Macrons Hetze: ‚Krise des Islam‘ oder französische Politik? Von Ramzy Baroud

 

 

https://www.middleeastmonitor.com/20201102-macrons-incitement-crisis-in-islam-or-french-politics/

 

Demonstranten versammeln sich vor der französischen Botschaft in Teheran während eines Protestes gegen die Veröffentlichung von Karikaturen des Propheten Mohammed in Frankreich und gegen den französischen Präsidenten Emmanuel Macron wegen seiner anti-islamischen Äußerungen am 28. Oktober 2020 in Teheran, Iran [Fatemeh Bahrami/Anadolu Agency].

Macrons Hetze: ‚Krise des Islam‘ oder französische Politik?


Von Ramzy Baroud

2. November 2020

Es gibt keine moralische oder ethische Rechtfertigung für die Tötung unschuldiger Menschen, nirgendwo. Daher muss der Mord an drei Menschen in der französischen Stadt Nizza am 29. Oktober als Hassverbrechen vollständig und bedingungslos abgelehnt werden, zumal er an einem heiligen Ort, der Basilika Notre Dame, begangen wurde.

Wir würden es jedoch versäumen, den politischen Kontext zu ignorieren, der einen 21-jährigen tunesischen Flüchtling dazu veranlasst hat, in Nizza angeblich einen Messerangriff auf friedliche Gläubige zu inszenieren. Es ist zwar relativ einfach, den einzelnen Schuldigen hinter einem solchen gewalttätigen Ereignis zu erkennen, aber es erfordert viel Selbstbeobachtung, geschweige denn Ehrlichkeit, um die wahren Schuldigen zu identifizieren, die, oft aus politischen Gründen, die Flammen von Hass und Gewalt schüren.

Seit seinem Einzug in den Elysée-Palast im Mai 2017 hat der französische Präsident Emmanuel Macron eine aggressive Außenpolitik im Ausland und eine ebenso umstrittene innenpolitische Agenda geführt. Diese Entscheidungen waren nicht zufällig, denn Macron war innenpolitisch mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert: steigende Ungleichheit und Arbeitslosigkeit, Massenproteste, die vor allem von der „Gilets Jaunes“-Bewegung (Gelbe Westen) angeführt wurden, und der ungehinderte Aufstieg rechtsextremer, einwandererfeindlicher populistischer Bewegungen wie der National Front (FN) von Marine Le Pen.

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Es ist wichtig, dass wir uns an die politische Atmosphäre erinnern, in der Macron gewählt wurde, denn der Mann sollte die vernünftige Wahl sein, die von der einst regierenden Union für eine Volksbewegung (UMP) vorangetrieben wurde.

Deren Kandidat, François Fillon, erhielt nicht die nötigen Stimmen, um die Wahlen am 23. April 2017 entscheidend zu gewinnen. Stattdessen war es Macron, ein relativer politischer „Außenseiter“ aus der einjährigen Partei En Marche (EM), der die Chance hatte, den Fortschritt der rassistischen und chauvinistischen FN von Marine Le Pen zu stoppen. Tatsächlich gewann Macron die zweite Stichwahl am 7. Mai. Sein Sieg war entscheidend.

Nach den Massenprotesten zu urteilen, die bald nach der Wahl von Macron stattfanden und später durch die Wirtschaftskrise infolge der COVID-19-Pandemie (die bisher allein in Frankreich über 36.000 Menschen getötet hat) noch verschärft wurden, ist Macron bei seinem Volk nicht mehr beliebt.

Da für Anfang 2022 Neuwahlen angesetzt sind, sind Macron und Frankreichs herrschende Eliten ziemlich nervös. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die französische Wirtschaft in absehbarer Zeit erholen wird, nicht nur wegen der Coronavirus-Pandemie – deren zerstörerische Auswirkungen in den kommenden Monaten und Jahren anhalten dürften – sondern auch, weil es in den letzten drei Jahren keine ernsthafte strukturelle Neuordnung der französischen Wirtschaft mit dem erklärten Ziel gegeben hat, die Pandemien der Ungleichheit, der Arbeitslosigkeit, des Rassismus und der politischen Korruption einzudämmen.

Wie es bei unfähigen Führern oft der Fall ist, hat Macron in die Schaffung politischer Ablenkungen im In- und Ausland, in Fabrikationskrisen und die Provokation unnötiger Konfrontationen investiert.

Der französische Staatschef hat die Chance ergriffen, die sich ihm durch den Rückzug der Amerikaner aus verschiedenen Mittelmeer-Konflikten, namentlich Libyen, Syrien, Libanon und dem Gas-Streit im östlichen Mittelmeerraum, bot. Die Verschiebung der außenpolitischen Prioritäten der USA und der Rückzug der Briten aus der Europäischen Union, der Ende dieses Jahres voll zum Tragen kommen soll, veranlassten Macron dazu, sich wie der De-facto-Führer Europas zu verhalten.

Der Rassismus in Frankreich ist weit verbreitet, und die Wahlerfolge der verschiedenen rechtsnationalistischen Parteien sind ein Beweis für diese Behauptung. Anstatt sich dieser langwierigen Krankheit zu stellen, die die französische Politik schon viel zu lange plagt, hat Macron sich bemüht, eine Art Ausgleich zu finden, indem er weiterhin an die liberalen Kräfte in seinem Land appelliert, ohne die rechtschauvinistische Wählerschaft völlig zu entfremden. Um dieses empfindliche Gleichgewicht zu erreichen, hat sich Macron für die politisch bequemste – und, um es unverblümt zu sagen, feigeste – Option entschieden: die am stärksten marginalisierten und verarmten französisch-arabischen und afrikanischen Gemeinschaften Frankreichs ins Visier zu nehmen, im Namen des Kampfes für die „Werte“ der Republik gegen den „islamischen Terrorismus“ und die dunklen Kräfte, die in seinem Land lauern.

Damit soll nicht argumentiert werden, dass der innerstaatliche Terrorismus kein großes Problem ist, das Aufmerksamkeit und Gegenstrategien verdient. Nach den immer wiederkehrenden Äußerungen französischer Beamter und Medien zu urteilen, die dazu neigen, ganze Gruppen von meist eingewanderten Bevölkerungsgruppen und ihre religiösen Werte zu verteufeln, scheint es jedoch, als ob die französische Regierung eine Art Kreuzzug gegen die eigene muslimische Bevölkerung führt. Es hat den Anschein, als führe Macron selbst einen populistischen Marsch gegen den Islam und die Muslime in Frankreich und anderswo an. Diese pathetische Zurschaustellung einer schlechten, opportunistischen Führung war der wahre Katalysator der heutigen Krise.

Dieser kurze Zeitrahmen reicht aus, um Macron mit der jüngsten Gewalt in Frankreich in Verbindung zu bringen:

Am 2. Oktober übernahm Macron die Rolle des gelehrten Theologen, der seinen Landsleuten Vorträge über den Islam hält. „Der Islam ist eine Religion, die heute überall auf der Welt in einer Krise steckt“, sagte er und legte einen Plan zur Bekämpfung des islamischen „Separatismus“ in Frankreich vor. Diese provokative Erklärung hatte eine internationale Dimension, die erwartungsgemäß den Zorn der muslimischen Regierungen und Bevölkerungen auf der ganzen Welt erregte. Die innenpolitische Komponente seiner Äußerungen war sogar noch gefährlicher, da er die französischen Muslime praktisch zu einer fünften Kolonne erklärte, deren letztendliches Ziel die Destabilisierung und Zerschlagung der französischen Republik ist.

Es folgten weitere Provokationen, wieder einmal die Beschimpfung des Islam und die Verhöhnung des Propheten Mohammed, afrikanischer und arabischer Einwanderer und so weiter, im Namen der französischen Werte, der Demokratie und der Meinungsfreiheit. Nach dem blutigen Angriff auf die Zeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 und der Gewalt und den Moscheebränden in über 30 Moscheen in ihrem Gefolge (wobei letztere in den Medien kaum oder gar nicht beachtet wurden) hätte es keines besonderen Genies bedurft, um daraus abzuleiten, dass die jüngsten von der Regierung geführten Provokationen und die antimuslimische Aufstachelung ebenfalls dazu verdammt waren, Gewalt und Gegengewalt auszulösen.

Tatsächlich wurde am 16. Oktober ein Französischlehrer, der Bilder zeigte, die den Propheten Mohammed verspotteten, Berichten zufolge von einem seiner Schüler getötet. Der Lehrer wurde später zum französischen Helden erklärt und wegen seines angeblichen Opfers für die französischen Werte gefeiert.

Eine Person hält ein Plakat mit dem Porträt des Geschichtslehrers Samuel Paty in der Hand, während sich die Menschen am 18. Oktober 2020 auf der Place de la Republique in Paris versammeln [BERTRAND GUAY/AFP über Getty Images].

Eine Person hält ein Plakat mit dem Porträt des Geschichtslehrers Samuel Paty in der Hand, während sich die Menschen am 18. Oktober 2020 auf der Place de la Republique in Paris versammeln [BERTRAND GUAY/AFP über Getty Images].

Weitere Verhöhnungen und Beleidigungen des Islam und der Muslime setzten sich diesmal in viel größerem Umfang fort. Die antimuslimische Aufwiegelung ging mit Gewalttaten gegen französische Muslime, insbesondere Frauen, einher. Wiederum fand diese Art von Gewalt in den internationalen Medien wenig Beachtung und wurde in Frankreich kaum als Ausdruck einer Massenbewegung gesehen, die religiöse oder nationalistische Ideen widerspiegelt.

Da die Türkei, Pakistan und politische Bewegungen, die alle mehrheitlich muslimischen Länder der Welt repräsentieren, ins Spiel kamen, ist es Macron gelungen, sich als unermüdlicher Kämpfer für westliche Werte und demokratische Ideale in den Mittelpunkt der internationalen Aufmerksamkeit zu stellen – mit der subtilen Betonung, auch der Verfechter des Christentums zu sein.

Die wahre Krise ist nicht eine Krise des Islam, sondern der französischen Politik. Wenn jemand Spott verdient, dann ist es nicht der Prophet Mohammed – dessen Botschaft vor fast 1500 Jahren die des Friedens, der Gerechtigkeit und der Gleichheit war -, sondern Macron selbst, der weiterhin von seinem unermüdlichen Versagen als Politiker ablenkt, indem er das französische Volk, ob religiös oder nicht, gegeneinander ausspielt. Es bleibt zu hoffen, dass Charlie Hebdo diese Realität irgendwann bald persiflieren wird. Übersetzt mit Deepl.com

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