Wiedergutmachung von Moshe Zuckermann

Ich danke Moshe Zuckermann sehr dafür, dass er mir die Genehmigung der Zweitveröffentlichung seines Overton Artikel vom 26. November erteilte. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/wiedergutmachung/

Hall of Names in Yad Vashem. Bild: Ilya Varlamov/CC BY-SA-3.0

Wiedergutmachung

von

Was hat es damit auf sich, dass Juden von Deutschen abstrakt wahrgenommen werden? Und was hat das mit Antisemitismus zu tun?

 

Seit 1945 sind Juden den Deutschen eine Bürde. Weil Deutsche versucht haben, Juden völlig auszurotten, vermögen sie die Juden nur noch abstrakt wahrzunehmen, eben als Opfer des Versuchs, sie auszurotten. Dieses Abstrahieren der Juden ermöglicht es den Deutschen, die Realität der Juden und ihr konkretes historisches Dasein als solche zu ignorieren, um gerade in dieser unterlassenen Rezeption der Juden als reale Menschen etwas wiedergutzumachen.

Das besagt nicht, dass der einzelne Deutsche dem einzelnen Juden nicht menschlich begegnen kann. Aber im Kollektiven findet eine eigentümliche Abstraktion statt: Indem sie die Juden abstrahieren, also mutatis mutandis entkonkretisieren, entindividualisieren und letztlich entmenschlichen, meinen die Deutschen, an den von Deutschen gemordeten Juden etwas sühnen zu können.

Damit gesühnt werden kann, müssen die Juden abstrakt bleiben, denn nur dann kann man auf sie all das projizieren, was die deutsche Wiedergutmachung für ihren Selbsterhalt braucht. Was braucht sie? Sie braucht die Juden als würdige Träger ihres Ansinnens, sich der ihnen gegenüber aufgeladenen Schuld zu entledigen. Sie brauchen gleichsam die Absolution der Juden, mithin deren Einverständnis für das deutsche Selbstverständnis als Wiedergutmacher und Sühner. Daher müssen Juden rein sein, unbefleckt von historischen Realitäten, so abstrakt eben, dass man an ihnen nicht den geringsten Makel oder Frevel ausmachen kann. Juden sollen Unschuldslämmer sein. Das gilt natürlich nicht für deutsche Antisemiten; für die ist der Jude (auch wiederum abstrakt) Objekt des Abscheus.

Aber insofern Juden einst von Deutschen wie Lämmer zur Schlachtbank geführt worden sind, sollen sie im nachhinein weiterhin Lämmer bleiben, aber eben Unschuldslämmer. Für wiedergutmachende Deutsche können sich Juden heute schlichtweg nichts mehr zuschulden kommen lassen. Jede Abweichung von dieser Doktrin ist zwangsläufig antisemitisch. Wer meint, dass Juden Böses gedacht, geplant und getan haben könnten, vergeht sich gegen das Paradigma der Juden als Unschuldslämmer, meuchelt sozusagen die abstrakt Unbescholtenen, die so von der geschichtlichen Realität abgehoben sind, dass sie als Heilige oder zumindest als sündenfreie Erdbewohner anzusehen und zu behandeln sind.

Die realen Juden lassen sich das gern gefallen. Sie wissen, dass sie keine Unschuldslämmer sind (dieser christliche Begriff ist ihnen fremd). Sie wissen, dass sie sich teilweise gegenseitig nicht ausstehen können, zuweilen auch gegenseitig hassen (wie es bei allen menschlichen Kollektiven vorkommt). Sie wissen, dass sie in Israel seit Jahrzehnten Schlimmstes verbrechen. Aber sie denken nicht daran, sich das Prädikat der Unschuldslämmer streitig machen zu lassen. Deshalb haben sie die “moralischste Armee der Welt”, unterhalten “die einzige Demokratie im Nahen Osten” und wähnen sich nur noch von “Antisemiten” in der Welt bedroht.

Niemand darf sich erlauben, darauf hinzuweisen, dass ihr Land zum Apartheidstaat verkommen ist, dass der Rassismus in Israel Urständ feiert, dass Kahane-Anhänger und andere Faschisten (von sonstigen Kriminellen ganz zu schweigen) an wichtige Regierungsposten gelangt sind, die es ihnen in absehbarer Zeit ermöglichen werden, die Verbrechen gegen die Palästinenser legal noch zu steigern, die Gewalt bis zum Ärgsten zu eskalieren und die Besatzungswirklichkeit endgültig zur Hölle werden zu lassen.

Aber in Deutschland darf man derlei nicht sagen, ohne sogleich mit der Antisemitismuskeule traktiert zu werden. Im Nachhinein muss eingestanden werden, dass Martin Walser recht hatte mit diesem Ausdruck (wenn er ihn auch seinerzeit in einem anderen Kontext verwendete). Für sühnende deutsche Gutmenschen müssen Juden unantastbar bleiben, selbst dann, wenn es sich um faschistische, rassistische und sonstwie gewaltverbrecherische Juden handelt, die von einigen in Israel bereits als Judonazis apostrophiert worden sind. Es ist bezeichnend: Gerade weil sie historisch so genozid-verbrecherisch “angetastet” worden sind, müssen sie nunmehr unberührbar bleiben.

Gewisse Deutsche werden sich beleidigt geben, hier unter die Kategorie “Deutsche” subsumiert worden zu sein. Sie hätten durchaus ihre kritische Meinung zu den Geschehnissen im Heiligen Land. Aber was soll man machen? Sie trauen sich nicht, ihre Meinung zu artikulieren, schweigen eingeschüchtert, unterwerfen sich dem Tabu – sie wollen ja nicht als Antisemiten gelten. Aber selbst sie müssen sich dann sagen lassen, dass sie sich in ihrer kollektiven Obödienz an etwas beteiligen, das nicht nur moralisch verkommen ist gegenüber den Palästinensern, sondern sie partizipieren auch an der Beschweigung dessen, was laut verurteilt werden muss, nämlich die vermeintlich wiedergutmachende Abstrahierung der Juden qua Juden, welche selbst einem latenten antisemitischen Impuls entspringen mag. Solange sich dieses Muster perpetuiert, werden die Juden den Deutschen eine Bürde bleiben.

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