Sprachregelung für unsere Unis? – Einspruch! Von Georg Meggle

 

 

 

 

 

Ich danke meinem hochverehrten Freund Georg Meggle für die Überlassung dieses Artikel und Briefverkehrs zur, Weiterverbreitung. Es gibt glücklicher Weise noch Intellektuelle und Wissenschaftler mit Mut und Aufrichtigkeit in Deutschland! Georg Meggle ist einer der wenigen Verbliebenen dieser Gattung. Ich hoffe, dass Georg Meggle,  sich noch viel von der Seele schreiben und veröffentlichen wird. Seine wichtige Stimme wird gelesen und gehört.

Evelyn Hecht-Galinski

Der Beitrag durfte dankenswerter von Telepolis (29.11.2019) übernommen werden.

Georg Meggle ist Analytischer Philosoph. Und so Experte für Begriffserklärungen. Zu den vom ihm erklärten Begriffen gehören: Kommunikatives Handeln, Sprachliche Bedeutung, Terroristische Akte, Abschreckungsstrategien, Humanitäre Interventionen, Sinn des Lebens, Kollektive Identitäten – und nun eben auch: Antisemitismus. Zu letzterem neuerdings: Genau wann bin ich Antisemit?.
Seit seiner Emeritierung an der Universität Leipzig, 2009,  sowie unterrichtet er  im Sommer an der Universität Salzburg. Seine Website.

 

Zu der folgenden Veranstaltung an der Humboldt-Universität am 12. Februar 2010 möchte ich schon heute aufmerksam machen.

 

 

Sprachregelung für unsere Unis? – Einspruch!

Georg Meggle

 

Die deutsche Hochschulrektorenkonferenz (HRK) geht in ihrer Entschließung „Kein Platz für Antisemitismus“ in einem Punkt zu weit: Alle deutschen Universitäten sollen sich an die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ halten. Dagegen erhebe ich Einspruch.

 

 

 

Die deutsche Hochschulrektoren-Konferenz (HRK) hat auf ihrer Hamburger Mitgliederversammlung vom 19. November 2019 auf den Mordanschlag in Halle/Saale (09. Oktober 2019) mit der Entschließung „Kein Platz für Antisemitismus“ reagiert (https://www.hrk.de/positionen/gesamtliste-beschluesse/beschluss/detail/kein-platz-fuer-antisemitismus/). Diese Stellungnahme will offenbar genau das zeigen, was sie von allen deutschen Universitäten fordert: Entschlossenheit – ist dabei aber, wie ich mit dem unteren Schreiben an den Kollegen Alt, den derzeitigen HRK Präsidenten, begründen möchte, in einem Punkt deutlich zu weit gegangen: Sie fordert von allen deutschen Universitäten, sich ab sofort an die „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ zu halten. Dagegen erhebe ich Einspruch.

 

*

 

 

Prof. Dr. em. Georg Meggle                                                                          Kairo, 28. Nov 2019

Philosophisches Institut, Universität Leipzig

 

 

An den

Präsidenten der

Hochschulrektorenkonferenz (HRK)

Herrn Prof. Dr. Peter-André Alt

Freie Universität Berlin

 

 

Sehr geehrter Herr Kollege Alt,

 

in direkter Reaktion auf die anti-jüdische Attacke in Halle/Saale (09. Oktober 2019) hat die Mitgliederversammlung der HRK am 19. November einer Entschließung zugestimmt, die bekräftigt, was ohnehin selbstverständlich sein sollte: nämlich, dass „an deutschen Hochschulen … kein Platz für Antisemitismus“ sein darf, dass auch „die deutschen Hochschulen … Zentren der demokratischen Kultur, Orte des Dialogs und Stätten der Vielfalt“ sein sollen und „außerdem … die Hochschulen in Deutschland in besonderer Verantwortung“ stünden, „allen Formen des Antisemitismus entschieden entgegenzutreten“. Von diesem Teil der Entschließung kann man nur hoffen, dass ihm möglichst viele – Akademiker wie nicht-Akademiker – voll und ganz zustimmen.

 

Entschieden zu widersprechen ist jedoch dem Teil der Entschließung, mit dem alle derzeit 268 „Mitgliedshochschulen der Hochschulkonferenz“ die sogenannte „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ausdrücklich „begrüßen und … sie an allen Hochschulstandorten etabliert sehen“ möchten. Was soll das?

Selbst wenn die Begründung, wonach diese Arbeitsdefinition „eine klare Grundlage zum Erkennen von Judenhass und … damit ein wichtiges Werkzeug bei seiner Bekämpfung“ ist, (kontrafaktisch) zutreffen würde: Gehört es wirklich zu den Aufgaben der HRK, uns – dem Hochschulvolk – vorzuschreiben, mit welcher Definition von Antisemitismus wir über diesen nachdenken – und entsprechend handeln – sollen? Was sagen die juristischen Ratgeber der HRK zu dieser Frage? Ich vermute, dass die NRK in diesem Punkt ihre Aufgaben-Kompetenz überschritten hat – und so möchte Sie hiermit sehr herzlich darum bitten, dank Ihres privilegierten Zugangs zu unseren Jura-Kollegen diese um eine öffentliche Klärung dieser Frage zu ersuchen.

 

Diese vermutliche Grenzüberschreitung wäre freilich vielleicht noch hinnehmbar, wenn die zitierte Begründung – „klare Grundlage“ und „wichtiges Werkzeug“ – richtig wäre. Dem ist aber nicht so – wie nicht nur den im Anhang aufgeführten Quellen (siehe dazu insbesondere (2) und (3)) zu entnehmen ist, vielmehr auch ein eigener kritischer Blick auf die besagte „Arbeitsdefinition“ hätte zeigen können. Diese Definition ist nämlich sowohl zu eng als auch zu weit. Also weder „klar“, noch zu einer Bekämpfung von „allen Formen des Antisemitismus“ verwendbar. Würde ein Student eine solche Definition vorlegen, so würde sie an unseren Universitäten in jedem argumentationstheoretischen Grundkurs zurückgewiesen werden müssen. Nun aber möchten, so sagt die Entschließung, alle „Mitgliedshochschulen der Hochschulrektorenkonferenz“ ausgerechnet diese bestenfalls als „mangelhaft“ zu bewertende Definition „an allen Hochschulstandorten etabliert sehen“. EINSPRUCH, Euer Ehren!

 

Mit der für alle deutschen Hochschulen propagierten Sprachregelung verstößt diese HRK-Entschließung zudem gegen ihr eigenes zentrales Selbstverständnis, wonach, wie oben schon zitiert, „die deutschen Hochschulen … Zentren der demokratischen Kultur, Orte des Dialogs und Stätten der Vielfalt“ sind – und das doch wohl auch bleiben sollten. Denn, wie der bisherige öffentliche Einsatz der fraglichen „Arbeitsdefinition“ als Instrument zur Rechtfertigung von Vortrags- und Diskussionsverboten in öffentlichen Räumen zeigt, ist deren Hauptzweck eben gerade nicht die Bekämpfung einer jeden Form von Antisemitismus, sondern primär die Delegitimierung jeglicher etwas grundsätzlicheren (insbesondere also an den Menschenrechten und am Völkerrecht orientierten) Kritik an der Besatzungspolitik Israels. Dass sich der Deutsche Bundestag mehrheitlich für diesen politischen Zweck einspannen ließ, mag vielleicht noch erklärbar sein – etwa mit Verweis auf den üblichen politisch-strategischen Missbrauch der „besonderen historischen Verantwortung“ Deutschlands; dass sich nun aber sogar die HRK – und damit die gesamte Hochschullandschaft Deutschlands! – zu einer derart kurzschlüssigen Instrumentalisierung dieser Verantwortung bereit findet, das hielt ich bis heute für völlig undenkbar. Erklärbar ist das wohl nur als Schockreaktion auf besagten Hallenser Anschlag. Wie recht doch unser Brecht hatte: „Angst macht dumm.“ Genau das ist das Ziel von Terror – wie auch von dem darauf allzu oft folgenden Gegen-Terror. Es wäre fatal, wenn dieser arg schnellen Panikreaktion der letzten HRK-Versammlung nun auch noch das Minimum an Logik zum Opfer fallen würde, das nötig ist, um die begrifflichen Mängel und die damit (evtl. auch erst dank dieser Mängel) erreichbaren eigentlichen Zwecke der fatalen „Arbeitsdefinition Antisemitismus“ zu durchschauen. Wie Sie selbst erst vor kurzem sagten: „Nichts ist so schlimm für öffentliche Diskussionen wie ungenaues Denken“ (Tagesspiegel, 13.11.2019).

 

Lieber Herr Kollege Alt, ich teile die von Ihnen in vielen Ihrer glänzenden Interviews und Positionspapieren vertretene Auffassung von der Universität als einem aktiv zu verteidigenden Ort der Freiheit, einer Freiheit insbesondere, die sich, wie Sie a.a.O. so trefflich sagen, nicht vor den „Karren externer Zwecke spannen“ lassen darf. Und so möchte ich Sie nachdrücklich bitten, diesen Worten auch die entsprechende Tat folgen zu lassen: Wirken Sie mittels Ihrer Richtlinienkompetenz bitte umgehend darauf hin, dass die von der letzten HRK-Mitgliederversammlung beschlossene Sprachregelung für unsere Universitäten an diesen dezidiert nicht zur Norm gemacht wird.

 

 

 

Mit freundlichen Grüßen an die Spree,

 

Ihr GM

Zum Vortrag an der Humboldt-Universität, Berlin, am Mittwoch, 12. Februar 2010.

 

Georg Meggle

Wer ist Antisemit?

 

Diese Titelfrage ist doppeldeutig. Wonach verlangt sie? Nach einer konkreten Liste, auf der im Idealfall alle Antisemiten namentlich aufgeführt sind? Oder, abstrakter, nach Vorlage derjenigen Bedingungen, die jeweils notwendig und zusammengenommen hinreichend sind, um zu Recht auf dieser Liste zu stehen? In diesem Vortrag geht es nur um die letztere Frage – die Definitionsfrage also. Sie ist die grundlegendere.

Diese Definitionsfrage ist überraschend leicht zu beantworten: Ein Antisemit ist, wer sich (evtl. auch verbal) antisemitisch verhält. Ein Verhalten ist antisemitisch genau dann, wenn sich in ihm eine antisemitische Einstellung manifestiert. Und eine Einstellung ist antisemitisch genau dann, wenn ihr zufolge eine Person schon allein deshalb weniger wert sein soll, weil sie Jude/Jüdin ist. Kurz: Antisemitismus ist ein spezieller Fall negativer Diskriminierung.

 

Mein Vortragsziel ist bescheiden. Ich will lediglich (a) etwas näher erklären, was diese allgemeine Definition genauer besagt – insbesondere also, was aus deren drei Ebenen jeweils folgt und was nicht. Dabei fokussiere ich besonders auf die zweite Ebene, auf die eines antisemitischen (physischen oder verbalen) Verhaltens. Und (b) ich versuche möglichst scharf zwischen Definitionsfragen einerseits und Verifikationsfragen andererseits zu unterscheiden. Letztere erweisen sich als erheblich komplizierter als in der derzeitigen Debatte offenbar angenommen wird. Die gleichen Probleme stellen sich übrigens bei der Definition von Sexismus, Rassismus, Nationalismus etc. Und (c) ich erläutere kurz die besonders strittige Differenz zwischen Anti-Semitismus einerseits und Anti-Zionismus andererseits. Folgt ersterer wirklich aus letzterem? Meine Antwort auf diese derzeitig strittigste Frage ist: Das kommt ganz darauf an! Doch worauf? Wer obigem Definitionsvorschlag folgt, kennt schon die Antwort.

 

Und nebenbei: Auch die in den derzeitigen Debatten verwendete und von der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) formulierte sogenannte „Antisemitismus“-Arbeitsdefinition lege ich kurz unter meine begriffs-logische Lupe.

 

 

Georg Meggle ist Analytischer Philosoph. Und so Experte für Begriffserklärungen. Zu den vom ihm erklärten Begriffen gehören: Kommunikatives Handeln, Sprachliche Bedeutung, Terroristische Akte, Abschreckungsstrategien, Humanitäre Interventionen, Sinn des Lebens, Kollektive Identitäten – und nun eben auch: Antisemitismus. Zu letzterem neuerdings: Genau wann bin ich Antisemit?.
Seit seiner Emeritierung an der Universität Leipzig, 2009, unterrichtet er im Winter in Kairo (anfangs an der Al Azhar, jetzt an der American University) und im Sommer an der Universität Salzburg. Seine Website.

https://www.sozphil.uni-leipzig.de/cm/philosophie/mitarbeiter/georg-meggle/

 

Anhänge:

 

  • Die Entschließung der HRK-Mitgliederversammlung vom 19.11.2019

https://www.hrk.de/positionen/gesamtliste-beschluesse/beschluss/detail/kein-platz-fuer-antisemitismus/

 

 

 

 

 

1 Kommentar zu Sprachregelung für unsere Unis? – Einspruch! Von Georg Meggle

  1. Dieser sehr hervorragende Beitrag beweist einmal mehr, das die deutschen Unis keinesfalls, wie eigentlich in einer Demokratie zu erwarten wäre, ein Ort für Diskussionen, sondern lediglich zu einem nach Verständnis von „Grünen“ oder auch „erhobener Zeigefinger- Partei“ ein Ort von Verboten sind. Statt sachlich zu diskutieren, wird verboten und eine, ohnehin sehr dürftige Diskussionsgrundlage, diktiert, was gesagt und was nicht gesagt werden darf. Um im Kontext zu bleiben, aber, um die Sache mal zu verdeutlichen und dazu etwas auszuholen: Keinesfalls bin ich ein Freund der AFD, aber wenn an Universitäten freie und demokratisch gewählte Politiker/innen keine Vorträge mehr halten dürfen, bzw. diese Vorträge von irgendwelchen durchgeknallten Studenten verboten werden sollen, wie zuletzt im Falle eines AFD Politikers, dann stimmt etwas nicht. Sind diese Individuen nicht mehr in der Lage, sachlich zu diskutieren? Können diese Typen nur noch mit der Forderung von Verboten auf sich aufmerksam machen und haben diese tatsächlich keine stichhaltigen Argumente außer das der Forderung nach einem Verbot? Wenn das das intellektuelle Niveau der Studentinnen und Studenten in diesem Lande ist, schäme ich mich, selber mal studiert zu haben. Zu meiner Zeit wurde diskutiert, auch und gerade mit Vertretern von Meinungen, die nicht der Meinung der damaligen Studenten entsprach. Das ist heutzutage wohl nicht mehr möglich.

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