NATO an die Front – Rainer Rupp über Selenskijs „Siegesplan“ (Teil II)

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NATO an die Front – Rainer Rupp über Selenskijs „Siegesplan“ (Teil II)

In Teil I wurde der Hintergrund von Selenskijs Fake-„Siegesplan“ beschrieben, der darauf abzielt, Washington direkt in den Krieg gegen Russland zu verwickeln. In diesem zweiten Teil werden mögliche Reaktionen Russlands auf eine derartige direkte Kriegsteilnahme der USA und anderer NATO-Länder in der Ukraine diskutiert.
Quelle: www.globallookpress.com © Stefan Rousseau/Keystone Press Agency

Von Rainer Rupp

Teil eins dieser Analyse finden Sie hier.

Wenn es so weit kommen sollte, und Washington und London sich willentlich vor Selenskijs Kriegskarren spannen lassen und mit ihren Langstreckenraketen von ukrainischem Territorium aus unter aktiver Beteiligung ihrer Soldaten vor Ort wichtige Ziele weit im Hinterland Russlands angreifen, dann wäre zu erwarten, dass die offensichtlich erste, unmittelbare Reaktion Russlands auf diese gefährliche Eskalation die Ausschaltung der relevanten US-amerikanischen Satelliten im All sein würde. Das heißt, dass sie entweder geblendet, aus ihrer Bahn geworfen oder zerstört würden. Zugleich dürften sich US-Aufklärungsdrohnen nicht mehr ungestraft über dem Schwarzen Meer sehen lassen, ohne abgeschossen zu werden.

Dies wäre eine erste Warnung, die noch keinen einzigen toten amerikanischen Soldaten zur Folge hätte. Wenn US/NATO danach dennoch mit weiteren Langstrecken-Raketen in die Tiefe Russlands den Krieg zusätzlich eskalieren würden, dann wäre – entsprechenden Erklärungen aus dem Umfeld des Kreml zufolge – mit russischen Hyperschall-Langstreckenraketen auf ausgewählte Ziele in den USA, UK, Frankreich und auf Ramstein in Deutschland zu rechnen. Ramstein deshalb, weil dort von einer unterirdischen Kommandozentrale aus der US/NATO-Krieg in der Ukraine koordiniert und gesteuert wird.

In der Westukraine hat Russland jedoch längst bewiesen, dass es zur Zerstörung einer mehrere Stockwerke tief verbunkerten Kommandozentrale, in der ukrainische und US/NATO-Generäle zusammengearbeitet hatten, keine taktische Atomwaffe braucht. Eine russische Hyperschallrakete mit konventionellem Sprengkopf hat für diese Aufgabe genügt. Zugleich sollte man in den NATO-Hauptstädten bedenken, dass der gesamte kollektive Westen mit seinen angeblichen „Hochtechnologie-Waffen“ keine Mittel hat, um sich gegen diese russischen Raketen zu verteidigen, denn die bewegen sich nicht auf einer berechenbaren ballistischen Bahn.

Zugleich haben laut New York Times weniger hitzköpfige US-Berater die Kriegstreiber im Weißen Haus vor einer anderen, wahrscheinlichen russischen Reaktion auf US-Angriffe mit Langstreckenraketen gewarnt, die weit über den aktuellen Konflikt in der Ukraine hinausgeht. Denn alsnächsten Schritt könnte der Kreml zum Beispiel die Feinde der USA und des Westens, wie etwa die Huthi-Rebellen im Jemen oder die Hisbollah im Libanon über den Umweg Iran mit fortschrittlichen Anti-Schiff-Raketen und Hyperschall-Raketen bewaffnen, was sofort die gesamte US-Flotte und die US-Basen im Mittleren Osten gefährden würde.

Die Hyperschallrakete, welche die Huthi vor wenigen Tagen erfolgreich auf Israel abgefeuert haben, sollte dem Westen womöglich einen diesbezüglichen Vorgeschmack liefern. Diese Rakete hat ungehindert nach über 2.000 Kilometern Flugbahn punktgenau ihr Ziel, ein Kraftwerk in Tel Aviv, getroffen. Besonders erschreckend für die Amerikaner und die Israelis war, dass die Rakete auf ihrer Flugbahn über das Rote Meer drei NATO-Kriegsschiffe (zwei US-amerikanische und ein französisches) mit modernsten Raketenabwehrsystemen überflogen hatte, ohne dass die überhaupt etwas gemerkt haben. Nicht anders erging es dem hochgepriesene israelische Abwehrsystem „Eiserner Dom“, das auch versagt hat. Dies unterstreicht die Tatsache, dass der Westen auf absehbare Zeit weder über vergleichbare Waffen noch über Waffen, mit denen diese Art von Raketen abgewehrt werden können, verfügt!

Aus dem bereits in Teil I erwähnten Artikel der New York Times geht hervor, dass auch US-Geheimdienstbeamte tiefe Bedenken hinsichtlich der direkten und sichtbaren Beteiligung der Vereinigten Staaten an der ukrainischen Kriegsoperation geäußert haben. Vor allem befürchten sie eine globale Eskalation, wenn Russland seinerseits dem Iran technologische Hilfe leisten würde, die Teheran und dessen nicht-staatliche Freunde – wie beispielsweise die Huthi, die Hisbollah und andere Bewegungen in der Region – dazu befähigen würde, die amerikanische Flotte und die Basen der US-Streitkräfte im Mittleren Osten erfolgreich anzugreifen.

Die Folgen eines solchen Szenarios sind weitaus größer, als die meisten Menschen sich vorstellen können, da es eine Kettenreaktion auslösen könnte, die das Ende des westlichen Einflusses im Nahen Osten bedeuten und den endgültigen Kollaps der US-diktierten westlichen Unordnung zur Folge haben würde. Zugleich ist es geradezu absurd, mit welcher Todessehnsucht westliche Medien in ihrer Berichterstattung darüber spekulieren, dass es nahezu sicher ist, dass bei dem bevorstehenden Besuch Selenskijs diese Erlaubnis für Langstreckenraketen gegen Russland erteilt wird.

Aber gehen wir an dieser Stelle zurück zu dem Artikel von Bryen in der Asia Times. In diesem Artikel weist der ehemalige Stabsdirektor des Nahost-Unterausschusses des US-Senats und spätere stellvertretende US-Verteidigungsminister für Politik, Stephen Bryen, darauf hin, dass bei dem bevorstehenden Selenskij-Biden-Gipfel auch Vizepräsidentin Kamala Harris vollumfänglich miteingeschlossen wird, damit sie die volle Verantwortung für den Beginn eines Krieges mitträgt. Niemand könne mit Sicherheit sagen, was letztlich bei diesem Krieg herauskommen werde, meint Bryen und schreibt:

„Wird Russland amerikanische Satelliten abschießen? Oder Raketen einsetzen, um Versorgungslager in Europa, insbesondere in Polen, zu zerstören, das als wichtigster Knotenpunkt für die Lieferung militärischer Ausrüstung an die Ukraine dient? Wird es zum Atomwaffeneinsatz in Europa kommen?“

Russland habe noch viele weitere Optionen. Es könnte zum Beispiel Atomwaffen in Iran oder Syrien stationieren und diesen Ländern Teilhabe gewähren, so wie das die USA mit ihren in Europa, in Deutschland, Italien, Holland und Belgien und in der Türkei stationierten Atomwaffen seit Jahrzehnten tun.

Laut Bryen gibt es in Washington viele, die darauf erpicht sind, die Vorschläge in Selenskijs „Siegesplan“ für tiefe Schläge auf russisches Territorium aufzugreifen, weil sie sonst befürchten, dass die Ukraine den Krieg möglicherweise bereits vor den Präsidentschaftswahlen im November verliert. Dann müsste die Biden-Harris-Administration erklären, warum sie weiterhin einen Verlierer unterstützt hat, was zu Hunderttausenden von Opfern geführt hat, anstatt eine diplomatische Lösung zu suchen, die leicht erreichbar gewesen wäre. Mit dieser Aussage verdeutlicht Bryen die Inkompetenz der Biden-Administration, welche zu einer Eskalation geführt hat, die leicht vermeidbar gewesen wäre.

Selenskijs Strategie sei leicht zu durchschauen. Er wisse, dass alles auseinanderfällt und die Ukraine nicht mehr in der Lage sein wird, den Krieg bis zum Winter fortzusetzen, da die Infrastruktur, insbesondere die Stromversorgung, zusammenbricht. Sein Plan sei daher, die NATO direkt in den Krieg hineinzuziehen. Und Washington spiele dummerweise mit, so Bryen, der davon ausgeht, dass niemand in Europa diesen Krieg haben will, mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs. Großbritannien sei jedoch kein bedeutendes europäisches Land mehr, zumal es über keine nennenswerte Landstreitkraft verfügt. Stattdessen hat die Regierung in London einige massiv überteuerte Flugzeugträger gebaut, die kaum oder gar nicht funktionieren, anstatt die Streitkräfte insgesamt zu stärken.

Die große Frage ist, so Bryen, warum Washington Raketen auf Russland abfeuern will. Das könne nur bedeutet, dass Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan und Außenminister Antony Blinken wissen, dass ihre Ukraine-Politik ein Desaster ist. Anstatt zu versuchen, den Dialog mit den Russen zu eröffnen, erhöhten sie den Einsatz und gingen enorme Risiken ein, ohne zu wissen, wie die Situation ausgehen wird.

Allerdings ist die uneingeschränkte Unterstützung der Strippenzieher im Weißen Haus für den Einsatz von US/NATO-Langstreckenraketen von der Ukraine auf Ziele in der Tiefe des russischen Raums entgegen der von den Mainstreammedien verbreiteten Zuversicht noch längst keine abgemachte Sache. Offensichtlich hatte sich auch der neue britische Premierminister, der Labour-Kriegstreiber Keir Starmer von den diesbezüglich unseriösen Berichten in den britischen Medien täuschen lassen.

Im Vorfeld seines Antrittsbesuchs in Washington vor wenigen Tagen war er offensichtlich fest davon ausgegangen, als Höhepunkt gemeinsam mit Biden die Freigabe der Langstreckenraketen gegen Russland verkünden zu können, aber damit wurde er voll auf dem falschen Fuß erwischt. Offiziellen Berichten zufolge haben Starmer und Biden zwar über das Langstreckenraketen-Thema gesprochen, ohne jedoch eine offizielle Ankündigung zu machen. Und Starmer ist, seit er aus Washington zurück ist bei diesem Thema etwas schmallippiger geworden, will er mit seinen Storm-Shadow-Raketen nicht als einziger vorpreschen und sein Land zu Zielscheibe für russische Vergeltungsschläge machen will.

Laut RadioFreeEurope/RadioLiberty waren eine Vielzahl von politischen und strategischen Bedenken aufseiten des Weißen Hauses der Grund für die vorläufige Zurückhaltung in Bezug auf die von Selenskij und Starmer geforderte Freigabe westlicher Raketenschläge ins russische Hinterland von ukrainischem Boden aus. Die dabei geäußerten Bedenken können grob in drei Kategorien aufgeteilt werden:

  1. Eskalationsrisiko: Eine der Hauptsorgen ist, dass es zu einer breiteren Eskalation mit NATO-Beteiligung kommen könnte, wenn man der Ukraine erlauben würde, Langstreckenangriffe innerhalb Russlands durchzuführen. Obwohl der russische Präsident Wladimir Putin bereits in den letzten zweieinhalb Jahren wiederholt gewarnt hatte, dass bestimmte Aktionen in der Ukraine vom Kreml als direkte Beteiligung der NATO am Krieg angesehen werden könnten, waren diesen Drohungen bisher keine Aktionen gegen die NATO gefolgt. Diesmal jedoch scheint wenigsten ein Teil westlicher Experten die neue Qualität in dieser Angelegenheit erkannt zu haben und die Warnung Putins erst zu nehmen. Das hat offensichtlich einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungsprozesse in Washington und der NATO.
  2. Bedenken hinsichtlich der Zielauswahl: Die Berichte spekulieren auch, dass die mögliche Zielauswahl der Ukraine in den Biden- und Starmer-Gesprächen eine Rolle gespielt habe; zum Beispiel wie man den Umfang möglicher ukrainischer Angriffe auf rein militärische Ziele wie Flugplätze oder Logistikzentren begrenzt, um eventuell hohe zivile Opferzahlen zu vermeiden. Dadurch könnten auch unnötige internationale Verurteilungen oder eine weitere Eskalation verhindert werden.
  3. Angst vor russischer Vergeltung: Demnach gibt es in den Reihen des Weißen Hauses und auch der NATO anhaltende Bedenken hinsichtlich einer möglichen russischen Vergeltung, nicht nur militärisch, sondern auch durch unkonventionelle Mittel wie Cyberangriffe oder russische Destabilisierungsbemühungen im Mittleren Osten. Während einige argumentieren, dass Putins Drohungen möglicherweise nicht glaubwürdig sind, hätten sie dennoch maßgeblich zu einem vorsichtigen Vorgehen von Biden und Starmer beigetragen, heißt es.

Andere Militärexperten sind zwar der Ansicht, dass durch den Einsatz von Langstreckenraketen gegen russische Luftwaffenbasen im Hinterland der Ukraine zwar geholfen werden könnte, allerdings nicht in einem kriegsentscheidenden Maße. Angriff auf militärische Ziele wie Flugplätze und Logistikzentren könnten Russland dazu zwingen, seine Streitkräfte dünner zu verteilen, aber es wird nicht erwartet, dass dies den Verlauf des Krieges entscheidend verändern würde. Das Blatt würde sich nicht zugunsten der Ukraine wenden. Diese Meinung hat auch der US-Kriegsminister Lloyd Austin vor wenigen Tagen in Bezug auf den Einsatz von westlichen Langstreckenraketen gegen Russland geäußert.

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