Seymour Hersh antwortet auf den Artikel der Washington Post von Thomas Röper

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Die Nord-Stream-Show

Seymour Hersh antwortet auf den Artikel der Washington Post

von Thomas Röper

6. April 2023

Die Washington Post hat vor einigen Tagen ein Artikel gebracht, der die Geschichte der angeblichen „pro-ukrainischen Gruppe“ weitergesponnen hat, die Nord Stream gesprengt haben soll. Auf diesen Artikel hat Seymour Hersh mit einem eigenen Artikel geantwortet.

Über den neuen Artikel der Washington Post habe ich berichtet und ihn auch komplett übersetzt, meinen Artikel finden Sie hier. Der Inhalt des Artikels der Washington Post war vorhersehbar und keineswegs überraschend, wie ich in meinem Artikel ausgeführt habe.

Der Grund ist schnell erklärt: Die US-Regierung will davon ablenken, dass es die USA waren, die auf persönliche Anweisung von Präsident Biden die Nord Streams gesprengt haben. Daher war das Szenario des medialen Ablenkungsmanövers vorhersehbar: Häppchenweise werden in weiteren Artikel immer neue „geheime“ Erkenntnisse der Ermittler an die Medien durchgestochen und die Öffentlichkeit wird mit dem „Detektivspiel“ der Suche nach den Tätern beschäftigt. Bei diesem Spiel gibt es zwei goldene Regeln: Erstens dürfen die USA als möglicher Täter nicht genannt werden, weil von deren Täterschaft ja abgelenkt werden soll, und zweitens dürfen Seymour Hersh und seine Recherche aus den gleichen Gründen nicht erwähnt werden.

An diese Regeln hat sich die Washington Post auch brav gehalten, denn sie hat in ihrem Artikel weder eine (auch nur mögliche) Beteiligung der USA an der Sprengung, noch die Recherchen von Seymour Hersh erwähnt.

Der Artikel, den Seymour Hersh nun als Antwort an den Artikel der Washington Post veröffentlicht hat, enthält keine entscheidenden neuen Erkenntnisse, aber sehr viele interessante Details und einen letzten Absatz, der viel Raum für Spekulationen darüber lässt, was Hersh noch weiß und veröffentlichen könnte. Daher habe ich den neuesten Artikel von Seymour Hersh übersetzt.

Beginn der Übersetzung:

DAS NORD-STREAM-GEISTERSCHIFF

Der amerikanische Geheimdienst Central Intelligence Agency (CIA) führt ständig verdeckte Operationen in der ganzen Welt durch, und alle müssen eine Tarngeschichte haben, falls die Dinge schlecht laufen, was oft der Fall ist. Genauso wichtig ist es, eine Erklärung zu haben, wenn die Dinge gut laufen, wie im letzten Herbst in der Ostsee. Wenige Wochen nach meinem Bericht, dass Joe Biden die Zerstörung der Nord Stream-Pipelines angeordnet hatte, produzierte die CIA eine Titelgeschichte und fand in der New York Times und zwei großen deutschen Medien willige Abnehmer.

Mit der Erfindung einer Geschichte über Tiefseetaucher und eine Besatzung, die es nicht gab, folgte die CIA dem Protokoll, und die Geschichte wäre Teil der ersten Tage der geheimen Planung zur Zerstörung der Pipelines gewesen. Das wesentliche Element war eine mythische Yacht mit dem ironischen Namen Andromeda – nach der schönen Tochter eines mythischen Königs, die nackt an einen Felsen gekettet war. Die Tarngeschichte wurde mit dem BND, dem deutschen Bundesnachrichtendienst, geteilt und er unterstützte sie.

Mein erster Bericht fand weltweit Beachtung, wurde aber von den großen Zeitungen und Fernsehsendern in den USA ignoriert. Als die Geschichte in Europa und anderswo im Ausland an Fahrt gewann, veröffentlichte die New York Times am 7. März einen Bericht, in dem US-Beamte zitiert wurden, die behaupteten, der amerikanische Geheimdienst habe Informationen gesammelt, die darauf hindeuteten, dass eine pro-ukrainische Gruppe die Pipelines sabotiert habe. In dem Bericht hieß es, dass Beamte, die die neuen Informationen „geprüft“ hätten, diese als „einen Schritt zur Feststellung der Verantwortung“ für die Sabotage der Pipelines bezeichneten. Die Story der New York Times erregte weltweites Aufsehen, aber seitdem hat die Zeitung nichts mehr darüber gesagt, wer was getan hat. In einem Interview für einen Podcast der New Work Times erklärte einer der drei Autoren des Artikels versehentlich, warum die Geschichte von Anfang an tot war. Der Autor wurde nach der Beteiligung der angeblichen pro-ukrainischen Gruppe gefragt: „Wie kommen Sie darauf, dass das passiert ist?“ Er antwortete: „Ich sollte ganz klar sagen, dass wir wirklich sehr wenig wissen. Richtig?“

Am 3. April berichtete die Washington Post, dass einige europäische Ermittler nun bezweifeln, dass die Andromeda die Pipelines ohne die Hilfe eines zweiten Schiffes sabotiert haben könnte. Einige in Europa fragten sich, ob die Rolle der Andromeda „etwas zur Ablenkung oder nur ein Teil des Bildes“ sei. In dem Artikel wurde nicht behauptet, dass die Biden-Administration in die Zerstörung der Pipeline verwickelt war, aber es wurde ein ungenannter europäischer Diplomat zitiert, der sagte, dass jeder sehen könne, dass dort eine Leiche liege, aber alle täten so, als sei alles normal. „Es ist besser, nichts zu wissen“, sagte der Diplomat. Kein amerikanischer Beamter wurde, auch nicht anonym, von der Washington Post zitiert. Die Biden-Administration ist zu einer Nord-Stream-freien Zone geworden.

Das ist ein Vorteil für die verschiedenen CIA-Beamten, die die Medien im In- und Ausland mit erfundenen Geschichten versorgt und so erfolgreich versucht haben, die Welt auf mögliche Verdächtige außer des logischsten Verdächtigen, des US-Präsidenten, zu konzentrieren.

Die New York Times berichtete auch, dass ein europäischer Abgeordneter, der von den Geheimdiensten seines Landes informiert wurde, sagte, dass der Geheimdienst Informationen über etwa 45 Schiffe gesammelt hat, deren Transponder nicht eingeschaltet waren, als sie das Gebiet passierten, in dem die Pipelines gesprengt wurden. Eines dieser so genannten „Geisterschiffe“ könnte die Minen platziert und später den Abzug betätigt haben.

Nachdem die New York Times ihren Bericht online gestellt hatte, veröffentlichte Die Zeit, Deutschlands größte Zeitung, eilig einen Bericht über eine Untersuchung des Nord-Stream-Bombenanschlags, für den sie in Zusammenarbeit mit einem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender monatelang recherchiert hatte. Die Wochenzeitung hatte etwas Neues: Sie identifizierte eine Yacht, die, wie sie berichtete, „von einer Firma in Polen gemietet wurde, die offenbar zwei Ukrainern gehört“. Zu der Gruppe, die die Yacht gemietet und die Zerstörung der Pipeline durchgeführt hat, gehörten angeblich ein Kapitän, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und ein Arzt. Die von der „Zeit“ als „Attentäter“ bezeichneten Personen, deren Namen weder veröffentlicht wurden noch bekannt waren, benutzten gefälschte Pässe und hatten den benötigten Sprengstoff zum Tatort transportiert. Die Yacht soll in der Nähe der dänischen Insel Bornholm gefahren sein, die sich in der Nähe des Ortes der Pipeline-Sabotage befindet.

Die Zeitung berichtete, die Yacht sei der Firma, die sie vermietet hatte – solche Yachten können für zweitausend Dollar pro Woche oder mehr gemietet werden – im „ungereinigten Zustand“ zurückgegeben worden, so dass deutsche Ermittler auf einem Kabinentisch Spuren des Sprengstoffs finden konnten. Später hieß es, die Ermittler hätten auch zwei gefälschte ukrainische Pässe auf der Yacht gefunden. In einem späteren Bericht des deutschen Wochenmagazins Der Spiegel hieß es, die fragliche Jacht trage den Namen Andromeda.

Ich habe daraufhin einen Artikel veröffentlicht, in dem ich die Vermutung geäußert habe, dass die Informationen, die die deutsche Bundespolizei sowohl der Zeit als auch dem Spiegel zur Verfügung gestellt hatte, vom US-Geheimdienst stammten. Der Autor des Zeit-Artikels, Holger Stark, ein erfahrener Journalist, den ich kenne, seit er vor etwa zehn Jahren in Washington gearbeitet hat, nahm Kontakt mit mir auf, um sich über diese Behauptung zu beschweren. Stark sagte mir, er habe ausgezeichnete Quellen bei der deutschen Bundespolizei und habe das, was er getan habe, von diesen Verbindungen erfahren und nicht von irgendeinem Geheimdienst, weder dem deutschen noch dem amerikanischen. Ich habe ihm geglaubt und die Geschichte sofort korrigiert.

Ich gebe zu, dass es für jeden Journalisten schwierig ist, über einen Journalistenkollegen zu schreiben, insbesondere über einen guten. Aber in diesem Fall geht es um die Annahme von Tatsachen, die hätten hinterfragt werden müssen. Ich habe Stark zum Beispiel nicht gefragt, ob er sich wundert, warum eine amerikanische Zeitung, die fast viertausend Meilen entfernt ist, dieselbe Behauptung über eine Gruppe ungenannter Ukrainer, die nicht mit der Führung in Kiew in Verbindung stehen, veröffentlicht, von der Beamte in Deutschland sagen, dass sie sie verfolgt haben. Wir sprachen über eine Tatsache, die er erwähnte: dass Beamte in Deutschland, Schweden und Dänemark kurz nach den Bombenanschlägen auf die Pipeline beschlossen hatten, Teams an den Ort zu schicken, um die Mine zu bergen, die nicht explodiert war. Er sagte, sie seien zu spät gekommen; ein amerikanisches Schiff sei innerhalb von ein oder zwei Tagen zur Stelle gewesen und habe die Mine und andere Materialien geborgen. Ich fragte ihn, warum die Amerikaner seiner Meinung nach so schnell vor Ort waren, und er antwortete mit einer Handbewegung: „Sie wissen doch, wie Amerikaner sind. Sie wollen immer die Ersten sein.“ Es gab noch eine andere, sehr offensichtliche Erklärung.

Der Trick einer guten Propagandaoperation besteht darin, den Zielpersonen – in diesem Fall den westlichen Medien – das zu liefern, was sie hören wollen. Ein Geheimdienstexperte sagte es mir noch prägnanter: „Wenn man eine Operation wie die Pipelines durchführt, muss man eine Gegenoperation planen – ein Ablenkungsmanöver, das einen Hauch von Realität hat. Und es muss so detailliert wie möglich sein, damit es geglaubt wird.“Weiterlesen im antispiegel.ru

 

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