Sicherheitspolitik als Quatsch und Landesverrat Von Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen neuen und  heute auf Overton erschienen Artikel auf der Hochblauen Seite zu veröffentlichen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/sicherheitspolitik-als-quatsch-und-landesverrat/

Sicherheitspolitik als Quatsch und Landesverrat

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Yoav Gallant, Benjamin Netanyahu und Generalstabschef Herzi Halevi am 25. Januar 2023. Bild: Kobi Gideon/GPO

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant befinden sich schon seit langem im Konflikt. Der hat sich jetzt zugespitzt.

 

Der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant ist diese Woche gefragt worden, warum Israel keinen vollen Krieg im Libanon initiiere. Er antwortete: “Ich höre die Helden mit den Trommeln, [das Gerede vom] totalen Sieg und den [ganzen] Quatsch. Den Heldenmut habe ich gesehen, sobald es zur Verhandlung kommt.” Im Sicherheitsausschuss fügte er dem hinzu: “Die Bedingungen, die es heute für einen Krieg im Libanon gibt, sind das Gegenteil von dem, was sie zu Beginn des Gaza-Krieges waren.”

Yoav Gallant ist kein großer Redner vor dem Herrn, seine rhetorischen Fähigkeiten stehen denen Netanjahus deutlich nach. Gallant ist gravierend am Verlauf des Krieges im Gazastreifen, einschließlich der dort begangenen Verbrechen, beteiligt. Er weiß es auch und wird noch dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Was Gallant allerdings von Netanjahu unterscheidet, ist seine Gradlinigkeit (ich erspare mir die Verwendung von Ehrlichkeit); er ist nicht perfide wie der Premier, trompetet zwar die Siegesparolen des Militärs (er ist ja Verteidigungsminister), weiß aber auch um die Grenzen des real Wünschbaren unter den gegebenen Koordinaten des Sicherheitsbereichs. Haaretz-Kolumnist Yossi Verter schreibt über Gallant in diesem Zusammenhang: “Für ihn sind Bibi, seine Berater sowie diese oder jene Minister und Knessetmitglieder Hintergrundgeräusche, wenn’s hoch kommt. Er verachtet sie.”

Das bringt Netanjahu schon seit langen Monaten auf die Palme. Bereits im Februar 2023 wollte er Gallant seines Postens entheben, als sich dieser – verantwortungsvoll! – dem von Netanjahu und seinem Umfeld versuchten Staatsstreich mit dem Argument entgegenstellte, dass der Protest gegen den umstürzlerischen Versuch Dimensionen angenommen habe, die die Sicherheit Israels gefährdeten. Er sprach sich gegen die Fortführung der “Justizreform” aus. Als ihn Netanjahu daraufhin entließ, brachen Riesendemonstrationen gegen diesen Schritt des Premiers aus, die Netanjahu zurückschrecken ließen. Die Chose löste sich damals in Wohlgefallen auf.

Seit Beginn des Gaza-Krieges hat sich das gespannte Verhältnis zwischen den beiden nur noch aufgeladen. Das hatte (aus Netanjahus Sicht) zwei Gründe: Zum einen begann er bald nach dem 7. Oktober die Schuld am Desaster von sich auf das Militär, für das Gallant ministeriell verantwortlich zeichnet, abzuwälzen. Das Ergebnis war, dass mitten im Krieg eine Front der Politik gegen die IDF-Spitze entstand; man huldigte dem “heldenhaften Kampf” der Soldaten an der Front, befleißigte sich aber zugleich einer Art umgekehrter israelischer Dolchstoßlegende: Das Militär bzw. seine Verantwortlichen fallen den Regierenden in den Rücken.

Zum anderen kann es aber der israelische Premierminister, der sich seit Jahrzehnten mit dem selbstgegebenen Titel “Mister Sicherheit” schmückt, nicht ertragen, dass er in Gallant nicht nur einen Konkurrenten, sondern womöglich einen ihm im Bereich der Sicherheit Überlegenen vor sich hat, der zudem die Armee auf seiner Seite weiß. Er ist daher bemüht, Gallants Status politisch zu erschüttern.

Entsprechend wurde der israelische Verteidigungsminister vom Büro des Premiers ausdrücklich beschuldigt, eine “anti-israelische Ausrichtung” angenommen zu haben; er sei Hamas-Führer Sinwar gegenüber zu nachsichtig und weichherzig, habe zudem seinen Willen verloren, die Hamas zu besiegen. Im Klartext: Yoav Gallant ist ein Verräter. Yossi Verter meint zu dieser schweren Anschuldigung: “Es handelt sich um die Kennzeichen eines Diktators: Jeder, der nicht mit seinen Parolen gleichzieht, ist ein Subversiver, ein Gegner des Staates, Ziel für Verleumdung und Hetze (in Bibistan) und für ein Attentat (in Russland etwa). Angesichts der vielen Herausforderungen, denen er sich ausgesetzt sieht, wäre zu erwarten gewesen, dass Netanjahu sich zurückhält, das Gesagte ignoriert oder wechselweise eine rationalere Verlautbarung von sich gibt. Er ist doch Premierminister. Aber dazu ist er nicht fähig, er mußss Gleiches austeilen und noch steigern.”

Man könnte das als infantiles Machogeplänkel zweier alternder Männer abtun, die noch einmal zeigen wollen, “wo’s langgeht”. Dafür ist aber die Lage in Israel zu ernst. Yoav Gallant weiß, dass er seine politische Zukunft bereits hinter sich hat; er selber sagt, dass er in seinem Leben nichts Wichtigeres mehr machen werde, als Israel in diesem schweren Krieg militärisch geführt zu haben. Er weiß zudem, dass seine Tage als Likudmitglied womöglich gezählt sind. Er kann sich daher auf das konzentrieren, worum es in der Sache selbst zu gehen hat: Er weiß, dass das Gerede vom “totalen Sieg” Quatsch ist und dass man sich mit der Hamas arrangieren muss, wenn man die wenigen Geiseln, die noch am Leben sind, aus der Gefangenschaft im Gazastreifen befreien möchte.

Bei der unfassbaren Konfrontation zwischen den faschistischen Hardlinern in der Regierung, Ben-Gvir und Smotrich, die den Krieg auf keinen Fall beenden wollen, bevor die Hamas vernichtet worden ist, und den Angehörigen der Entführten, die (mit Tausenden von Israelis) die Regierung anflehen, den anstehenden Deal mit der Hamas einzugehen (was natürlich mit gewissen Konzessionen Israels an die Hamas einhergehen wird), schlägt sich Gallant auf der Seite der Letzteren. Was immer dabei seine Beweggründe sein mögen – ob Menschlichkeit oder schlicht eine realitätsgerechte Wahrnehmung der bestehenden Situation –, er braucht sich nicht mehr zu verstellen, geschweige denn, dem Ansinnen jener zu beugen, die er verachtet.

Hingegen ist Netanjahu einzig auf den Erhalt seiner Macht und Herrschaft ausgerichtet. Es ist nicht ausgemacht, dass er selbst nicht weiß, dass sein “totaler Sieg” Quatsch ist, weil eben Ideen und ihre Manifestationen als Bewegungen nicht zu besiegen sind, solange ihre Träger an ihnen festhalten. Hamas mag geschwächt sein, man kann die Gaza-Bevölkerung weiterhin martern und schinden, wie es Israel schon seit langem tut. Aber die der Hamas zugrunde liegenden Ideen sind nicht eliminierbar, wenn sie zum Lebensinhalt der Bevölkerung im Gazastreifen geronnen sind. Das müsste Netanjahu doch wissen – man sage ihm nur, dass der Zionismus sich überlebt habe und aus der Welt zu schaffen sei, und schon würde er einen ideologischen Tobsuchtsanfall kriegen. Das Postulat der Hamas “From the River to the Sea Palestine will be free” und das Netanjahu-Postulat des “totalen Sieges” über die Hamas bzw. die Idee eines “Großisrael” halten sich da die Waage: Beide sind nicht zu verwirklichen, zugleich sind aber beide nicht ausrottbar, solange es noch Menschen gibt, die von ihnen angetrieben sind.

Aber selbst, wenn er das weiß, spielt es keine Rolle. Er kann den Deal mit Hamas nicht wollen, solange ihm Smotrich und Ben-Gvir als Wächter zur Seite stehen und ihm ständig drohen, seine Koalition aufzulösen, wenn er einem Übereinkommen mit der Hamas zustimmt. Dies ist für ihn eine nachgerade endzeitliche Vorstellung. Daher hat er bis jetzt nicht nur dem präsentierten Deal immer wieder Steine in den Weg gelegt (hat sich mithin um die Wehklagen der Angehörigen der Geiseln einen Dreck gekümmert), sondern er verfolgt noch immer die Doktrin, dass gesteigerter militärischer Druck die Geiselbefreiung fördere. Er hat sich auch nicht nehmen lassen, durch gezielte Liquidierungsaktionen israelischer Geheimdienste gegen einen Hamas-Oberen auf iranischem Boden und einen ranghohen Hisbollah-Offizier im Libanon eine Reaktion seitens des Iran und der Hisbollah zu provozieren, die zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen ganz Israel seit einer Woche in panischer Erwartung der anstehenden Vergeltung den Atem anhalten lässt. Auch das ist ein Teil der auf dem “Quatsch” basierenden Militärpraxis Israels.

Wenn aber Yoav Gallant (der übrigens nicht unschuldig ist an der monatelangen Genese dieser Praxis) jetzt meint, die Bedingungen, die es heute für einen Krieg im Libanon gibt, seien das Gegenteil von dem, was sie zu Beginn des Gaza-Krieges waren, dann muss er zum “Landesverräter” werden. Dass gerade er um die Belange des Landes professioneller, sachlicher und ehrlicher bemüht ist als Netanjahu, seine unterwürfigen Minister und seine Berater-Combo, spielt für das Wahlvolk der Bibisten keine Rolle. Wer ihrem Idol nachsagt, dass er, “Mister Sicherheit”, im Bereich der Sicherheit herumquatsche, kann nichts anderes, als “Landesverräter” sein. Off with his head!

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