Kartell des Schweigens Von Rainer Werning

Dank an Rainer Werning für diesen entlarvenden Artikel „deutscher Werte“. Zeigt er doch so viele Parallelen zur heutigen Politik, mit vielen gleichen Bündnispartnern. Dieser Artikel spannend wie „eh und jeh“ und ist und bleibt also mehr als aktuell ein Stück verbrecherischer Zeitgeschichte.

Evelyn Hecht-Galinski

 

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آزاد افغانستان

افغانستان آزاد
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و بوم بدين مبـــــــاد من تن نباشـد کشور چو
مــــباد تن يک زنده بر
دھيم دشمن به کشور که به آن از دھيم کشتن به تن سر به سر ھمه
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Kartell des Schweigens

Von Rainer Werning

25.Juli.2020


Das Massaker in Indonesien 1965/66 (Teil I): Die Verstrickungen der damaligen
Bundesregierung und des Bundesnachrichtendienstes mit der Militärjunta waren
weitaus tiefer, als bislang angenommen
Peter Brenneken/picture-alliance / dpa
Ein Herz und eine Seele, ein Massenmörder und sein Förderer: Der indonesische
Präsident Suharto und Bundeskanzler Helmut Kohl am 11. Juli 1996 im Herzzentrum in
Bad Oeynhausen.


Rainer Werning, Politikwissenschaftler und Publizist mit den Schwerpunkten Südost- und
Ostasien, schrieb auf diesen Seiten zuletzt am 17. Oktober 2019 über das
Kriegsrechtsregime des philippinischen Präsidenten Duterte.

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Als Omertà wird gemeinhin die Schweigepflicht von Mitgliedern der Mafia und ähnlicher
krimineller Organisationen gegenüber Außenstehenden bezeichnet. Sie ist wesentlicher
Bestandteil des Ehrenkodex solcher Organisationen, verlangt aber gleichzeitig ein
unbedingtes Schweigen von Nichtmitgliedern, betroffenen Opfern und potentiellen

Zeugen.

Mit Blick auf Indonesien, das bevölkerungsreichste und größte Land Südostasiens, ließe
sich füglich von einer Super-Omertà sprechen. Bis heute nämlich werden seitens der
dortigen staatlichen Instanzen sowie mehrerer mit Jakarta eng verbündeter westlicher
Regierungsstellen in den USA, Britannien, Australien und eben auch seitens der
Bundesrepublik Deutschland die Ereignisse der Jahre 1965/66 systematisch beschwiegen.
Die während dieser Zeit exekutierte »Ausrottung und Vernichtung der Kommunisten«
beziehungsweise tatsächlicher und/oder vermeintlicher Mitglieder der damals weltweit
drittgrößten kommunistischen Partei, der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI),
wurde als notwendige Wahrung von »nationaler Sicherheit und staatlicher Ordnung«
gepriesen und legitimiert. Demnach, so die offizielle Lesart, hätte sich die PKI in jener
Zeit angeschickt, Indonesiens damalige Regierung unter Präsident Sukarno zu stürzen und
das Land in den politischen Einflussbereich der VR China zu manövrieren. Eine andere
Sicht der Dinge ist in Indonesien bis dato tabuisiert und wird mit mehr oder minder drakonischen Strafen sanktioniert.

Nur scheibchenweise konnten in den vergangenen Jahren neue Erkenntnisse über dieses
finstere Kapitel der Nachkriegsgeschichte gewonnen werden. War es möglich, aufgrund
des Freedom of Information Act seit 2001 freigegebene Dokumente über die Haltung
diverser US-amerikanischer Regierungsstellen gegenüber der indonesischen Staatsführung
ab Mitte der 1960er Jahre einzusehen und auszuwerten, bleiben wichtige Archive in jenen
Ländern fest verschlossen, die damals und später, zusammengehalten von einem
verbissenen Antikommunismus, dem auf die Regierung Sukarno folgendem Suharto-
Regime bis zu dessen Ende im Frühjahr 1998 unverbrüchlich die Treue hielten – neben

Britannien und Australien eben auch die Bundesrepublik.

Neue Dokumente

Bis dato geheime Akten des Bundesnachrichtendienstes (BND), bekannt gemacht in einer
am 13. Juli auf dem Nachrichtenportal t-online.de veröffentlichten Arbeit eines
dreiköpfigen Rechercheteams, bestehend aus Jonas Mueller-Töwe, Philip Friedrichs und www.afgazad.com afgazad@gmail.com٣
Arno Wölk, zeigen, dass die Bundesrepublik Deutschland indonesische Militärs beim
Putsch 1965 in weitaus größerem Maße unterstützt hatte, als dies in der Vergangenheit
angenommen worden war. Nicht weniger als eine deutsche Mitverantwortung für Verbrechen gegen die Menschheit steht zur Debatte.¹

Die jetzt ausgewerteten umfangreichen Dokumente aus den Beständen des BND belegen,
dass die indonesischen Putschgeneräle unter dem neuen starken Mann Suharto nicht nur
heimlich mit 1,2 Millionen D-Mark finanziert werden sollten, sondern der BND und das
Auswärtige Amt darüber hinaus über die antikommunistischen Massaker genau informiert
waren. Ein auf den 3. November 1965 datierter BND-interner Bericht schildert demnach
»ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten«. Nur fünf Tage später, am 8.
November, wurde sodann in einem weiteren Dokument die an Deutschland gerichtete
»dringende Bitte« indonesischer Generäle um finanzielle Hilfe erörtert. Die Junta erhoffte
sich, durch die Barzahlung der oben genannten Summe die »antikommunistische
Säuberungsaktion« fortsetzen zu können konkret: das Geld einzusetzen »für
Sonderaktionen gegen KP-Funktionäre und zur Durchführung von gesteuerten

Demonstrationen« sowie für die Herstellung »antikommunistischen Propagandamaterials«.

Wie das Rechercheteam von t-online.de hervorhebt, war diese aktenkundige Überlegung
dermaßen brisant, dass der Verfasser der Notiz bereits damals erhebliche Risiken ins
Kalkül zog. »Eine etwaige Hilfe in der vorgesehenen Art könnte jedoch bei
Bekanntwerden sowohl für den Geldgeber wie auch für den Empfänger kaum
übersehbare Folgen haben. Eine derartige Unterstützung kann daher überhaupt nur unter
schärfster Abschirmung der Übermittlungswege gegeben werden.« Es ist unklar, schreibt
das Rechercheteam, wie der BND und die Bundesregierung mit dieser Bitte aus
Indonesien konkret verfuhren: Während das vorliegende Dokument mit dem
handschriftlichen Vermerk »Abgelehnt Nichteinmischung« gekennzeichnet ist, hielt der
BND unter anderem die zugehörige »Beschaffungsbitte« aus Gründen des nachrichtendienstlichen Methodenschutzes zurück.

Das federführende Mitglied des Rechercheteams, Jonas Mueller-Töwe, verweist in diesem
Zusammenhang auf gezahlte deutsche »Sondermittel«, die vom damaligen Staatssekretär
im Auswärtigen Amt und späteren Bundespräsidenten Karl Carstens letztlich bewilligt
wurden. Nach heutigem Stand war Carstens zu seiner Zeit im Auswärtigen Amt Mitte der www.afgazad.com afgazad@gmail.com۴
1960er Jahre in mehrere verdeckte Waffenlieferungen unter Beteiligung des BNDeingebunden. Die Affäre um die Waffenhandelsfirma Merex AG begleitete ihn mehrere Jahre.

Eine besondere Rolle im Rahmen dieses Deals spielte der indonesische Brigadegeneral
Achmad Sukendro, der eigens am 26. November 1965 in der damaligen Bundeshauptstadt
Bonn von Carstens empfangen wurde. Das Memo des Treffens ist von Carstens selbst
unterzeichnet. Darin hieß es, dass Außenminister Gerhard Schröder Sukendro empfangen
habe. Ein, wie Jonas Mueller-Töwe zu Recht hervorhebt, außergewöhnlicher Kontakt für einen Militär ohne offizielle diplomatische Funktion.

Der ehemalige Geheimdienstler Sukendro agierte als wichtiges Scharnier zwischen der
neuen Junta in Jakarta und der Außenwelt. Neben Bonn zählten zumindest die
thailändische Hauptstadt Bangkok sowie mehrere Städte in den USA zu Anlaufstationen
des Generals, wo es im Kern um finanzielle, technische, medizinische und logistische
Hilfen sowie Waffenlieferungen für sein Land ging. Zu Sukendro pflegten deutsche
Diplomaten ein vertrauensvolles Verhältnis, zumal der deutsche Botschafter in Jakarta den
General als »einen der fähigsten und energischsten Antikommunisten« schätzte. Bereits im
Vorfeld des Treffens in Bonn hatte der Botschafter an Staatssekretär Carstens gekabelt:

»Schon vor Monaten« habe Sukendro ihm gesagt, »die Armee warte nur auf den Vorwand,die Kommunisten zu vernichten«.

Am 3. November 1965 hieß es im Bericht des BND aus Jakarta: »Auf Mittel- und Ostjava

erfolgte zunächst ein regelrechtes Abschlachten von Kommunisten, in erster Linie durch
fanatische Moslems. (…) Man lässt zumindest seitens der Armeeführung diesen
anarchistischen Geschehnissen bewusst freien Lauf (…). Die vielen antikommunistischen
Aktionen (…) sind selbstverständlich von der Armeeführung sorgfältig vorbereitet und die

Bereitschaft der Massen (…) hierfür geweckt.«

»Die Dokumente scheinen eine Mitverantwortung Deutschlands für die vorsätzliche und
ungesetzliche Tötung von etwa einer halben Million Zivilisten zu zeigen sowie für die
Masseninternierung von etwa einer Million weiterer«, sagte der Historiker Geoffrey B.
Robinson von der University of California in Los Angeles dem t- online. de
Rechercheteam.² Und Robinson fügte hinzu: »Das würden wir heute Verbrechen gegen die

Menschlichkeit nennen.« www.afgazad.com afgazad@gmail.com۵

Unwissenheit konnte bei den damaligen Entscheidungen der Bundesregierung keine Rolle
gespielt haben: Am 11. Oktober 1965 erfuhr die Botschaft in Jakarta von den
Putschplänen des Militärs, am 27. Oktober informierte sie Bonn über tödliche Gewalt. Am
3. November schilderte der nun vorliegende BND-Bericht das »Abschlachten von
Kommunisten«, am 14. Dezember berichtete der deutsche Botschafter dem Auswärtigen
Amt von mindestens 128.000 Toten und vermutlich mehreren hunderttausend Inhaftierten.

Zeitgleich standen die Diplomaten in Kontakt mit den Militärs und verhandelten über wirtschaftliche Hilfen.

»Der Genozid in Indonesien«, erklärte der Regisseur Joshua Oppenheimer³ gegenüber den

Autoren Philip Friedrichs und Arno Wölk, »ist deshalb so besonders,

weil er nicht imRahmen eines Krieges stattgefunden hat. Und, weil die Täter gewonnen haben.« Während
die Überlebenden und Angehörigen der Toten zum Schweigen gebracht wurden, so
Oppenheimer, konnten »die Täter gar nicht aufhören, zu prahlen«.

Etliche von ihnen bekleiden auch heute noch in Indonesien ungeniert hohe politische, wirtschaftliche undmilitärische Ämter

.Schützenhilfe seitens der BRDHelfershelfer Suhartos war seitens der Bundesrepublik nicht nur der BND, der dieindonesischen Militärs mit Logistik und Waffen unterstützte, sondern dazu gehörten auch
die Bundeswehr und der Bundesgrenzschutz. Letztere lieferten für die fernen Freunde
Hilfestellung in Form von Ausbildungskursen für Offiziere an der Bundeswehr-Akademie
in Hamburg-Blankenese sowie Spezialtrainings bei der Elitetruppe GSG 9 in Hangelar bei Bonn.

Für die in- wie ausländische Imagepflege Suhartos als stets »lächelnden General«
zeichnete ausgerechnet Rudolf Oebsger-Röder, ehedem glühender Nazi und SS-
Obersturmbannführer, verantwortlich. Nach dem Krieg war Röder unter anderem
hauptberuflich für die Organisation Gehlen, dem Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, tätig
. Später arbeitete er in Jakarta unter dem Namen O. G.


Roeder sowohl für den BND wie auch als Korrespondent für die Süddeutsche Zeitung und
die Neue Zürcher Zeitung. In der indonesischen Metropole gelang es ihm, Zugang zuSuharto zu finden und sich ihm als Berater und Biograph anzudienen

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Roeders Chef, der ehemalige Nazi und erste Präsident des BND bis 1968, Reinhard
Gehlen, hatte in seinen 1971 veröffentlichten Memoiren »Der Dienst. Erinnerungen 1942-
1971« zum Machtantritt Suhartos geschrieben: »Der Erfolg der indonesischen Armee, die
(…) die Ausschaltung der gesamten kommunistischen Partei mit Konsequenz und Härte
verfolgte, kann nach meiner Überzeugung in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden.«


»Die rächende Armee hat nicht gezögert«, hatte Peter Christian Hauswedell bereits am 3.
November 1967 in der Zeit geschrieben, »die einmalige Chance zur Vernichtung ihres
einzigen Rivalen wahrzunehmen. Mit offizieller Billigung, ausgeführt von der Armee, von
militanten Jugendgruppen der Moslems und der PNI (Partai Nasional Indonesia), begann
dann der wohl größte Massenmord seit Hitlers Tagen. Er kam einem Pogrom der PKI-
Anhänger gleich und wurde schließlich – außer Kontrolle geraten – zu einem nationalen
Amoklauf, wobei Privatfehden und allgemeine soziale Konflikte unter dem bequemen
Deckmantel des Antikommunismus bereinigt wurden.«


Erst knapp fünf Dekaden nach den blutigen Ereignissen in dem südoastasiatischen
Inselstaat rückte Indonesien partiell und auch nur kurz ins Blickfeld der Berliner Politik.
Dazu beigetragen hatte eine kleine Anfrage von Mitgliedern der Fraktion Die Linke im
Bundestag. In der Antwort auf diese Anfrage äußerte sich die Bundesregierung
beispielsweise zum Themenkomplex der militärischen Zusammenarbeit mit Indonesien
wie folgt: »Die Bundesregierung unterstützt im Rahmen der bilateralen Beziehungen den
indonesischen Transformationsprozess hin zu einem demokratischen Rechtsstaat. Dazu
gehört auch die militärische Kooperation der Bundeswehr mit den indonesischen
Streitkräften. Sie ist ein Instrument präventiver Sicherheitspolitik.« Laut Ausführungen
der Bundesregierung hielten sich zwischen 1960 und 1998 im Rahmen der Militärischen
Ausbildungshilfe (MAH) insgesamt 122 indonesische Soldaten als Lehrgangsteilnehmer
an Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr in Deutschland auf.


Auf solche Fragen wie »Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über die direkte oder
indirekte Unterstützung der Massaker durch ausländische Regierungen, Geheimdienste
oder andere Organisationen?« oder zur Rolle des BND während dieser »Geschehnisse«
fielen die Antworten stets dürr aus beziehungsweise schob man zur Begründung die
Wahrung staatlicher Sicherheitsinteressen vor: »Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger
Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung nicht offen erfolgen kann.

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Die erbetenen Auskünfte sind geheimhaltungsbedürftig, da sie Hinweise zu
nachrichtendienstlichen Quellen enthalten.« Erstaunlich, wie die eingangs erwähnte
Omertà auch ein halbes Jahrhundert später den Verhaltenskodex von Politikern und
Diplomaten prägt, die sich ansonsten als Sendboten »der westlichen Wertegemeinschaft«
verstehen und andernorts schnell und laut die Stimme erheben, wenn es gilt, auf »Freedom and Democracy« zu pochen.

Suhartos langer Arm


»Die Bundesregierung sollte nicht dulden, dass auf ihrem Gebiet totalitäre Ansprüche
ausländischer Regierungen verwirklicht werden können.« Mit diesem Satz endete 1967 ein
Artikel in der Freiburger Studentenzeitung, in dem berichtet wurde, dass die indonesische
Regierung unter Suharto indonesische Studierende sogar in Deutschland überwachte,
drangsalierte und bedrohte. »Suhartos Regentschaft«, schrieb Irina Grimm in ihrem 2019
im Berliner Regiospectra-Verlag erschienenen Buch über des Präsidenten langen Arm in der BRD, »zeichnete vor allem ein straffer antikommunistischer Kurs ausder vomWesten wohlwollend gesehen und gleichzeitig gefördert wurde«.

 

Viele Studierende aus Indonesien zog es an westdeutsche Universitäten: 905 waren es lautGrimm im Wintersemester 1967/68, in den folgenden zehn Jahren stieg ihre Zahl auf mehrals 3.400 an. Rund 38 Prozent der im Ausland studierenden Indonesier entscheiden sich

Ende der 1970er für ein Studium in der BRD. Die meisten traten der Vereinigung
Indonesischer Studierender (PPI) bei, die bereits 1956 gegründet worden war. Obwohl die
PPI von Anfang an als regierungsnah galt, war die Mitgliedschaft zunächst freiwillig.
Später avancierte sie zum Büttel eines staatlich dekretierten Antikommunismus.
Indonesische Studierende mussten laut Grimm seit Ende 1966 in Deutschland ein
patriotisches und antikommunistisches Gelöbnis auf den indonesischen Staat ablegen, in
dem sie auch versprachen, »diejenigen, die sich gegen die ›Neue Ordnung‹ stellen,
tatkräftig zu verurteilen und zu liquidieren«. Grimm sieht es als erwiesen an, »dass die
indonesische Regierung ihre im Ausland studierenden Landsleute zur Verfolgung
kommunistischer und oppositioneller Gruppen im Ausland, insbesondere in der
Bundesrepublik in den Jahren 1966 und 1967 aufrief«.


Demnach hatten Mitarbeiter des indonesischen Außenministeriums einen umfangreichen
Fragebogen entworfen, um Studierende im Ausland zu traktieren. Dieser mit nicht weniger www.afgazad.com afgazad@gmail.com٨
als 40 Fragen gespickte Katalog diente letztlich dazu, die Jugendlichen rundum zu
»domestizieren«, sie in allseits gefügige Untertanen oder willige Denunzianten zu
verwandeln. Zuwiderhandlungen waren zwecklos, weil dann die Gefahr drohte, dass der
Reisepass einbehalten beziehungsweise nicht mehr verlängert wurde. Wenngleich
deutsche Kommilitonen und ihre Medien sich solidarisch zeigten und die Bundesregierung
in Bonn aufforderten, »die illegalen Handlungen der indonesischen Botschaft« zu
beenden, geschah nichts. In Bonn waren und blieben »die freundschaftlichen Verhältnisse
zur Republik Indonesien« prioritär. Und man begnügte sich mit der lauwarmen Erklärung
indonesischer Diplomaten, künftig solche Befragungen einzustellen.


Dominotheorie


Vor 55 Jahren entfesselte das indonesische Militär im Zeichen eines aggressiven
Antikommunismus das bis dahin größte Massaker nach dem Zweiten Weltkrieg. Was die
USA 1965/66, auf dem Höhepunkt des Vietnamkrieges, nicht vermochten, sollte ihnen zur
gleichen Zeit in Indonesien gelingen. Nutznießer dieser Entwicklung war ein
Militärregime unter Führung von General Suharto, der bis zum Ende seiner Amtszeit 1998
vorbehaltlos Rückendeckung seitens der »westlichen Wertegemeinschaft« genoss. Anstatt
die Opfer des Massakers zu rehabilitieren, sind in Jakarta Bestrebungen im Gange,
Suharto als »Nationalhelden« zu stilisieren und Amnesie als politisches
Grundsatzprogramm zu verankern.


1965 war ein in vielfacher Hinsicht bedeutsames Jahr. In Vietnam befand sich die
unangefochtene Führungsmacht des »freien Westens«, die USA, auf dem Höhepunkt eines
Krieges, den sie trotz des Einsatzes einer gewaltigen Kriegsmaschinerie und B-52-
Flächenbombardements nicht gewinnen konnten. Ein Krieg allerdings, der dennoch ein
weiteres Jahrzehnt geführt wurde, weil man in Washington noch immer ernsthaft an die
1954 von Präsident Dwight D. Eisenhower verkündete Dominotheorie glaubte. Eine im
Kern dumpfe Theorie, wonach andere Staaten in Südost- und Ostasien wie Thailand,
Malaysia, Indonesien und Südkorea der Reihe nach – eben wie Dominosteine – umkippen
und so in den Machtbereich des Kommunismus geraten könnten, würde der Krieg in
Vietnam nicht von einem Sieg gekrönt.

Im Herbst 1965 erfolgten in Indonesien Weichenstellungen für einen schockartigen

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fürchterlichen Konsequenzen ein Großteil seiner Bevölkerung bis heute leidet.
Geschmiedet wurden Pläne dazu bereits Jahre zuvor, als sich im Rahmen hitzig
diskutierter Modernisierungstheorien auch indonesische Wirtschafts- und
Sozialwissenschaftler vermehrt anschickten, an renommierten Universitäten in den USA
sowie in Europa zu studieren, um sich anschließend in den Dienst ihres Landes zu stellen
und als dessen kompetente Bürokratie den Weg »in die Moderne« zu weisen.
Anmerkungen
1 Ausführlich dazu: https://kurzelinks.de/Indonesien-deutschlands-heimliche-hilfe
2 Das t-online.de-Rechercheteam spricht in seinem Bericht von »Hunderttausenden
(ermordeter) Zivilisten«. Schätzungen variieren zwischen 500.000 und bis zu drei
Millionen Toten. Der neueste Stand der Forschung geht davon aus, dass dem Militär bei
den Massakern die zentrale Rolle zukam.
3 Der Regisseur Joshua Oppenheimer wurde international bekannt durch seine beiden
mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilme »The Act of Killing« (2012) und »The Look
at Silence« (2014), die jeweils aus der Perspektive der Täter und der Opfer die Ereignisse
in Indonesien Mitte der 1960er Jahre zum Thema haben.
4 Deutscher Bundestag Drucksache 18/1554, 18. Wahlperiode 27.5.2014: Antwort der
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrej Hunko, Jan van Aken,
Sevim Dagdelen, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Die
Linke, http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/015/1801554.pdf
Literatur
Irina Grimm: Zwischen Repression und Opposition. Indonesische Studierende in der
Bundesrepublik (1965–1998). Berlin 2019
Peter Hammerschmidt: Deckname Adler: Klaus Barbie und die westlichen Geheimdienste.
Frankfurt am Main 2014

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