Unsere Werte? – Friedens-Demo Berlin – 03. 10. 24 Uli Gellermann

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Autor:Uli Gellermann
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Sieht man von der obligaten und routinierten Russland-Abmahnung ab, hat Peter Gauweiler eine brillante Rede gehalten, die zugleich Mahnung ist: Unabhängig von politischen Unterschieden, loyal zum Land und uns selbst dem Krieg entgegenzutreten:

„Vielen Dank für die Einladung ins wunderschöne Berlin. Bitte verzeihen Sie mir eine gewisse Verlegenheit: Ich habe noch nie auf einer Kundgebung der Friedensbewegung gesprochen. Das ist das erste Mal. Aber wir sollten jetzt ein bisschen näher zusammenrücken. In Europa brennt es und wir müssen die Europäische Union und die politische Klasse in Deutschland überzeugen, dass man diesen Brand nicht mit Benzin löschen kann.

Gestatten Sie mir, bei dieser Friedenskundgebung am Tag der Deutschen Einheit in aller Kürze über das eigene Land zu reden, weil es ja auch um Krieg und Frieden bei uns geht und was Deutschland dafür tun und auf jeden Fall lassen sollte.

Wir sind seit einiger Zeit dabei, ein Versprechen zu brechen, was man als das Gründungsversprechen der Bundeswehr bezeichnen kann: Streitkräfte nur zur Landesverteidigung aufzustellen. „Wenn die Bundeswehr den ersten Schuss abgibt, hat sie ihren Auftrag verfehlt.“ (so der Ministerpräsident Strauß zur Bundeswehr an seinem 70. Geburtstag).

Noch die Regierung Kohl hatte sich geweigert, auch nur einen Bundeswehrsoldaten, selbst unter den Blauhelmen der Vereinten Nationen, nach Jugoslawien zu schicken, obwohl dort eine fürchterliche Auseinandersetzung zwischen den total verfeindeten ehemaligen Teilrepubliken vorlag.
Seit den 90er Jahren führt Deutschland außerhalb jeder Landesverteidigung die sog. Kriege „für unsere Werte“. Diese begannen am 24. März 1999 mit der Bombardierung der Städte Belgrad, Novi Sad und Podgorica und war im August 2021 mit der chaotischen Evakuierungsaktion und dem Abzug aus Afghanistan noch nicht zu Ende. Die Bundeswehr bewies dabei zwar Tapferkeit im Scheitern. Aber die völlige Nutzlosigkeit der Einsätze stand in einem reziproken Verhältnis zur Opferbilanz. Sie wird bei den Kriegen des Westens für unsere Werte seit 1999 insgesamt mit über 1 Mio. Menschen angegeben.
Jetzt also die Krim und das Gebiet am Unterlauf der Don.

Jeder weiß, dass Russland – das noch im Jahr 2000 eine Anfrage auf Aufnahme in die NATO gestellt hat – im Konflikt mit seinem früheren Teilstaat, der Ukraine niemals zu den Waffen hätte greifen dürfen. Aber die täglichen Schuldzuweisungen, Verurteilungen und Verwünschungen gerade von Deutschland aus lösen den Konflikt nicht. Politik ist Problemlösen. Problemlösen ist etwas anderes als richten. Auch am Tag der Deutschen Einheit sollten wir uns daran erinnern: Niemand hat die Deutschen zu Richtern über die Völker gesetzt.

Richter wissen, dass man auch mit der Wahrheit lügen kann. Das gilt auch für die Europäische Union. Sie war als Fundament für ganz Europa gedacht und nicht als Bodenteiler einer neuen Spaltung und Brüssel weiß am besten, dass es nicht richtig ist, die Schuld an der Vorgeschichte dieses Konflikts nur einer Seite anzulasten, weil dies nicht den Tatsachen entspricht.

Um es kurz zu machen: Ich bin nicht dafür, dass sich Deutschland militärisch immer mehr in den russischen-ukrainischen Krieg hineinziehen lässt. Ich halte es für hellen Wahnsinn, jetzt deutsche Raketen nach Russland schießen zu lassen. Allein dass dies von verantwortlichen Leuten als Option bezeichnet wird, ist ein weiterer Bruch des Gründungs- versprechens der Bundeswehr, von dem gerade die Rede war.

Wenn es wirklich um „unsere Werte“ geht, sollte sich nicht nur Deutschland, sondern auch ganz Europa, das sich immer noch gerne als „das Abendland“ versteht, nicht so einfach über die Worte des Papstes hinwegsetzen wollen. Der oberste Bischof der Christenheit sagt umissverständlich:
„Versucht zu verhandeln, sucht den Frieden!“

Die Veranstalter von heute haben ihrer Einladung den Aufruf vorangestellt: „Die Waffen nieder!“. Das sind die Worte der Bertha von Suttner, einer österreichisch-tschechischen Aristokratin und besten Freundin von Alfred Nobel. Sie starb 10 Tage vor dem Attentat von Sarajewo, das den Weltkrieg einleitete und in Europa die Lichter ausgehen ließ. Deutschland sollte jetzt, in der zwölften Stunde, die Europäische Union dazu bewegen, nicht weiter den Krieg und das Waffenmanagement zu ihrer Sache zu machen, sondern das wechselseitige, vollständige und bedingungslose Niederlegen der Waffen. Danach lasst uns alle streben und das ist die zeithistorische Aufgabe des wiedervereinigten Deutschlands und seiner Politik.

Beides wird nicht durch einzelne Politiker repräsentiert, sondern durch den Bund und die Länder. Darin wird auch ein wichtiger Unterschied zu den Siegfrieden von 1866 und 1871 sichtbar, an die die imposante Säule auf diesem Platz erinnert. Deutschland besteht heute aus einem Bund selbstbestimmter Länder, Länder, mit denen der Bund in allen europäischen Angelegenheiten zusammenwirkt. Das Grundgesetz sagt, dass dies auch ausdrücklich für den Bereich der Außenpolitik gilt, wenn ein Land seine Interessen berührt sieht (Art. 23 V GG).

Die regierenden Bürgermeister von Berlin – Ernst Reuter bis Richard von Weizsäcker – hatten ihre größte Stunde, wenn sie sich mit der Autorität ihres Amtes an die Völker der Welt wandten, damit diese auf ihre Stadtstaaten schauten. Die Bevölkerung braucht gerade in Krisenzeiten den Schutz föderaler Vielseitigkeit und Mitbestimmung, um sich nicht wie ein Korken auf der Welle bei supranationalen Wahnsinnsentscheidungen fühlen zu müssen.

Dem Eskalieren von Meinungsverschiedenheiten zu bewaffneten Konflikten, von bewaffneten Konflikten zu Kriegen und von Kriegen zu Atomkriegen mit allen Sinnen und Kräften entgegenzutreten, ist eine Menschheitsaufgabe. Man kann das – im Gegensatz zum „Wutbürger“ – Verantwortungsbürgertum nennen.
Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, sich heute und hier zu diesem Zweck versammelt haben, ungeachtet aller politischen Unterschiede, ist das ein Ausdruck der Loyalität und Treue zu diesen Zielen und jedermann in Deutschland sollte Ihnen – gerade am Tag der Deutschen Einheit – dafür dankbar sein.

Foto: SIERA

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