Will Israel den Frieden? Von Moshe Zuckermann

Dank an Moshe Zuckermann für die Genehmigung seinen auf Overton veröffentlichten Artikel auf der Hochblauen Seite zu übernehmen. Evelyn Hecht-Galinski

https://overton-magazin.de/top-story/will-israel-den-frieden/

Will Israel den Frieden?

Von

Illegale Plantage im Jordantal. Bild: Garry Walsh/CC BY-2.0

Das israelische Parlament hat letzte Woche einen schwerwiegenden Entschluss gefasst. Was besagt er über Israels Blick in die Zukunft?

 

Am 18. Juli2024 hat das israelische Parlament den prinzipiellen Beschluss gefasst, dass kein palästinensischer Staat errichtet werden dürfe. 68 Knesset-Mitglieder haben dafür gestimmt, 9 (Mitglieder der arabischen Parteien) dagegen. Die Arbeitspartei ist vorsichtshalber der Abstimmung ferngeblieben.

In der Begründung dieses parlamentarischen Vorstoßes der rechts-nationalen Partei Gideon Sa’ars hieß es: “Die Gründung eines palästinensischen Staates im Herzen von Eretz Israel wird eine existenzielle Bedrohung des Staates Israel und seiner Bewohner bilden, den israelisch-palästinensischen Konflikt verewigen und die Stabilität der Region erschüttern.” Ferner sagte Sa’ar: “Der Beschluss soll den umfassenden Widerstand im Volk gegen die Errichtung eines palästinensischen Staates ausdrücken, der die Sicherheit Israels und seine Zukunft gefährden wird; er soll auch der internationalen Gemeinschaft anzeigen, dass der Druck, Israel einen palästinensischen Staat aufzuzwingen, zwecklos bleiben wird.”

In der Verlautbarung seiner Partei hieß es darüber hinaus: “Nach dem 7. Oktober, dem Tag, an dem verfluchte Terroristen unsere BürgerInnen entführt, ermordet und vergewaltigt haben, ist die Anerkennung eines palästinensischen Staates ein Preis für den Terror und die Hamas. In jedem künftigen politischen Szenario, wenn es einen solchen geben sollte, ist unsere Partei verpflichtet, die jüdisch-demokratische Identität des Staates Israel zu wahren und auf seine historischen Rechte und Sicherheitsinteressen zu bestehen. So war es – und so wird es bleiben.”

Man kann sich die offiziellen Reaktionen anderer Parteien und Institutionen ersparen, allen voran die der Peace Now-Bewegung, die sich trotz ihres Namen schon vor vielen Jahren in den Winterschlaf begeben hat, aus dem sie nicht mehr erwacht ist. Erwähnt seien ergänzend vielleicht die Worte des israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich, Vorsitzender der “Partei des Religiösen Zionismus”: “Mit einer riesigen Mehrheit von 68 zu 9 hat die Knesset für einen Beschluss gestimmt, der die Errichtung eines arabischen Terrorstaates in Eretz Israel unabdingbar verneint, nicht jetzt und auch nicht in der Zukunft [soll er gegründet werden], nicht unilateral und nicht im Rahmen eines Abkommens. Der Ernüchterungsprozess der absoluten Mehrheit in der israelischen Gesellschaft ist phantastisch. Es ist jetzt die Zeit der Souveränität!”

Überrascht darf man über dieses Parlamentes-Intermezzo nicht sein. Die Versammlung der institutionalisierten Vertreter der (jüdischen) Vox populi mag in vielerlei Hinsicht von Grund auf zerstritten und hasserfüllt entzweit sein, aber über dieses eine “Thema” – die Palästinenser und den von ihnen angestrebten souveränen Staat – ist man sich so einig, dass es viele Jahre überhaupt kein Thema war: Netanjahu hatte es tatsächlich geschafft, es nicht nur von der politischen Tagesordnung Israels, sondern gleich von der der “Welt” hinwegzufegen. Den Konflikt mit den Palästinensern, so sein Leitspruch, müsse man nicht lösen, sondern lediglich verwalten. Und das Parlament hat mit ihm darin weitgehend übereingestimmt.

Man mochte den Mann noch so sehr wegen seiner Korruption und Verlogenheit, wegen seiner diktatorisch-narzisstischen Allüren, seines Geizes und seiner maßlosen Machtgier hassen. Aber in der Palästinenserfrage erwuchs ihm keine ernstzunehmende Opposition; diese Frage unterliegt dem nationalen israelischen Konsens – kein Staat für die Palästinenser. Den Oslo-Prozess verflucht man im nachhinein. Die Ermordung Yitzhak Rabins, an deren Vorspiel Netanjahu maßgeblich beteiligt war, ist schon fast vergessen.

„Recht auf das Land“

Warum ist dem so? Bei einem Teil der Juden Israels überwiegt das zur gefestigten Ideologie geronnene religiöse Argument. Jene, die von Eretz Israel reden, beziehen sich auf das Gebiet, auf dem ein palästinensischer Staat zu errichten wäre (allem voran das Westjordanland und Ostjerusalem), als ein den Juden von Gott verheißenes Land, Land der Urväter. So steht es in der Bibel. Daraus beziehen sie ihr theologisches “Recht auf das Land”, wenn sie gläubig und zionistisch sind, so bei den messianisch beseelten Bezalel Smotrich und Itamar Ben-Gvir, aber offenbar auch bei den nicht proklamiert Gläubigen, wie etwa bei Gideon Sa’ar.

Die ehemalige Cherut- und spätere Likud-Partei, die der Großisrael-Ideologie das Wort redete und zum politischen Programm erhob, war nicht dezidiert religiös, meinte sich aber dennoch auf die Bibel beziehen zu sollen, und sei es, um die geschichtliche Kontinuität vom biblischen Königreich Israel zum heutigen zionistischen Staat zu konstruieren. Deshalb redet Gideon Sa’ar, ehemaliger Likud-Mitglied und Vertreter der Großisrael-Ideologie, von den “historischen Rechten” der Juden auf das Land.

Erinnert sei indes an dieser Stelle an die Worte des bedeutenden orthodoxen israelischen Philosophen Jeschajahu Leibowitz, dezidierter Gegner der jüdischen Besiedlung des Westjordanlandes, der einst (gefragt nach dem Widerspruch zwischen seiner politischen Position und seiner Gottgläubigkeit) sagte, Gotte habe in der Tat den Juden das Land gegeben; dann habe er sich eines anderen besonnen und hat es den Kreuzrittern übergeben, und wieder neuen Sinnes habe er es an die Türken delegiert, dann an die Engländer, schließlich an die zionistischen Juden, um sich dann wieder eines anderen zu besinnen und zu beschließen, dass das Land zwischen Juden und Palästinensern zu teilen sei. In seiner Religionsphilosophie widersetzte sich Leibowitz vehement der Auffassung, dass die apodiktisch urteilenden irdischen Vertreter Gottes auf Erden überhaupt zu wissen beanspruchen dürfen, was Gottes Wille sei. Das Judentum sei eine Gebotseinhaltungsreligion; Gottes Absichten und Wege sind dem Menschen unerschließbar.

“Sicherheit” wurde ideologisch verdinglicht und fetischisiert

Ein anderer Teil der Juden Israels sieht in der Errichtung eines palästinensischen Staates in der Tat eine Gefährdung der israelischen Sicherheit. Man kann ein solches Bedenken nicht lapidar von der Hand weisen. Der zionistische Staat ist historisch tatsächlich in einer geopolitisch feindlichen Umgebung gegründet worden. Entsprechend durchlief er seit seiner Errichtung zahlreiche Kriege und periodisch aufflammende militärische Gewalteskalationen.

Diese trugen sich freilich nicht im luftleeren und kontextfreien Raum zu. Denn nicht nur ging die Gründung des zionistischen Staates mit der nationalen Katastrophe der Palästinenser einher, sondern seit 1967 hielt/hält Israel palästinensische Gebiete unter militärischer Besatzung.  Sie wurde anfangs noch mit Sicherheitserwägungen gerechtfertigt, ging aber bald genug zur Expansion über, als ein staatlich initiiertes und gefördertes jüdisches Siedlungswerk einsetzte, das mittlerweile, ohne die offizielle Annexion auszurufen, sich als wohlorchestriertes Mittel zur Verhinderung eines eigenständigen palästinensischen Staates erweist. “Sicherheit” wurde nach und nach ideologisch verdinglicht und fetischisiert, verkam mithin zum Ideologem im nationalen Konsens, gepolstert durch ein generelles Gefühl der superioren Überheblichkeit den Palästinensern gegenüber.

Das Paradoxe an diesem beschrittenen Weg ist gleichwohl die Tatsache, dass Israel mit seiner “Sicherheitspolitik” mitnichten Sicherheit gewonnen hat, sondern sich ganz im Gegenteil immer größeren Bedrohungen ausgesetzt sieht. Da kann Gideon Sa’ar noch so vollmundig von der Gründung eines palästinensischen Staates als künftige Erschütterung der “Stabilität der Region” räsonieren. Von welcher Stabilität redet er da? Kommt es ihm nicht in den Sinn, dass gerade die Verunmöglichung der Errichtung eines palästinensischen Staates, mithin die Perpetuierung des brutalen Okkupationsregimes, einen zentralen Faktor bei der Unterwanderung der Stabilität der Region bildet? Und meint er allen Ernstes eine “jüdisch-demokratische Identität des Staates Israel” postulieren zu dürfen, solange die staatlich forcierte Unterdrückung der Palästinenser und die Festigung der Okkupation fortwährt?

“Jüdisch-demokratisch” ist schon ein Oxymoron; das bleibe hier gleichwohl unerörtert. Aber welche Demokratie kann es geben, wenn man die Barbarei einer systematischen Oppression eines anderen Kollektivs zur Ideologie erhebt und jahrzehntelang praktiziert? Welche Voraussetzung für den Frieden kann bestehen, wenn man den für den Frieden unabkömmlichen palästinensischen Staat a priori als “einen arabischen Terrorstaat in Eretz Israel” apostrophiert?

Und es geht dabei nicht nur um die perfiden Schändlichkeiten eines Smotrich, Ben-Gvir, Sa’ar und der allermeisten unter den 68 Knesset-Migliedern, die am 18.7.2024 für den Beschluss gegen einen palästinensischen Staates gestimmt haben. Es geht vielmehr um die bittere Erkenntnis, dass der messianisch schwadronierende Bezalel Smotrich wohl nicht unrecht hat mit seiner Einsicht in den “Ernüchterungsprozess der absoluten Mehrheit in der israelischen Gesellschaft”.

Zu fragen bleibt allerdings, ob es sich wirklich um einen Ernüchterungsprozess handle. Wovon soll sich die israelische Gesellschaft ernüchtert haben? Wann hat Israel den Frieden jemals wirklich gewollt, so gewollt, dass es bereit war, auch den “Preis” für den Frieden – die Aufgabe der Besatzung und die Räumung der okkupierten Gebiete – zu zahlen? Hat Israel jemals den Frieden emphatisch angestrebt? Und jetzt, nach dem 7. Oktober? Will Israel den Frieden – oder will es das praktizieren, worauf es sich in seiner militaristischen Ideologie und gewaltorientierten Politik immer am meisten etwas einbildete, namentlich das, was es seit nunmehr über neun Monate im Gazastreifen demonstriert? Die Antwort auf diese Frage ist am 18. Juli 2024 in der Knesset gegeben worden.

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