Wie Deutschland das islamistische Feindbild produziert Von Andreas Krieg

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Wie Deutschland das islamistische Feindbild produziert

Von Andreas Krieg

5. September 2024

Ein Jahrzehnt des giftigen Diskurses der extremen Rechten hat antimuslimische Narrative effektiv in den Mainstream gebracht

Polizisten stehen vor einer Moschee in Hamburg, Deutschland, am 16. November 2023 (Axel Heimken/AFP)

Deutschland befindet sich an einem historischen Wendepunkt, der neu definieren könnte, wofür es steht und was es der Welt zeigen will. Das Land befindet sich in einer tiefen Identitätskrise und steht vor schwerwiegenden strukturellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen, während die Rechtsextremen bei den Wahlen deutlich an Boden gewinnen.

Die Angst der Deutschen macht sich breit, und wie so oft in der Geschichte der Nation ist schnell ein Feindbild gefunden.

Während in der Weimarer Republik vor einem Jahrhundert Demagogen und Populisten davon lebten, die deutschen Juden „anders“ zu machen, ist dieser „Andere“ heute der Migrant – genauer gesagt, derjenige mit muslimischem Hintergrund.

Ein Jahrzehnt des giftigen Diskurses über Migration und Islam, der von den rechtsextremen Agitatoren der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) vorangetrieben wurde, hat Narrative und Ikonographie normalisiert und zum Mainstream gemacht, die in anderen Demokratien als Hassrede gelten würden.

Ein besonders schockierendes Beispiel war ein offizielles Video, das vom bayerischen Innenministerium unter der Überschrift „Die Salafismus-Falle“ veröffentlicht wurde. Die Animation im Meme-Stil, die inzwischen wieder gelöscht wurde, zeigte einen Mann in muslimischer Kleidung, der mit einer jungen Frau in den sozialen Medien über Make-up spricht.

Das Video nahm dann eine unheimliche Wendung und zoomte an das böse Lachen des Mannes heran, während sein teuflischer Mund die junge Frau zerquetschte, die gezeigt wurde, wie sie vom Tanzen in einem Nachtclub über das Tragen eines Kopftuchs in der Öffentlichkeit zum Tragen eines Niqab und zur Verrichtung von Hausarbeiten überging, wobei sie von ihrem Ehemann im Hintergrund kontrolliert wurde. Man sieht, wie sich ihr Gesicht von glücklich zu traurig verändert.

Diese Ikonographie erinnert an die antisemitischen Karikaturen, die in den 1920er und 1930er Jahren in der Nazi-Zeitschrift Der Stürmer veröffentlicht wurden. Das boshafte Lächeln, der satanische Schluck und das finstere Lachen stigmatisieren den „Anderen“ als böse.

Die junge Muslimin hingegen wird als unschuldig, leichtgläubig und abhängig dargestellt – unfähig, selbst Entscheidungen zu treffen, da sie im Bann des Mannes steht, der sie zur Verschleierung zwingt, wodurch islamfeindliche Stereotypen verstärkt werden.

Islamfeindliche Verschwörungstheorien

Die zugrundeliegende Erzählung stützt sich auf eine alte islamfeindliche Verschwörungstheorie. In einem orientalistischen Aufsatz aus dem Jahr 1913 mit dem Titel „The Menace of Pan-Islamism“ zeichnete Albert Edwards das düstere Bild einer globalen panislamistischen Verschwörung gegen die westlichen Mächte und stellte den politischen Aktivismus im Namen des Islam als grundlegende Bedrohung für das Abendland dar.

Wie in anderen europäischen Ländern hat sich diese pauschale Betrachtungsweise des politischen Islams im deutschen Mainstream durchgesetzt, wo jede Form von islamischem Aktivismus als potenzielle „Einstiegsdroge“ in die Welt des Dschihadismus betrachtet wird.

Das islamistische Feindbild ist ein wunderbar vereinfachtes Narrativ der populistischen Angstmacherei

Ähnlich wie in dem vom bayerischen Innenministerium veröffentlichten Video wird jeder Kontakt mit dem islamischen Diskurs so dargestellt, als würde der Teilnehmer automatisch auf einem Fließband vom gemäßigten Islamismus zum Terrorismus im Stil von Al-Qaida landen.

Die oft widerlegte „Fließbandtheorie“ wurde von israelischen und emiratischen Netzwerken im Bereich der Extremismusbekämpfung in dem Bemühen vorangetrieben, den politischen Islam in all seinen verschiedenen Formen und Ausprägungen zu verbriefen.

Das islamistische Feindbild ist ein wunderbar vereinfachtes Narrativ der populistischen Angstmacherei. Von den rund 5,5 Millionen Muslimen in Deutschland sind schätzungsweise nur etwa 12.000 radikale Salafisten, was 0,2 Prozent entspricht. Doch immer dann, wenn entrechtete und entfremdete Menschen im Namen des Islam ein Gewaltverbrechen begehen – wie vor zwei Wochen in Solingen -, schürt der politische und mediale Mainstream in Deutschland die Islamfeindlichkeit.

Verschiebung des Diskurses

In einer Zeit, in der viele Deutsche fürchten, bisher Selbstverständliches zu verlieren – die eigentliche Definition von German Angst – fällt das „Othering“ von Muslimen auf fruchtbaren Boden. In einer Zeit, in der ihr Land wieder einmal als „kranker Mann Europas“ bezeichnet wird, sehen die Deutschen alte Gewissheiten schwinden.

Das industrielle Zentrum ist im Niedergang begriffen, die kritische Infrastruktur ist marode, der allgemeine Wohlstand und die Kaufkraft befinden sich in einer immerwährenden Spirale, und die politische Führung ist in Unordnung geraten. Gleichzeitig belasten relativ niedrige Geburtenraten und eine alternde Bevölkerung die demografische Zukunft Deutschlands.

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Viele der alten Nachkriegsgewissheiten der wirtschaftlichen und industriellen Stärke ergänzten die traditionellen ethnozentrischen Elemente der deutschen Identität nach 1945. „Made in Germany“ war eine Quelle des Nationalstolzes für ein Land, das die historische Last des Holocausts bewältigen musste.

Jahrzehntelang nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Identität – die immer schwieriger zu definieren war als in Nationen wie England oder Frankreich, wo staatliche und territoriale Grenzen weitgehend mit kulturellen und sprachlichen Grenzen verschmolzen – nicht mehr negativ durch das definiert, was die Deutschen nicht waren, sondern durch das, was sie gut machten.

Heute ist die negative Interpretation jedoch wieder auf dem Vormarsch, und zwar nicht nur in AfD-Kreisen. Die Christlich-Soziale Union in Bayern hält seit Jahren an der Zweideutigkeit fest , ob der Islam zu Deutschland gehört. Die Toleranz gegenüber dem Islam in Deutschland wurde daher weitgehend an die kulturelle Assimilation der Muslime und nicht nur an ihre Integration in die deutsche Gesellschaft geknüpft.

Diejenigen, die sichtbar als Muslime wahrgenommen werden, sind mit Vorurteilen, Hass und Gewalt konfrontiert, nicht nur von den extremistischen politischen Rändern, sondern auch von gemäßigten Teilen der Gesellschaft.

Das Video des Innenministeriums ist nur ein Symptom für eine breitere Verschiebung des deutschen Diskurses darüber, was es bedeutet, Deutscher zu sein, und welche Rolle der Islam in dieser Debatte spielt. Anstatt eine Radikalisierung zu verhindern, werden solche Tendenzen die Entfremdung und Entmündigung unter den Millionen von Muslimen, die Deutschland ihre Heimat nennen, nur noch verstärken.

Vielleicht ohne es zu merken, spielen die islamfeindlichen Populisten des Landes den dschihadistischen Fundamentalisten in die Hände, die die Beschwerden von Muslimen, die sich von der Gesellschaft ausgegrenzt fühlen, ausnutzen können.

Die in diesem Artikel geäußerten Ansichten sind die des Autors und spiegeln nicht notwendigerweise die Redaktionspolitik von Middle East Eye wider.

Dr. Andreas Krieg ist außerordentlicher Professor an der Abteilung für Verteidigungsstudien des King’s College London und Berater für strategische Risiken, der für Regierungs- und Wirtschaftskunden im Nahen Osten tätig ist. Vor kurzem hat er ein Buch mit dem Titel „Soziopolitische Ordnung und Sicherheit in der arabischen Welt“ veröffentlicht.

Übersetzt mit Deepl.com

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