Zieht die NATO die Strippen? Die Blockade der Transporte nach Kaliningrad hat militärische Aspekte von Alexander Männer

 

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Der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis (re.) begrüßt den US-amerikanischen Außenminister Anthony Blinken in der Hauptstadt Vilnius, Litauen, 7. März 2022.

Zieht die NATO die Strippen?

Die Blockade der Transporte nach Kaliningrad hat militärische Aspekte

von Alexander Männer

22.Juni 2022

Das EU- und NATO-Mitglied Litauen hat entschieden, den innerrussischen Transit von Waren durch litauisches Hoheitsgebiet zu blockieren. Betroffen davon sind Transporte aus Russland in die Exklave Kaliningrad per Eisenbahn von Produkten, die durch die EU willkürlich auf eine schwarze Liste gesetzt wurden.

Die aus russischer Sicht illegitimen Beschränkungen, die den Zugang zur Ostsee-Exklave Kaliningrad über den Landweg deutlich erschweren, haben die bestehenden Spannungen zwischen Russland und dem Westen weiter verschärft.

Laut der Nachrichtenagentur Al Jazeera teilte das russische Außenministerium mit, dass es das Vorgehen der litauischen Behörden als „offen feindselig“ betrachte. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, die „Blockade des Kaliningrader Gebiets“ sei „beispiellos“ und stelle eine „Verletzung von allem“ dar.

Angesichts dieser Entwicklung und des allseits bekannten geopolitischen Ringens um Kaliningrad deutet einiges darauf hin, dass Litauens nicht in erster Linie im Interesse der EU handelt, sondern dass die Entscheidung vor allem aus dem besonderen Interesse der Nordatlantischen Militärallianz für die russische Baltikum-Region herrührt. Ist es also die US-geführte NATO, die in diesem Zusammenhang ihre eigenen militärpolitischen Absichten verfolgt, für welche die Transitbeschränkungen lediglich ein Mittel zum Zweck sind?

Bahntransit gehört zu völkerrechtlichen Verpflichtungen Litauens

Bei all dem ist der uneingeschränkte Transit zwischen Kaliningrad und dem russischen Kernland über litauisches Gebiet eigentlich ein zentraler Aspekt des völkerrechtlichen Abkommens zwischen Russland und der Europäischen Union aus dem Jahr 2002, das ursprünglich so angelegt war, dass es eben nicht für derartige geopolitische Spielchen missbraucht werden sollte.

Im Rahmen dieses fundamentalen Vertrages wurde Russland der Personen- und Frachttransport von und nach Kaliningrad zugesichert. Litauen hingegen wurde unter anderem quasi als Gegenleistung für seine Verpflichtungen bezüglich des Transits die Mitgliedschaft in der Staatengemeinschaft der „Europäischen Union“ (EU) gewährt.

Umso fragwürdiger ist nun die Haltung dieser EU, die ungeachtet aller getroffenen Vereinbarungen die Handlungen Litauens nicht nur akzeptiert, sondern die prompte russische Entrüstung darüber mit Hinweisen auf die schlichte Umsetzung von EU-Sanktionen beschwichtigen will. Anschuldigungen gegen Litauen seien deshalb „falsch“ und „reine Propaganda“, heißt es aus Brüssel.

Weniger überraschend ist jedoch das Verhalten der Litauens, das bereits lange zuvor des Öfteren signalisiert hatte, die Transitverbindung unter Umständen nicht gewährleisten zu können. Auch im Februar 2020 gab es bereits solch einen Fall, nachdem die EU eine gewaltige Kürzung ihrer Zuschüsse für die ehemalige Sowjetrepublik erwogen hatte und der damalige litauische Außenminister Linas Linkevičius daraufhin den problemlosen Bahntransit für russische Bürger aufgrund der Finanzkürzungen seitens der EU infrage stellte.

„Russland schwächen, wo es nur geht“

Dass die kleine Balten-Republik ihre Entscheidung vor dem Hintergrund der jetzigen kritischen Weltlage angeblich selbstständig getroffen habe und daher von sich aus die Konfrontation mit Russland sucht, ist zu bezweifeln. Vielmehr steht Litauen auch in dieser Frage vermutlich unter der Schirmherrschaft eines viel größeren Akteurs, der diese Handlungen in Wirklichkeit lenkt und dabei für die notwendige Rückendeckung sorgen kann.

Die EU, die wirtschaftlich und außenpolitisch offensichtlich angeschlagen ist, weil ihr die eigene antirussische Sanktionspolitik gerade um die Ohren fliegt, kommt dafür nicht unbedingt infrage. Das Augenmerk fällt auf den anderen großen Akteur in Europa – die NATO. Für die US-geführte und insbesondere in Europa auch US-kommandierte Militärallianz bieten Transitbeschränkungen eine gute Möglichkeit, Russland in Zusammenhang mit dessen militärischer Intervention in der Ukraine einen erheblichen Dämpfer zu verpassen.

Diesbezüglich haben westliche Spitzenpolitiker wiederholt betont, dass das Ziel der Ukraine-Strategie des Westens die Schwächung Russland sei. Im Hinblick darauf passt die gegenwärtige Entwicklung rund um Kaliningrad wunderbar in dieses Konzept, da eine wirtschaftliche Beeinträchtigung Russlands oder gar eine mögliche Konfrontation im Baltikum im Endeffekt dazu führen würden, dass den Russen weniger zusätzliche Kräfte für die Operation in der Ukraine zur Verfügung stünden.

Nicht zu vernachlässigen sind auch die Folgen der Verbote für den Transit auf die Wehrfähigkeit der russischen Streitkräfte im Kaliningrader Gebiet. Russischen Angaben zufolge können nach heutiger Schätzung bis zu 50 Prozent der Warentransporte in die Exklave von den Sanktionen betroffen sein. Dazu gehören praktisch alle Lieferungen von Baustoffen, Rohstoffen und Komponenten auch für die militärische Ausrüstung, die nun auf anderem Wege in die Region geschafft werden müssen.

Kaliningrad gilt als Hauptproblem für NATO

Die Annahme, dass die NATO im Hintergrund die Fäden zieht, kommt vor allem deshalb in Betracht, weil Kaliningrad vom Westen unlängst als ein strategisch wichtiges Gebiet eingestuft wurde und man in diesem Sinne stets versucht hat, diesbezüglich Druck auf Russland auszuüben. So wurde nahe Kaliningrad beispielsweise das NATO-Großmanöver „Defender Europe 2020“ abgehalten, bei dem faktisch der Angriff auf die Exklave trainiert worden sein soll. Darüber hinaus sind die polnischen Truppen nahe dieser Region aufgerüstet worden.

Auch wurde immer wieder eine Demilitarisierung von Kaliningrad gefordert, was aus NATO-Sicht durchaus verständlich ist, da dieses Gebiet zweifellos als ein Schlüsselaspekt für die Wehrfähigkeit Russlands gelten kann. Dass Kaliningrad eine hohe Konzentration von hochmodernen Waffensystemen aufweist, ist aus Sicht der russischen Führung wegen der defensiven Ausgangslage ihrer Truppen dort zweifellos sinnvoll. Es gehe dort um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage der nationalen Sicherheit, sagt man im Kreml.

Trotzdem ist Russland aufgrund der räumlichen Abtrennung Kaliningrads vom Rest des russischen Territoriums in seinen Handlungsmöglichkeiten extrem eingeschränkt – und deshalb sehr anfällig. Denn abgesehen davon, dass die russische Exklave inzwischen schon seit über 30 Jahren  vom Kernland aus auf dem Landweg nur per Bahntransit über Litauen erreicht werden kann, grenzt das Gebiet seit der NATO-Osterweiterung obendrein ausschließlich an Mitglieder dieses westlichen Bündnisses und ist deswegen unmittelbar mit enorm gewachsenen sicherheitspolitischen Herausforderungen konfrontiert.

Insofern unternimmt Moskau alles erdenklich Mögliche, um ein militärisches Kräftegleichgewicht mit der NATO in diesem Teil Europas zu gewährleisten. Daran ändert sich wohl auch in Zukunft nichts, und zwar unabhängig davon, wie Litauen den Frachtverkehr weiterhin handhaben wird.

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