Überforderte Regierung: Mit Trostpflästerchen ist die Sanktionskrise nicht zu lösen Von Dagmar Henn

Überforderte Regierung: Mit Trostpflästerchen ist die Sanktionskrise nicht

zu lösen

Von Dagmar Henn

Überforderte Regierung: Mit Trostpflästerchen ist die Sanktionskrise nicht zu lösen

Von Dagmar Henn Rettungspakete? Das ist so, als würde man einem Ertrinkenden ein Viertel eines Rettungsrings zuwerfen. Oder genau genommen ein Sechstel. Schließlich hat der Winter in Deutschland sechs Monate, und nicht nur einen. Die ganzen Manöver erwecken den Eindruck, man wolle mal eben den wirklichen Unmut noch um einen Monat vertagen.

So langsam merkt auch die Bundesregierung, wie vielfältig die Krisen sein werden, in die Deutschland gerade hineinrauscht. Doch nach wie vor besteht sie auf den Sanktionen und meint, ein Handgeld wäre genug, um die Opfer ihrer Politik ruhigzustellen.
Überforderte Regierung: Mit Trostpflästerchen ist die Sanktionskrise nicht zu lösenQuelle: www.globallookpress.com © via www.imago-images.de

 

Rettungspakete? Das ist so, als würde man einem Ertrinkenden ein Viertel eines Rettungsrings zuwerfen. Oder genau genommen ein Sechstel. Schließlich hat der Winter in Deutschland sechs Monate, und nicht nur einen.

Die ganzen Manöver erwecken den Eindruck, man wolle mal eben den wirklichen Unmut noch um einen Monat vertagen. 50 Euro mehr für das „Bürgergeld“? Das gleicht gerade mal die Inflation bei den Nahrungsmitteln aus; die höheren Stromkosten sind damit nicht abgefangen.

Am Wochenende fiel auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf, dass Haushalte womöglich wegen der Preissteigerungen die Miete nicht mehr zahlen und die Wohnung verlieren könnten. Nicht, dass in Deutschland ein dringender Mangel an Wohnungslosen bestünde. Aber mehr als Geblubber zu „Beratung und Unterstützung“ fiel ihm auch nicht ein. Dabei gäbe es nur zwei Mittel: ein komplettes Moratorium für die Kündigung von Mietverträgen und den Bau von Wohnungen. Womit man wieder bei den Energiekosten und den Folgen für die Betonproduktion wäre, unter anderem.

Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Gerd Landsberg hat gewarnt: „Wir können flächendeckende Stromausfälle nicht ausschließen.“ Dann riet er zu Vorräten für zwei Wochen, Trinkwasser eingeschlossen. Das ist vermutlich bei den 300 Euro Handgeld oder den 50 Euro mehr „Bürgergeld“ ab Januar auch schon mit eingerechnet, oder? Was ist mit all jenen, die es sich nicht leisten können, Vorräte anzulegen, denjenigen beispielsweise, die sich bei den Tafeln versorgen müssen?

Man sollte die Bundesrepublik umbenennen. „Ahrland“ wäre eine Option. Denn es wird ungefähr so weit vorausgedacht wie bei der Flut im vergangenen Sommer: gar nicht.

Aber die wirkliche Zeitbombe ist noch nicht einmal angesprochen worden, und die hat die EU gelegt, mit ihrer irrsinnigen „Liberalisierung“ der Gas- und Strommärkte. Die geht so: Ziel der EU war es, durch eine Abkehr von langfristigen Lieferverträgen eine zusätzliche Spekulationsmöglichkeit zu schaffen. Das erzeugte natürlich schon vor dem Sanktionswahn große Preisausschläge. Weil es diese Preisausschläge gibt, die Energieversorger in die Lage geraten können, zu diesen überhöhten Preisen einkaufen zu müssen, und weil natürlich auch die Energieversorger Kapitalgesellschaften sind, die gerne mal zusätzliches Geld einstecken, haben sie sich darauf eingelassen, Verträge für die Zukunft abzuschließen, die auf dem Markt für Futures gehandelt werden.

Mit einem solchen Vertrag verpflichtet sich ein Versorger, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft eine bestimmte Menge Gas oder Strom zum zuvor festgelegten Preis zu liefern. Zu dem Zeitpunkt, als sie diese Verträge eingegangen sind, dürften sie etwas über dem aktuellen Marktpreis gelegen sein. Inzwischen sind allerdings sowohl beim Gas als auch beim Strom die Preise explodiert, aber alle großen Versorger haben Verträge, mit denen sie sich zu Lieferungen weit unter diesen Preisen verpflichtet haben, und was eine Absicherung gegen Preisbewegungen nach unten sein sollte, erweist sich jetzt als Quelle enormer Verluste. Diese Verträge wurden jüngst vom norwegischen Energieversorger Equinor ASA auf ein Volumen von 1,5 Billionen (richtig, nicht Milliarden, Billionen) Euro geschätzt. Verglichen damit war die Pleite von Lehman Brothers und alles, was danach kam, ein Kindergeburtstag.

Das bedeutet, alle Energieversorger, die sich auf solche Verträge eingelassen haben, sind bankrott. Die Käufer dieser Verträge können ein letztes Mal das einstreichen, was die Versorger als liquide Mittel haben, aber Gas oder Strom können sie nicht erhalten, weil dafür die Voraussetzungen fehlen. Die Verluste, die die Versorger machen, sind allerdings so gigantisch, dass auch die Staatshaushalte nicht mehr dafür haften können. 2008 wurden ja große Teile der Schulden von Banken und Versicherungen schlicht aus Steuergeldern beglichen, und in der Folge die geschaffene Geldmenge massiv erhöht. Diesmal wird dieser Schachzug nichts mehr nützen.

Wenn die Versorger pleitegehen, folgen die Banken.

Die 65 Milliarden Euro, die die Bundesregierung unters Volk streuen will, sind im Vergleich dazu ein Trinkgeld. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass diese erwartbaren Zusammenbrüche der Energieversorger gleichzeitig mit den kleinen und mittleren Zusammenbrüchen geschehen, die sich mittlerweile häufen und auf die gestiegenen Energiepreise zurückzuführen sind.

Inzwischen ist bekannt, dass die Versorgung mit AdBlue, dem für die Abgasreinigung von Dieselfahrzeugen nötigen Zusatz, noch gerade für zwei Wochen reicht. Dann wird es erste ernsthafte Versorgungsausfälle geben, wie auch massive Ausfälle im öffentlichen Nahverkehr, soweit es um Busse geht. Das Problem ist an sich behebbar, weil sich die Nutzung von AdBlue technisch abschalten lässt; aber dafür müsste die Politik erst beschließen, die Zulassungsvoraussetzungen zu ändern, damit Fahrzeuge ohne AdBlue legal betrieben werden können; und dann bräuchten sie noch Werkstatttermine. Alle auf einmal. Also selbst unter günstigsten Voraussetzungen ein Problem für mehrere Wochen, bis überhaupt die gesamte Fahrzeugflotte wieder zur Verfügung steht.

Aber es gibt ja einmal 300 Euro von der Bundesregierung. Und 50 Euro mehr beim ALG II. Und ganz viele hilfreiche Ratschläge zum Kaltduschen. Und die Zusicherung, man habe alles im Griff.

Welche Katastrophe die Energiekosten gerade im Pflegesektor auslösen, in genau den Einrichtungen, die wir letztes Jahr noch alle unbedingt schützen sollten, ist noch nicht einmal Thema. Die Beschäftigten in diesem Bereich reagieren auf eine Art und Weise: Sie kündigen. Die Heime können die Energiekosten nicht begleichen und müssen sie auf die Kosten aufschlagen. Die wiederum landen letztlich überwiegend in den kommunalen Kassen, weil kaum jemand eine Rente oder Pension hat, die überhaupt die Kosten des Pflegeheims abdeckt. Wie war das noch mal mit unseren Alten, die wir unbedingt schützen müssen? Jetzt werden die Heime schließen, und es ist niemand da, sie zu versorgen.

Oder in der Strominfrastruktur. Das ist ein Bereich, in dem (das weiß ich über private Kontakte) in den vergangenen zwei Jahren selbst die Vorschriften zur Arbeitssicherheit nicht mehr eingehalten wurden. Weil das Netz in vielen Teilen des Landes überaltert ist und ständig irgendwelche Probleme sofort behoben werden müssen. Und da soll jetzt ein „intelligentes Strommanagement“ der Firma Habeck & Co. dafür sorgen, dass es zu keinen Blackouts kommt?

Der wirkliche Irrwitz besteht darin, dass in all den Jahren, in denen die nötigen Investitionen problemlos über Kredite hätten finanziert werden können, weil die Zinsen zumindest für bundesdeutsche Anleihen teils sogar negativ waren, nichts investiert wurde, weil man die Schuldenbremse beschlossen hatte. Um jetzt, da es an allen Ecken und Enden raucht und wegen der Inflation die Zinsen wieder erhöht wurden, Kredite aufzunehmen, um Löcher zu stopfen und, Krönung des Wahns, Waffen zu kaufen. Zu einem Zeitpunkt, an dem der Einbruch bei den Staatseinnahmen im Gefolge der Rezession bereits absehbar ist.

Das hätte alles vermieden werden können. Sieben Jahre lang hätte man dafür sorgen können, dass die Minsker Vereinbarungen eingehalten werden. Aber man verhängt lieber Sanktionen. Und alles, was vermeintlich das Problem auf eine handhabbare Größe reduzieren soll, ist wie der Versuch, Wasser in einem Sieb zu tragen.

Dabei wäre es so einfach, und alle sich abzeichnenden Katastrophen, vom Kältewinter über den Einbruch der Logistik und den Crash der Energieversorger und Banken bis hin zur Pleite des Pflegesystems ließen sich geradezu im Handstreich abwenden.

Klar würde das einige Probleme nicht lösen. Der Westen, insbesondere seine politischen und ökonomischen Eliten, muss erst begreifen, dass er nicht mehr der Herr der Welt ist, um dann vielleicht angemessene und zivilisierte Beziehungen zum Rest der Welt aufzubauen. Aber lieber versucht man, die eigene Bevölkerung mit in den Untergang zu reißen. An diesem Zynismus ändern die paar Trostpflästerchen gar nichts.

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