Rekord-Militärausgaben: Der Sieg der Rüstungslobbyisten wie Strack-Zimmermann David Goeßmann

Dank an David Goeßmann für die Genehmigung seinen neuen Telpolis Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen. Evelyn Hecht-Galinski

Rekord-Militärausgaben: Der Sieg der Rüstungslobbyisten wie Strack-Zimmermann

2,4 Billionen Dollar, ein historischer Wert. Treiber sind Kriege wie in Ukraine und Gaza. Kaum gesprochen wird über Bestechung, politische Einflüsterer und Aktienboom.

Rekord-Militärausgaben: Der Sieg der Rüstungslobbyisten wie Strack-Zimmermann

Ukrainische Streitkräfte an einer Haubitze in der Nähe von Bachmut im Osten der Ukraine, 2023. Bild: Drop of Light / Shutterstock.com

2,4 Billionen Dollar, ein historischer Wert. Treiber sind Kriege wie in Ukraine und Gaza. Kaum gesprochen wird über Bestechung, politische Einflüsterer und Aktienboom.

Das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) hat erneut vermelden müssen, dass die weltweiten Militärausgaben einen historischen Rekordwert von 2440 Milliarden Dollar, also über 2,4 Billionen, erreicht haben [1].

Ukraine, Gaza, China: Kriege und Konfrontation als Treiber

Der Anstieg von fast sieben Prozent zwischen 2022 und 2023 war der steilste seit 2009 und ließ die Ausgaben auf den höchsten Stand in der 60-jährigen Geschichte der Sipri-Datenerfassung steigen.

Diese Steigerung hat natürlich mit Kriegen sowie den wachsenden globalen Spannungen und Konflikten zu tun. Insbesondere der Ukraine-Krieg Russlands, der Gaza-Krieg Israels, die eskalierenden Konfrontationen zwischen den USA und China im Pazifik sowie zwischen Israel und dem Iran im Nahen Osten treiben das Rüstungsgeschäft und die Militarisierung der Staaten voran.

Der große Auftritt der Rüstungslobbyisten

Aber hinter den Dauer-Anstiegen bei den Militärausgaben steckt auch Lobbyismus. So sind deutsche Rüstungsfirmen mit großen Lobbybüros in Berlin vertreten und halten enge langjährige Beziehungen zu Ministerialbeamten und Abgeordneten, wie das Lobbyregister zeigt. Zudem gibt es den sogenannten „Drehtür-Effekt“, bei dem Vertreter von Waffenherstellern in die Politik wechseln und andersherum.

Transparency International hat in einer Studie [2] zudem aufgezeigt, dass der Rüstungssektor sehr stark korruptionsgefährdet ist. Das resultiert auch daraus, dass es um meist große Summen geht, die Geschäfte organisatorisch wie technologisch komplex und schwer zu durchdringen sind und bei Exporten ins Ausland wenig Kontrolle besteht.

Vor allem bei der Auslandsbestechung liegt die Rüstungsbranche daher ganz vorn, nach Correctiv-Angaben [3] mit 15 Fällen von 2015 bis 2020 noch vor dem Sektor Anlagenbau, Kraftwerke und Industrie.

Korruption ölt das Geschäft

Die Liste der Verdachtsfälle ist lang. Das gilt auch für einen der größten Deals der letzten zehn Jahre: der Verkauf von zwei Fregatten nach Algerien durch ThyssenKrupp für etwa zwei Milliarden Euro. Die Kriegsschiffe wurden bei Rheinmetall eingekauft.

Bei dem Geschäft wurden die Zahlungen auf obskure Weise durch Singapur und Abu Dhabi geschleust. Mehrere zehn Millionen Euro kamen nie in Düsseldorf bei Rheinmetall an.

Da solche Korruptionsverdachtsfälle immer wieder auftreten – wie z.B. beim Verkauf von U-Booten nach Israel, aber auch bei Waffenlieferungen nach Griechenland, Brasilien, Südafrika oder Algerien –, fordert Transparency International Verbesserung beim Lobbyregister, strengere Regeln zur Parteienfinanzierung, eine Überarbeitung von Verhaltensrichtlinien für Abgeordnete und strengere Regeln und kompromisslose Verfolgung von Korruption.

Das gelte auch für die Ukraine und die Lieferungen dorthin. Die Korruptionssituation dort ist weiter schlecht. Im Corruption Perception Index 2021 [4] von Transparency landet das Land auf Rang 122 von 180 Plätzen. Deswegen müsse die Bundesregierung darauf achten, dass sich an den aktuellen Rüstungsexporten niemand zu Unrecht bereichere, so Transparency.

Der Fall Marie-Agnes Strack-Zimmermann

Sicherlich, den Vorwurf der Bereicherung macht der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die ständig nach mehr Waffen ruft [5], niemand. Aber ihre Nähe zur Rüstungslobby [6] wirft viele Fragen auf.

In ihrem Wahlkreis Düsseldorf hat Rheinmetall seinen Konzernsitz. Sie ist Präsidiumsmitglied in der Lobbyorganisation „Förderkreis Deutsches Heer e.V.“ (FKH) und der „Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik“ (DWT).

Zudem ist sie Vize-Präsidentin der „Deutsch-Atlantischen Gesellschaft“ (DAG). Die DAG hat zum Ziel, über die deutsche Sicherheitspolitik und Deutschlands Einbindung in die Nato zu informieren. Bei der FKH und DWT geht es demgegenüber ums Geschäft. So sagte Lobbycontrol-Sprecher [7] Timo Lange der Neuen Osnabrücker Zeitung:

Beides [FKH, DWT] sind von der Rüstungsindustrie stark beeinflusste Organisationen, wo wir es kritisch sehen, wenn Abgeordnete des Bundestages dort leitende Funktionen übernehmen – auch wenn es ehrenamtlich geschieht.

Auch CDU- und SPD-Politiker als Rüstungsversteher

Die Rüstungsindustrie würde so über „sehr enge und privilegierte Zugänge ins Parlament verfügen“, schlussfolgert Lange. Strack-Zimmermann hat von Beginn des Ukraine-Kriegs an immer eindringlich dafür geworben, dass Deutschland mehr und schwerere Waffen an die Ukraine liefert. Dafür hat sie sehr viel Medienpräsenz bekommen.

Aber nicht nur Strack-Zimmermann hat enge Kontakte zum militärisch-industriellen Komplex. Der stellvertretende Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Henning Otte (CDU), ist ebenfalls prominent in den Präsidien des DWT und FKH vertreten [8].

Auch beim Sprecher der CDU/CSU-Fraktion in wehrpolitischen Fragen, Florian Hahn, und beim verteidigungspolitischen Sprecher der SPD, Wolfgang Hellmich, sei die Nähe zur Rüstungsindustrie durch Ämter und Lobbyfunktionen zum Teil „besonders krass“, wie Transparency feststellt [9].

Testlabor für westliche Waffen und enorme Gewinne

Für die Waffenhersteller ist der Ukraine-Krieg aber nicht nur eine Bonanza. „Womöglich gibt es einen willkommenen Seiteneffekt für die Waffengeber“, meint Helmi Krappitz [10] am 16. Januar dieses Jahres in der Frankfurter Rundschau. „Der Krieg bietet dem Westen die seltene Möglichkeit, seine Waffensysteme im Einsatz zu testen“. Die Ukraine sei gewissermaßen ein „Testlabor für westliche Waffen“.

Das Ergebnis auch von Lobbyismus: Die Ausgaben Deutschlands für das Militär sind in den letzten Jahren massiv angestiegen. Der deutsche Verteidigungshaushalt wurde im Vergleich zu den Budgets der anderen Ministerien in den letzten Jahren am stärksten aufgestockt [11], von 38,5 auf jetzt 51,95 Milliarden Euro.

Dazu kommen noch 20 Milliarden aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr für 2024. Also insgesamt werden für Verteidigung 72 Milliarden ausgegeben [12]. Das ist eine Steigerung von fast 90 Prozent in nur fünf Jahren.

Profiteure der Steuergelder für Verteidigung sind die großen Waffenhersteller. Die Rheinmetall-Aktie stieg [13] zum Beispiel in den letzten Jahren um das Zehnfache [14], allein in den letzten zwei Jahren, nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs und dann vor allem nach Israels Gaza-Krieg vor sechs Monaten, legte sie in der Spitze um fast 500 Prozent zu.

USA: Die Pro-Bono-Lobbyisten für die Ukraine

In den USA ist Lobbyismus im Rüstungssektor noch tiefer verankert in Politik und Gesellschaft. Das liegt auch an den Summen und der Macht des militärisch-industriellen Komplexes.

Letztlich geht es um die Verteilung eines gigantischen Wehretats von heute rund 900 Milliarden Dollar. Die Hälfte davon, rund 450 Milliarden, gingen letztes Jahr direkt an Rüstungsfirmen.

Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine kam Unterstützung für das Land aus scheinbar jeder Branche in den Vereinigten Staaten. Doch einer der wichtigsten Sektoren, der der Ukraine zu Hilfe kam, ist die mächtige Lobbyindustrie in Washington, wie Eli Clifton und Ben Freeman vom Quincy Institute auf Responsible Statecraft berichten [15].

Die russische Invasion habe einige der größten Lobbyisten dazu veranlasst, das Undenkbare zu tun – Lobbyarbeit pro bono, also umsonst, für die Ukraine zu betreiben. Einige der Firmen haben dabei durchaus finanzielle Anreize: Sie streichen Millionenhonorare der Auftragnehmer des Pentagons ein, die wiederum große Gewinne durch den andauernden Krieg in der Ukraine generieren können.

Die Pro-Bono-Lobbyisten für die Ukraine profitieren also indirekt, im Stillen, von ihren Lobby-Kunden aus der Rüstungsindustrie. Sie arbeiten einerseits daran, die US-Politik auf die Beschaffung von mehr Waffen für Kiew zu lenken, vertreten andererseits aber zugleich auch Waffenhersteller.

1,4 Billionen Dollar

Der Erfolg scheint ihnen Recht zu geben. So wurde gestern das Waffenpaket für die Ukraine, Israel und Taiwan in Gesamthöhe von 95 Milliarden Dollar vom US-Kongress nach langem Tauziehen genehmigt [16].

Insgesamt kennen die Ausgaben für Rüstung und Militär in den Vereinigten Staaten seit Jahren und Jahrzehnten nur eine Richtung: nach oben.

Das Pentagon- und Sicherheitsbudget ist in den USA längst in der Stratosphäre, die kein Maß, keine Grenzen kennt, angelangt. 1,4 Billionen Dollar [17] der Steuerzahler-Gelder, Tendenz steigend, werden pro Jahr für Militär- und Sicherheitsausgaben bereitgestellt (davon 900 Milliarden für das Verteidigungsministerium). 62 Cents von jedem gezahlten Steuer-Dollar [18], der frei verfügbar vom US-Kongress ausgegeben wird, endet bei Streitkräften, Militärbasen, Waffenproduzenten und Sicherheitsfirmen.

EU: Industriestrategie für den Verteidigungsbereich

In der EU setzt man ebenfalls auf politische Militarisierung. Während die Rüstungsindustrie boomt, mit dem Trend zur Kriegswirtschaft, zitiert EU-Außenamtschef Josep Borrell [19] den lateinischen Spruch „Si vis pacem, para bellum“, „Wenn man Frieden will, muss man sich auf den Krieg vorbereiten“, während die EU-Kommission zum ersten Mal eine „Defense Industrial Strategy“ [20] („Industriestrategie für den Verteidigungsbereich“) vorgelegt hat.

Dabei wird der Schwerpunkt von klima- auf verteidigungsbezogene Projekte verlagert [21], der Green Deal heruntergestuft und der Europäische Souveränitätsfonds – eine Antwort auf Konjunkturprogramm IRA der Biden-Regierung in den USA – von zehn auf 1,5 Milliarden Euro gekürzt.

Auch hinter diesem Trend der Aufrüstung stecken Lobbys. Im Vorfeld von gemeinsamen Waffenkäufen und -verkäufen der EU im März dieses Jahres drängten Waffenhersteller von beiden Seiten des Atlantiks darauf, so ein Bericht von Politico [22], wichtige EU-Kommissare und EU-Gesetzgeber zu treffen, während Lobbying-Firmen Militärexperten für ihr Brüsseler Büro abwerben.

„In 20 Jahren im Bereich der öffentlichen Angelegenheiten habe ich noch nie so viele Entwicklungen in einem Politikbereich gesehen wie im Bereich der Verteidigung in den letzten fünf Jahren“, sagte Benoît Chaucheprat, Mitbegründer von C&V Consulting, einer Firma, die sich in Brüssel ausschließlich auf die Verteidigungspolitik konzentriert.

Die steigende Macht der Lobbys

Eine Studie von Corporate Europe [23] fand bereits 2017 heraus, dass die Lobby-Ausgaben der Rüstungskonzerne seit Jahren stark ansteigen, auf über fünf Millionen, Stand 2017. „Es besteht ein ständiger und enger Dialog sowohl mit der Europäischen Kommission und der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA)“, hieß es 2016 in einem Newsletter der Lobbyorganisation AeroSpace and Defence Industries Association (ASD).

Die Einflüsterer der Waffenhersteller können sich mit ihren Wünschen immer stärker durchsetzen, das zeigt auch die Neuausrichtung der EU-Budgets Richtung Militarisierung. Die jüngsten Kriege und Konflikte sind dabei ein äußerst profitables Klima für die Rüstungskonzerne.

Es ist eine Art Teufelskreis: Die Kriege befeuern die staatlichen Ausgaben für Panzer, Artillerie, Gewehre, Kriegsschiffe, Kampfjets und -helikopter sowie diverse Sicherheitsausrüstungen, die die Konflikte anheizen, während die Rüstungsunternehmen enorme Umsatzsteigerungen und Profite generieren, die ihnen wiederum mehr Möglichkeiten einräumen, ihre Lobbyarbeit erfolgreich umzusetzen.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-9693223

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.theguardian.com/world/2024/apr/22/global-defence-budget-jumps-to-record-high-of-2440bn
[2] https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/2022/Scheinwerfer_96_Verteidigung.pdf
[3] https://www.transparency.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/2022/Scheinwerfer_96_Verteidigung.pdf
[4] https://www.transparency.org/en/cpi/2021
[5] https://www.deutschlandfunk.de/fdp-europaparteitag-interview-mit-spitzenkandidatin-strack-zimmermann-dlf-a4ecd00d-100.html
[6] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5058-ausgestorben-zu-viel-panzer-zu-wenig-hirn
[7] https://www.presseportal.de/pm/58964/5216301
[8] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5058-ausgestorben-zu-viel-panzer-zu-wenig-hirn
[9] https://www.isw-muenchen.de/online-publikationen/texte-artikel/5058-ausgestorben-zu-viel-panzer-zu-wenig-hirn
[10] https://www.fr.de/politik/ukraine-krieg-waffen-test-westen-usa-innovation-geheimdienst-auswertung-mkr-92031053.html
[11] https://www.telepolis.de/features/Antje-Vollmers-Erbe-Ueber-Lobby-und-Moral-im-kriegstuechtigen-Deutschland-9660910.html
[12] https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw05-de-verteidigung-977670
[13] https://aktien.guide/kursziel/Rheinmetall-DE0007030009
[14] https://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/krisenprofiteur-rheinmetall-stoesst-an-seine-grenzen-19648701.html
[15] https://responsiblestatecraft.org/2023/03/01/pro-bono-ukraine-lobbyists-quietly-profit-from-defense-contractor-clients/
[16] https://www.reuters.com/world/us/us-house-vote-long-awaited-95-billion-ukraine-israel-aid-package-2024-04-20/
[17] https://tomdispatch.com/fueling-the-warfare-state/
[18] https://progressive.org/magazine/this-is-a-very-dangerous-time-stockwell-20231128/
[19] https://defence-industry.eu/borrell-to-secure-peace-the-eu-needs-to-be-ready-to-defend-itself/
[20] https://carnegieendowment.org/2024/03/08/understanding-eu-s-new-defense-industrial-strategy-pub-91937
[21] https://www.ft.com/content/c777a195-ccd5-43a3-95c4-18b05e1ef643
[22] https://www.politico.eu/article/defense-policy-lobby-european-union/
[23] https://corporateeurope.org/sites/default/files/attachments/arms_lobby_infographic_0.pdf

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

Entdecke mehr von Sicht vom Hochblauen

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen