Plädoyer für einen gemeinsamen Staat Von Aref Hajjaj

Ich danke Aref Hajjaj für diesen Kommentar für die Hochblauen Seite. In diesem Zusammenhang möchte ich nochmal auf sein von mir rezensiertes im letzten Jahr erschienenes Buch „Heimatlos in drei Heimaten“erinnern, dessen Kauf ich unbedingt empfehle.

https://www.kiener-verlag.de/buecher/buch-single.html?tt_products%5Bcat%5D=12&tt_products%5BbackPID%5D=170&tt_products%5Bproduct%5D=451&cHash=fadfd5de4b0d3dcaf8de6c6c7d8b4fbd

 

 

Wie stünde Martin Buber heute zum Palästina-Israel-Konflikt?

Plädoyer für einen gemeinsamen Staat

Von Aref Hajjaj

Der jüdische Moraltheologe und Philosoph Martin Buber (1878-1965) gehörte von Beginn an der zionistischen Bewegung an, wobei er sich mit Theodor Herzl und seinen Anhängern über die praktische Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten dieser Bewegung zeitlebens stritt. Er gehörte nicht zum Kreis der „Romantiker“, die aus taktischen Gründen glauben machen wollten, dass Palästina sich für die Gründung eines jüdischen Staates insofern eigene, als es sich angeblich um ein „Land ohne Volk“ handle, also so als hätte dieses Gebiet keine eigene Bevölkerung gehabt. Buber verwarf diese Sicht in doppelter Hinsicht: Er wollte nicht, dass mit der Gründung Israels der palästinensisch-arabischen Bevölkerung Unrecht geschehe. Außerdem hegte er eine abgrundtiefe Ablehnung gegenüber der Entstehung eines jüdischen „Nationalstaates“, da er den Nationalismus aus eigener Erfahrung ablehnte.

Als gemäßigter Zionist zeigte er vor allem infolge der Gräueltaten der Nazis Verständnis für den Wunsch vieler Juden, eine Heimstatt zu gründen, wobei er es irrelevant fand, ob so eine Staatsgründung in Uganda, im Nahen Osten oder anderswo stattfinden sollte. Für den Fall, dass dieser Staat in Palästina entstehen sollte, verlangte er eine absolute Gleichstellung des palästinensischen mit dem jüdischen Bevölkerungsteil. Das Gleichheitsprinzip wäre aus seiner Sicht absolut gültig, sollte dieses Staatswesen auch anderswo entstehen.

Der Gedanke eines „binationalen“ Staates schien ihm von Anfang an nicht nur wünschenswert, sondern auch machbar. In diesem Punkt erwies er sich nicht als zionistischer Nationalist, sondern vielmehr als aufgeklärter Weltbürger, was ihm seitens zionistischer Agitatoren heftige Anfeindungen einbrachte.

Wäre Buber heute noch am Leben, würde er mit Sicherheit die Siedlungs- und Annexionspolitik des israelischen Staates aufs Schärfste bekämpfen und sie für Akte der Aggression brandmarken. Schließlich verabscheute er durch die Ablehnung des Nationalstaatsgedankens im gleichen Atemzug den Chauvinismus und die Idee des so genannten exklusiven Nationalismus, der nichts anders bedeutet als die ausschließliche Herausstellung der eigenen Interessen bei gleichzeitiger Missachtung der Belange anderer betroffener Volksgruppen in politischer, kultureller und wirtschaftlicher Hinsicht.

Martin Buber würde heute wie zeitlebens für die Gründung einer Konföderation bzw. eines binationalen Staates für israelische Juden und Palästinenser eintreten. Das war einer seiner Grundideen am Vorabend der Entstehung des Staats Israels 1948 und er würde sicherlich diese Linie auch für die gegenwärtige Situation vertreten.

Trotz aller heute bestehenden Einwände und Erschwernisse gibt es langfristig keine Alternative zur Option eines gemeinsamen demokratischen Staates für Israelis und Palästinenser. Natürlich kann man in der Theorie auch andere Ideen erwägen, wie etwa die künstliche Aufrechterhaltung des politisch, ökonomisch und sicherheitspolitisch brüchigen gegenwärtigen Zustandes. Auch neue Kriege (bzw. gemäß dem herrschenden israelischen Narrativ: „Vergeltungsschläge“) bieten sich in Zukunft ebenfalls an. Doch so wird man den ewigen Konflikt nicht aus der Welt schaffen und den Anrainerstaaten keine Stabilität und Sicherheit garantieren können, geschweige denn die teils sozialen und wirtschaftlichen Probleme in Israel und den palästinensischen Gebieten lösen.

Gemeinsam und friedlich in einem Staat zusammenzuleben, in dem rechtstaatliche Prinzipien wie Gleichheit vor dem Gesetz, Gewaltenteilung, Menschenrechte und Meinungsfreiheit herrschen, mag heute einer idealistischen Vision gleichkommen. Dies insbesondere, wenn man von der früheren israelischen Justizministerin Ayelet Shaked erfährt, dass man alle Palästinenser töten müsse und deren Kinder „kleine Schlangen“ seien. Dennoch muss angesichts der auch in Zukunft zu befürchtenden militärischen und politischen Eskalation darauf hingearbeitet werden, diesem utopisch anmutenden Ziel eines binationalen Staates in Palästina näher zu kommen, da nur auf diesem Weg langfristig stabile politische Verhältnisse, Frieden und Sicherheit, gesunde Wirtschaftsstrukturen und Mobilität für Menschen und Waren erreicht werden könnten. Dies bedarf eines strukturellen Umdenkens auf beiden Seiten, das vor allem eine akzentuierte Hinwendung der politischen Eliten in Israel und Palästina zu einer neuen Agenda bewirken sollte, die nicht nationalistisch oder chauvinistisch geprägt ist. Dass auch künftig fundamentalistische und nationalistische Strömungen auf beiden Seiten agieren werden, wäre verkraftbar, solange die verfassungsmäßig verankerten staatlichen Strukturen nicht länger von der Forderung dominiert wären, Israel als „jüdischen“ Staat auf der einen Seite und Palästina als einen „Nationalstaat“ bzw. einen primär von der Lehre des Islam geprägten Staat festzuschreiben.

Die Idee eines demokratischen binationalen Staates wurde auch schon in den 1970er Jahren von liberalen palästinensischen und israelisch-jüdischen Kreisen ins Spiel gebracht, als die Zwei-Staaten-Option noch nicht durch den exzessiven Siedlungsbau unerreichbar geworden war und daher noch oben auf der Agenda stand. So machte man sich Gedanken darüber, ob dieser gemeinsame Staat formaljuristisch eine Union, Konföderation oder Föderation sein sollte.[1] Es gibt jüdische Stimmen aus dem linksliberalen Bürgerrechtslager wie die von Haim Hanegbi, die die Realisierung des Zwei-Staaten-Modells angesichts der zionistischen Stimmungslage innerhalb der Mehrheitsgesellschaft ohnehin für ein schwieriges Unterfangen sehen und daher im binationalen Modell den Ansatz für eine dauerhafte Lösung erkennen. Ein ohnehin kaum lebensfähiger „Mini-Staat“ Palästina würde durch seine Gründung die zionistischen Ultras in ihrer Absicht bestärken, das Konzept eines rein „jüdischen“ Staates zu verwirklichen, was zu verschärften Repressionen gegen die Palästinenser innerhalb des israelischen Kerngebietes führen würde, vielleicht sogar bis hin zu ihrer Vertreibung. Shir Hever, ein profunder Forscher zur wirtschaftlichen Situation der palästinensischen Gebiete unter israelischer Besatzung, beobachtet neuerdings eine Tendenz zugunsten des Ein-Staaten-Modells vor allem unter den Palästinensern. Zur ökonomischen Bedeutung dieses Modells schreibt Hever: „Aus ökonomischer Sicht löst auch die Ein-Staaten-Lösung weder die wesentlichen Probleme der palästinensischen noch die der israelischen Ökonomie, doch schafft sie einen Rahmen und ein Instrumentarium dafür, dass diese am Ende gelöst werden können. Die Infrastruktur, die bereits die Grüne Linie überquert, kann weiter ausgebaut und mit palästinensischen Dörfern und Städten verbunden werden, so dass ein einziges Netzwerk geschaffen wird, das dem gesamten Gebiet dient. (…) In einem gemeinsamen israelisch-palästinensischen Staat mit einem gemeinsamen Parlament könnte das Gleichgewicht zwischen dem politischen und sozialen Bedürfnis, die Wunden der Vergangenheit zu heilen, und der wirtschaftlichen Wichtigkeit, diese Bemühungen über einen langen Zeitraum hinweg zu leisten, in einem demokratischen Prozess aufrechterhalten werden.“

Es lässt sich vereinfachend feststellen, dass eine deutliche Mehrheit der israelischen Juden gegen und eine zunehmende Zahl der Palästinenser für den Plan eines binationalen Staates eintreten. Eine Akzeptanz dieser Option bei den israelischen Juden dürfte kurz- und mittelfristig äußerst schwierig zu erzielen sein, da die herrschende Staatsidee Israels auf dem Zionismus basiert, der wiederum einen „jüdischen“ Absolutheitsanspruch auf das gesamte Gebiet des historischen Palästinas erhebt. Gegenwärtig steht in Israel wohl weniger die Bildung eines gemeinsamen Staates mit den Palästinensern auf der Tagesordnung als vielmehr das Projekt ihres „Transfers“ in die Nachbarländer. Auf palästinensischer Seite ist der „arabische“ Absolutheitsanspruch auf das gesamte Land im Laufe der letzten vier Jahrzehnte deutlich zurückgenommen worden, was auf fortlaufende Niederlagen, Enttäuschungen, aber auch Neuorientierungen zurückzuführen ist. Ein ähnlich pragmatischer Sinneswandel auf israelisch-jüdischer Seite lässt noch auf sich warten. Vielleicht wächst dort in Zukunft die Einsicht, dass dem Staat Israel trotz seiner militärischen und sicherheitspolitischen Omnipräsenz der Weg zum Frieden und zur Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme auch unter der jüdischen Mehrheitsgesellschaft nicht geglückt ist. In diesem Defizit könnte die Chance für ein Umdenken bzw. für die Akzeptanz des binationalen Gedankens als zukunftweisendes, tragfähiges Konzept in der Mehrheitsgesellschaft Israels liegen.

Aref Hajjaj, Vorsitzender des Palästina-Forums, Bonn

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Entdecke mehr von Sicht vom Hochblauen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen