauffolgenden Krieg gegen die Hamas hat sich etwas in der Weltöffentlichkeit bewegt, das Israels Innen/Außenpolitik und Diplomatie zutiefst beunruhigt. Die Tabuisierung des Palästinenserstaates, seine Suspendierung von der Weltbühne und der Tagesordnung der israelischen Politik sind in den letzten Monaten merklich (freilich noch nicht entscheidend) geschwächt worden. Israels politische Klasse ist daher bemüht auszuharren, bis sich der Wind wieder dreht: Große Hoffnung wird bei Netanjahu und seinem politischen Umfeld auf die Wiederwahl Donald Trumps im November gesetzt.

Von Europa erwartet man (mit der Ausnahme Deutschlands) nicht allzu viel, aber man kann nicht verkennen, dass der Rechtsruck, der sich bei den EU-Wahl vollzogen hat, auf einige Genugtuung unter Israels Rechten (insofern sie sich überhaupt für Europa interessieren) stößt. Die Erfolge von Geert Wilders in Holland, Marine Le Pen in Frankreich, Giorgia Meloni in Italien, und der (relative) Erfolg Viktor Orbáns in Ungarn sowie das gute Abschneiden von Parteien mit neonazistischem Einschlag sind beredt. Israel hat von dieser Trendwende zwar nichts unmittelbar zu erwarten, darf aber hoffen, dass der Wandel zumindest die Palästina-Frage verstummen lassen wird: die Islamophobie der erstarkten rechten Parteien Europas korrespondiert mit dem Palästinenser-Hass der politischen Klasse Israels sowie eines Großteils der jüdischen Bevölkerung des Landes. Dass man sich dabei mit Parteien verbandelt sieht, die dem Bewusstsein von Juden nach der Shoah mit Anspruch auf historisches Gedenken einen Schlag versetzen, stört heute in Israel die Wenigsten. Von keinem anderen als von Netanjahus älteren Sohn, Yair, hat die AfD schon vor einigen Jahren hohes Lob geerntet.

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