Kurz vor der Bundestagswahl 2017: DS-Exklusivinterview mit Evelyn Hecht-Galinski

Erschienen bei Daily Sabah

 

Evelyn Hecht-Galinski ist die Tochter von Heinz Galinski, einem Holocaust Überlebenden, der unter anderem zweimal den Vorsitz des Zentralrats der Juden in Deutschland inne hatte. Sie ist eine scharfe Kritikerin des Staates Israel und kritisiert in diesem Zusammenhang auch die Haltung der deutschen Politik und die Beschränkungen in der Israel-Debatte. Sie unterstützt den Freiheitskampf der Palästinenser und würdigt hierbei auch die Unterstützung der türkischen Regierung bei einer Lösung im Nahostkonflikt. Kurz vor der Bundestagswahl stand sie den Fragen von Daily Sabah Rede und Antwort. Interessiert hat uns auch ihre Meinung über die deutsch-türkischen Spannungen in der Politik und der Wahlkampf der deutschen Parteien.

Daily Sabah: Frau Hecht-Galinski, Sie sind die Tochter von Heinz Galinski, dem ersten (1954-1963) und vierten (1988-1992) Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland sowie Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin von 1949 bis zu seinem Tod im Jahr 1992. Außerdem war er Ehrenbürger von Berlin. Wenn Sie sich an ihn erinnern, heben Sie oft seinen Leitspruch „ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen“ hervor, den Sie sich auch persönlich zum Lebensmotto gemacht haben. Wie war er als Mensch? Und wie hat sich der Zentralrat der Juden nach seinem Amtsaustritt entwickelt?

Evelyn Hecht-Galinski: Tatsächlich habe ich mir diesen wichtigen Satz zum Lebensmotto gemacht, da ich nicht schweige – und bei den Vorgängen im illegal besetzten Palästina zu Schweigen für ein Verbrechen halte. Mein Vater war ein sehr politischer Mensch, genau wie ich, und so wurde ich auch erzogen. Jede Menge Zeitungen aller Richtungen waren bei uns im Haus und ich las und lese sie im gleichen Maß auch heute noch, um mich zu informieren.

Allerdings hatte ich früher schon, noch in Berliner Zeiten, Probleme mit der Springer Presse und ihren journalistischen Methoden – hier gab es von Anfang an Diskussionen mit meinem Vater, der Springer, im Gegensatz zu mir, sehr schätzte. Während die Springer Medien bis heute Israel-Lobbyismus betreiben, werden Linke und Israel-Kritiker bekämpft. Ich demonstrierte schon 1967 gegen die „Jubel-Schah-Perser“, die von Springer unterstützt wurden – sie heizten die Stimmung auch maßgeblich an, in der gleichen Zeit ereigneten sich dann auch die Todesfälle von Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke.

Es war eigentlich immer spannend bei uns zu Hause. Sehr früh hatte ich auch schon Probleme mit der Religion, da ich nicht gläubig bin – und ebenso immer mehr mit Israel. Nach diversen Besuchen dort, erkannte ich die ungleichen Zustände im „Jüdischen Staat“ und erlebte die Arroganz der jüdischen Bürger gegenüber den Palästinensern. Ich diskutierte sehr viel mit meinem Vater und wir waren natürlich nicht immer einer Meinung, aber respektierten uns sehr. Ich habe ihn und seine Leistung sehr bewundert, wenn auch manchmal kritisch begleitet. Besonders dankbar bin ich dafür, dass ich das Glück hatte, offen erzogen worden zu sein, also frei und ohne Komplexe. Ich besuchte einen – glücklicherweise nicht konfessionellen Kindergarten – und die Rudolf Steiner Schule, die Kinder bewusst tolerant erzieht und schon damals viele ausländische Schüler hatte – was ich als einen Gewinn ansehe. So hatte ich, trotz der „Prominenz“ meines Vaters, eine schöne Kindheit und Jugend. Mein Leben konzentrierte sich nicht auf die Jüdische Gemeinde, sondern auf das „normale“ Berliner Leben.

D.S.: Wie erklären sie sich die weitgehende Tabuisierung der Israelkritik in Deutschland? Seinerzeit wurde ja sogar ein Günter Grass massiv angefeindet, weil er 2012 mit seinem Gedicht „was gesagt werden muss“ gewagt hatte, sein Wort gegen Israel zu erheben.

E.H.G.: Ich habe den großen Literaturnobelpreisträger sehr bewundert und alle seine Bücher mit Genuss gelesen. Günter Grass war einer der wenigen Intellektuellen, der den Mut hatte, den Mund aufzumachen und Israel als das zu bezeichnen, was es in der Tat ist: Eine Bedrohung für den Weltfrieden. Er sagte „was gesagt werden muss“ und danach wurde er mit Schmutz beworfen, sein Gedicht wurde inhaltlich, wie literarisch angefeindet. Man darf alles, nur nicht am Tabu der Israelkritik rütteln. Ich schrieb ihm darauf einen Brief, den er mir sofort beantwortete – diesen hüte ich wie einen Schatz. In seinem Schreiben lud er mich zu sich nach Hause ein. Leider kam es nicht mehr dazu, weil Grass verstarb, bevor wir die lange Fahrt quer durch die Republik antreten konnten, was ich heute noch tief bedauere. Ich wünschte wir hätten in Deutschland mehr Intellektuelle wie Grass. Wir brauchen Intellektuelle, die nicht nur dann den Mund aufmachen, wenn es verbal gegen die Türkei oder Russland geht, sondern auch etwas gegen den „israelischen Besatzerstaat“ sagen.

D.S.: Bei Israel-Kritik wird sehr schnell der Vorwurf des Antisemitismus aufgeworfen – der Begriff erfährt manchmal einen inflationären Gebrauch. Absurd erscheint der Vorwurf, wenn sogar Juden selbst ins Fadenkreuz der Antisemitismusvorwürfe geraten und diffamiert werden. Wem nützt das?

E.H.G.: Inzwischen wird jede Israelkritik zu Antisemitismus, Judenhass oder zu einer Giftsuppe hochgekocht, die alle Israelkritiker zum Schweigen bringen soll. Ich schrieb einmal, „wir werden alle zu Antisemiten gemacht“. Tatsächlich hat der Philosemitismus den Antisemitismus abgelöst – und zwar spätestens seitdem Israel darauf besteht, sich als „Jüdischen Staat“ anerkennen zu lassen, ein perfider Trick, um Israelkritik als Judenhass zu stilisieren, und damit zu versuchen, uns alle zum Schweigen zu bringen. Die Arbeit der Israel-Lobby ist wissenschaftlich begleitet, denkt sich täglich neue Kampfbegriffe aus und verwendet Millionensummen, um die Meinungsfreiheit – wenn es um Israelkritik geht – auszusetzen. Dieses durch das Grundgesetz geschützte Recht wird unterhöhlt und gipfelt in dem Versuch, mit Hilfe deutscher Politiker, wie zuletzt in München, Frankfurt, Berlin oder Köln, uns alle als Unterstützer der BDS-Bewegung (Boycott, Divestment and Sanctions) zu diffamieren – als „Juden-Hasser“ und Rassisten – dagegen müssen wir uns zur Wehr setzen. In der Tat wird kein Unterschied mehr zwischen Juden und Christen gemacht, wenn es darum geht, die Israelkritik zu verhindern. Boykott gegen die illegale zionistische Besatzung sollte Bürgerpflicht sein. Anstatt die Sicherheit des „Jüdischen Staates“ zur deutschen Staatsräson zu erheben, so wie es die Bundeskanzlerin tat, würde es Deutschland gut anstehen, sich endlich für die Sicherheit der unter der israelischen Besatzung lebenden Palästinenser einzusetzen. Ebenso wichtig wäre es in meinen Augen, anstatt die seit 50 Jahren währende israelische Besatzung Palästinas zu zelebrieren, einmal der Nakba, der Katastrophe des palästinensischen Volkes zu gedenken. Die Nakba-Leugnung sollte genauso unter Strafe gestellt werden, wie die Holocaustleugnung – übrigens auch in Israel.

D.S.: Was halten sie von der aktuellen Antisemitismus Definition, die kürzlich von der Bundesregierung übernommen wurde?

E.H.G.: Ich halte diese Antisemitismus Definition für einen ganz gefährlichen Sieg der Israel-Lobby, da diese Definition vor allem darauf abzielt Israel-Kritik am „Jüdischen Staat“ als Judenhass zu brandmarken. Wenn das die Richtschnur für die künftige Arbeit Deutschlands in internationalen Organisationen sein soll, wenn es um Kritik an der illegalen Besatzungspolitik geht, die der „Jüdische Staat“ ausübt, dann ist die Meinungsfreiheit am Ende. Israel ist eben nicht mit anderen Staaten vergleichbar, da seine illegale Besatzung und Siedlungspolitik einmalig sind. Sollte zudem noch Volker Beck „Antisemitismusbeauftragter“ werden, dann ist das der Sieg des Philosemitismus, als Ablösung des Antisemitismus in Deutschland. Nach den Reden von Trump und Netanjahu vor der UN, die nichts anderes brachten, als Hass, Zerstörung und Drohungen gegen Iran und Nordkorea, war das gestern sowieso ein dunkler Tag für die Welt. Wir stehen am Abgrund durch diese Art von Politik.

D.S.: Wie bewerten sie die erstarkte Islamophobie in Europa und speziell in Deutschland? Woher rührt sie Ihrer Meinung nach und tut die Politik genug, um dagegen anzugehen?

E.H.G.: Ich halte die Islamophobie für eine der gefährlichsten Entwicklungen weltweit. Wir haben es mittlerweile mit einer Bewegung zu tun, die sich durch alle Religionen zieht. Inzwischen hat der Islam-Hass auch schon Buddhisten und Hindus, von Myanmar bis Indien, erreicht. Merke: Feindbilder helfen die eigenen Reihen zu schließen und von eigenen Verbrechen abzulenken! Die Hetze wird aktuell durch Rechtsextreme und den neuen US-Präsidenten Trump angefacht . Was sich allerdings in Deutschland abspielt, macht mich tief besorgt und wütend. Angefacht durch den rassistischsten aller deutschen Bundestagswahlkämpfe in der Nachkriegszeit, durch Rassisten und Islam-Hasser, wie die von der AfD – kopiert von deutschen Politikern anderer Parteien, um die rechten Wähler auch noch anzulocken, hat sich hier ein gefährliches Phänomen des Islam-Hasses gebildet. Wenn die „deutsche Leitkultur“ beschworen wird, „völkisches Gedankengut“ von deutschen „Gauleiter/innen“ hochgebracht wird, dann haben wir einen Punkt erreicht, der so unerträglich ist, dass jeder deutsche Bürger, der sich der Demokratie verbunden fühlt, sich dagegen wehren sollte. Auch wenn es so aussieht, als ob wir es nicht verhindern können, dass die AfD in den nächsten deutschen Bundestag einzieht, sollte man versuchen das doch noch zu verhindern. Noch haben wir die Wahl. Ich stimme dem CDU Kanzleramtsminister Altmaier so gut wie nie zu, aber diesmal schon, also lieber nicht zu wählen – was ich natürlich für mich persönlich ablehne – als AfD zu wählen. Primitive Geschichtsklitterung, Islamophobie und völkischer Rassismus auf dem diese AfD aufgebaut ist, haben als Gedankengut im Bundestag nichts verloren. Für mich kann sich kein Wähler als „Protestwähler“ bezeichnen, wenn er diese Partei wählt, ich halte das für unentschuldbar! Allerdings muss ich auch feststellen, dass diese Partei erst durch solches Gedankengut möglich wurde, das es ja schon länger gab, angefacht durch bestimmte „Welt-Populisten“, die in Medien Stimmung gegen den Islam machten oder jüdische Funktionäre und Vertreter, die immer wieder Muslime und Antisemitismus in Verbindung brachten – muslimische Flüchtlinge als „überwiegend“ antisemitisch diffamierten und quasi als mit der Muttermilch zu Antisemiten erzogen bezeichneten – sie förderten damit die aktuelle islamophobe Stimmung. Interessant daran ist nämlich, dass gerade diese rechtsextremen europäischen Parteien viele jüdische Wähler haben. Diese rechtsextremen Parteiführer, wie Wilders, Le Pen, Strache und Petry werben bei Juden und fühlen sich Israel verbunden. Tatsächlich sind die rechtsextremen Parteien in Israel in ihren Forderungen und rassistischen Programmen ähnlich strukturiert wie die rechtspopulistischen Parteien in Europa. Ihre Ansichten über Flüchtlinge und ihr Rassismus gegen Muslime ähneln sich, sie passen in ihrem Denken gut zusammen.

D.S.: Wie beurteilen sie die öffentlichen Debatten, wenn es um den Islam oder muslimische Migranten geht? Würden Sie sagen, dass man hierbei eine differenzierte Betrachtung verfolgt? Man redet ja aktuell von der Wiederkehr des europäischen Rechtspopulismus im neuen Gewand.

E.H.G.: Natürlich sehe ich Parallelen zur Diskriminierung von jüdischen Bürgern in Deutschland während der Nazi-Zeit. Überspitzt gesagt, kann man behaupten, dass die Muslime heute die neuen Juden sind. Der Islam-Hass hat den Antisemitismus abgelöst.

D.S.: Was denken Sie über die etablierten deutschen Parteien? Allen voran die CDU, SPD, FDP und die Grünen. Jene Parteien werden ja dafür kritisiert, sich in vielen Punkten kaum mehr voneinander zu unterscheiden. Viele Bürger haben das Gefühl, immer dasselbe zu bekommen, egal wen sie wählen. Dieser weitreichende politische Konsens der etablierten Parteien wird ja auch von Politexperten und den gängigen deutschen Medien hervorgehoben.

E.H.G.: In der Tat, sie werden sich alle immer ähnlicher und das ist natürlich frustrierend. CDU und SPD ähneln sich sehr, die Grünen sind in meinen Augen „Öko-Terroristen“, die an „Krötenwanderung“ und „Käfer-Transfer“ interessiert sind – während sich die Windräder laut drehen, und mit viel Stromverbrauch Fledermäuse und Vögel töten. Mit dem erhobenen Bio-Zeigefinger, der mir zuwider ist, von Öko-Strom, Elektro-Autos mit giftigen Batterien bis Bio-Sprit, alles mehr als doktrinär. Allerdings haben sie es geschafft, dass man inzwischen in ganz Europa Mülltrennung hat! Ganz schlimm ist es allerdings, wenn sich die Grünen, von Özdemir bis zu Marie Luise Beck, auf Russland-Hetze und Türkei-Bashing spezialisieren, während Volker Beck als „philosemitischer Antisemit“ die Israel-Lobby vertritt, und als – vielleicht zukünftiger – „Antisemitismusbeauftragter“ mit den Hufen schart. Die CDU/CSU unter Merkel ist wie gehabt – laviert als „Dieselqueen“ und sitzt alles aus. Die FDP unter ihrem neuen „Talkshowmaster“ Lindner ist so fade wie sein Auftreten – und die Linke ist sich einig, wenn es um Beschimpfungen gegen die Türkei geht. Beim Thema Israel schweigen sie fast alle und lehnen den so wichtigen Boykott ab.

D.S.: Wie wird die Abstimmung bei der Bundestagswahl 2017 ausgehen? Haben Sie eine Prognose?

E.H.G.: Ich habe nur eine Prognose: Die alternativlose Merkel bleibt Kanzlerin. Ansonsten habe ich eine kleine persönliche Wette mit meinem Mann laufen – um das Ganze nicht langweilig werden zu lassen. Ich behaupte, es gibt wird wieder eine große Koalition geben wird, da es sich die SPD Führung, im Gegensatz allerdings zur Basis, in Merkels Schoß bequem gemacht hat – und Merkel sich auch ziemlich gut mit den SPD Kollegen versteht. Mein Mann geht eher von einer CDU/CSU-FDP Regierung aus – eine Jamaika-Koalition hält er aber auch für möglich. Also es wird spannend bei uns am Sonntagabend.

D.S.: Was sagen Sie zu dem aktuellen politischen Konflikt zwischen Deutschland und der Türkei? Die meisten Konfliktpunkte sind Ihnen sicherlich bekannt. Finden Sie die Maßnahmen und die generelle Haltung der deutschen Politik angemessen? Alles scheint auf Konfrontation hinauszulaufen – man will Stärke demonstrieren und lässt sich dabei gerne auch von populistischen Winden verleiten.

E.H.G.: Zunächst muss man bemerken, dass der Populismus inzwischen leider zur neuen Modeerscheinung in der Politik geworden ist und dieser ersetzt Inhalte. Ich hoffe sehr, dass sich nach dem Wahlkampf die Wogen wieder glätten und alles wieder ins Lot kommt. Ich bedauere es allerdings sehr, dass es zu solchen Animositäten kommt, aber ich denke auch, die Suppe wird nicht so heiß gegessen, wie sie gekocht wird. Im Grunde sind beide Länder in Freundschaft verbunden. Aber der Wahlkampf lässt verbale Entgleisungen zu, die mit einer großen Gefahr einhergehen: Nämlich ein dauerhaft zerrüttetes Verhältnis, auf Kosten der Deutsch-Türken und türkischen Bürgern in Deutschland – was mir in der Seele weh tun würde. Mein Vorschlag: Alle Türken oder Deutschtürken in Deutschland sollten einmal einen Tag lang streiken, damit Deutschland bewusst wird, wie wichtig türkischstämmige Bürger in Deutschland sind. Was würden die Unternehmen machen ohne ihre fleißigen Mitarbeiter und der Zusammenarbeit mit der Türkei? Natürlich lassen sich auch deutsche Touristen nicht davon abhalten in die gastfreundliche Türkei zu reisen.

D.S.: Für Konflikte sind meistens mindestens zwei Seiten verantwortlich – wenn auch nicht immer im gleichen Maße. Die Rhetorik der türkischen Seite klingt nicht immer versöhnlich, man verwendet harte Worte, die dann von der deutschen Politik ausgeschlachtet und für den eigenen Standpunkt instrumentalisiert werden. Nazivergleiche beispielsweise kommen in Deutschland aufgrund der Sensibilität in Bezug auf die NS-Vergangenheit nie gut an, da kann man der türkischen Seite sicher auch fehlende Empathie vorwerfen. Was kann die türkische Regierung besser machen?

E.H.G.: Vollkommen richtig. Aber werden Nazi-Vergleiche nicht auch in Deutschland missbraucht für mehr als schlimme Zwecke? Ich erinnere mich noch zu gut an Joschka Fischer, den damaligen grünen deutschen Außenminister und heutigen „Transatlantiker unter den Fittichen von Madeleine Albright“ – und unter SPD Kanzler Schröder, der Deutschland mit dem Spruch „nie wieder Auschwitz“ in den ersten deutschen Kriegseinsatz nach dem Zweiten Weltkrieg führte. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir meinte am letzten Sonntag in der ARD noch vollmundig: „Nie wieder Auschwitz“. Auch der gerade verstorbene ehemalige CDU-Generalsekretär Geissler sprach einmal davon, dass Pazifismus Auschwitz erst möglich gemacht habe.

Übrigens ist die Instrumentalisierung von Nazi-Vergleichen im „Jüdischen Staat“ nichts Ungewöhnliches: „Auschwitz- Mauer“, wenn es um Grenzziehung geht oder Holocaust, wenn es darum geht, den Hauptfeind Iran zu diffamieren. Es ist eines der wichtigsten zionistisch-politischen Kampfmittel, um die ethnische Säuberung Palästinas zu rechtfertigen.

D.S.: Finden sie die etwas verspäteten Reaktionen aus Deutschland nach dem Putschversuch in der Türkei richtig und angemessen? Die Türkei beklagte in Vergangenheit die mangelnde Solidaritätsbekundung aus Deutschland. Denken Sie, man hat insgeheim auf einen Erfolg des Putschversuches gehofft? In Ägypten hatte sich ja ähnliches abgespielt: Ein demokratisch gewählter Mursi wurde zunächst von den Medien kritisiert, es folgten Unruhen und dann schritt das Militär ein. Auch wenn der Putsch verurteilt wurde, hatte man im Nachhinein kein Problem damit, sich dem Militärregime freundschaftlich anzunähern. Heute klagt kaum einer mehr über den notwendigen Demokratisierungsprozess in Ägypten.

E.H.G.: Was heißt verspätete Reaktionen? Viel schlimmer in meinen Augen: Wer steckte hinter dem Putsch? Lassen sie mich meine persönliche, gewagte Frage stellen: Was haben der BND, CIA und Mossad damit zu tun gehabt? Auffällig ist doch, wie die Gülen-Bewegung sich in Deutschland verbreitet hat – was ich mehr als kritisch sehe. Sicherlich hätte man nicht getrauert, wenn der Putsch geglückt wäre.

Bei dem geglückten Putschversuch durch Al-Sisi in Ägypten haben wir es mit einem ganz typischen System des gesteuerten Regime-Change zu tun. Ein demokratisch gewählter Präsident wird weggeputscht – was zuvor mit der Verknappung des täglichen Bedarfs eingeleitet wurde, damit das Volk rebelliert und den Sturz fordert. Dieses Phänomen haben wir auch in der Ukraine gesehen; der Versuch in Venezuela ist bisher noch nicht gelungen – aber ähnliche Vorhaben sind schon oft geglückt, dies ist einer der „Spezialgebiete“ der US-Außenpolitik. Dies sind nur Beispiele der jüngsten Vergangenheit. Die gesamte Aufzählung würde ein ganzes Buch füllen. Aber insgesamt kann die deutsche Regierung sehr gut mit Diktatoren und Putschisten zurechtkommen, leider!

D.S.: Die Rüstungsexporte in die Türkei liegen aktuell weitgehend auf Eis, das hatte Außenminister Sigmar Gabriel kürzlich bei einer Veranstaltung vom „Handelsblatt“ verkündet. Im Gegensatz dazu standen Waffenlieferungen an Israel, die teilweise aus deutschen Steuergeldern finanziert werden, nie zur Debatte – da scheint man über massive Menschenrechtsverletzungen und Missachtungen von UN-Beschlüssen problemlos hinwegschauen zu können. Wie bewerten Sie diese Doppelmoral?

E.H.G.: Diese Doppelmoral begleitet mich schon seit Jahren und füllt mein publizistisches Leben. Mich macht es krank, dass der „Jüdische Staat“ – als Produkt von Holocaustopfern – derartige, Völkermord ähnliche, ethnische Säuberungen sowie Landraub, Angriffskriege und Präventivmorde ungestraft begehen darf. Vom Opfer zum Täter, solidarisch begleitet von Deutschland, das ist eine Schande und nicht mit unseren Werten, die ja immer so vollmundig benutzt werden, vereinbar. Warum werden deutsche Bürger ungefragt dazu verdonnert, Israel zu unterstützen? Einen Staat, der als einziger in der Welt, ein abgeriegeltes Konzentrationslager in Gaza unterhält – seit mehr als 69 Jahren das palästinensische Volk vertreibt, entrechtet und sich auf gestohlenen Boden ansiedelt. Waffenlieferungen, militärische Kooperationen, Jugendaustausch, alles das lehne ich ab – solange die illegale jüdische Besatzung Palästinas anhält. Ein Staat, der jüdische Bürger weltweit auffordert „heimzukehren“ in ein von Gott gegebenes Land. Während auf der anderen Seite den palästinensischen Einwohnern ihr legales Rückkehrrecht verweigert wird. So ein Staat darf in keiner Weise unterstützt werden, sondern muss boykottiert werden. Die vom zionistischen Terror-Regime in Israel legitimierte Gewalt muss bekämpft werden. Welches andere Mittel, als die Boykottbewegung, ist dazu geeigneter? Nur muss sie endlich von allen Staaten unterstützt werden. Eine jüdische Kritik an diesen Menschenrechtsverbrechen ist so wichtig! Schluss mit der Solidarität! Ich plädiere für ein freies Palästina, einen demokratischen Staat für alle seine Bürger und alle Ethnien!

D.S.: Die „Linke“ ist bekannt für ihren pazifistischen Kurs, der strikt gegen Aufrüstung und Krieg gerichtet ist. Dennoch scheint sich die Partei schwer damit zu tun, über ihren ideologischen Schatten zu springen. Man solidarisiert sich beispielsweise zum Teil mit Terrororganisationen wie der PKK, weil man hier eine geistige Nähe sieht, obwohl linke Ideologien von der PKK lediglich für eigene Ziele instrumentalisiert werden – dies ist ja ein Phänomen, der sich auch bei anderen Terrororganisationen zeigt. Wenn man sich bei der aktuellen türkischen Regierung die Reformtätigkeiten und Fortschritte im Gesundheitswesen, bei den Rechten von Minderheiten, in der Bildung und der Infrastruktur vor Augen führt, die seit 2002 umgesetzt wurden, könnte die AK-Partei glatt als linke Partei durchgehen – was ja auch dazu geführt hat, dass sich viele Personen aus dem linken Spektrum der AK-Partei angeschlossen haben. Wünschen Sie sich eine Revision in der Türkeipolitik der „Linken“?

E.H.G.: Zu der Linken habe ich mich ja schon geäußert, sie ist genauso verlogen, wie andere Parteien auch, ich kann und möchte nicht für die Linke sprechen, da ich eine unabhängige Publizistin bin, die nirgends eintreten wird.

Interessant übrigens, dass Netanjahu der einzige Unterstützer eines unabhängigen Kurdistans im Nordirak ist, während er auf der anderen Seite einen unabhängigen Palästinenserstaat niemals zulassen würde. Für mich ist das eine unhaltbare Propagandalüge, die Hamas oder Hisbollah als Terrororganisationen zu verdammen, da sie legitime Widerstandsbewegungen sind, die vom Volk gewählt wurden und regieren, b.z.w. mitregieren.

Was die AKP und Präsident Erdogan für die Türkei geleistet haben ist enorm. Also da frage ich mich schon, gerade weil ich Erdogan als einen der wenigen Palästina Unterstützer schätze, hat er es nötig so zu agieren?, Mit so vielen Maßnahmen und Retourkutschen, wo er doch mehr als beliebt ist? Gerade in Deutschland setzt man sich vehement für Journalisten und Gefangene in türkischer Haft ein. Diesen Einsatz würde ich mir für die tausenden Palästinenser, Frauen und Kinder, alte und junge Häftlinge wünschen, die in israelischer Administrativhaft sitzen – da sind auch Journalisten dabei. Wo bleibt da der „eifrige“ Herr Döpfner vom Springer Konzern? Der jetzt sogar eine Solidaritätsaktion in türkischen Zeitungen für den inhaftierten Springer Journalisten Yücel organisieren will – übrigens ein bekennender Israel-Freund! Stellen wir uns einmal vor, tausende von Palästinensern würden in Deutschland für die Hamas und Freiheit für Palästina demonstrieren sowie die Freilassung von Marwan Barghouti fordern. Was wäre hier wohl die Reaktion der Israel-Lobby und ihrer deutschen Verbündeten?

Solange deutsche Politik auf Verlogenheit und Doppelstandards aufbaut – jeden Drohnen- oder anderen Angriff gegen muslimische Länder als gerechten Kampf gegen den Terror rechtfertigt und eine Anti-Terror-Allianz mit mehr als zweifelhafte Länder wie Saudi-Arabien als Partner aufbaut, die gerade einen schmutzigen Krieg im Jemen führen – solange Ursache und Wirkung nicht richtig benannt werden, solange wird es Terror und Anti-Terror-Kriege geben. Ich werde weiterhin versuchen mich für ein freies Palästina ohne illegale israelische Besatzung einzusetzen!

D.S.: Wo kann man ihre aktuellen Beiträge verfolgen? Sie haben zudem auch ein Buch veröffentlicht, unter welchem Titel kann man es finden?

E.H.G.: Meine wöchentlichen Kommentare schreibe ich speziell für meine Website „Sicht vom Hochblauen“. Diese Kommentare werden von der NRhZ übernommen, ebenso wie von KenFm und vielen anderen Blogs. Mein im Jahr 2012 veröffentlichtes Buch „Das elfte Gebot- Israel darf alles“ ist im tz Verlag erschienen.

1 Kommentar zu Kurz vor der Bundestagswahl 2017: DS-Exklusivinterview mit Evelyn Hecht-Galinski

  1. solange Ursache und Wirkung nicht richtig benannt werden, solange wird es Terror und Anti-Terror-Kriege geben. Ich werde weiterhin versuchen mich für ein freies Palästina ohne illegale israelische Besatzung einzusetzen!
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    Liebe Frau Evelyn H.G.

    ich gehöre zum 3.Mal in Folge zur Gruppe der Nichtwähler. Wenn Sie doch ein Direktmandat anstreben könnten; würde ich Sie wählen.
    Laut Unkenrufen geht die BRD möglicherweise in eine Wiederholungswahl. Es besteht also noch eine Chance, sich aufstellen zu lassen.
    Da geht noch was.

    LG

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