Ein Antizionist in Zion – Ein Interview mit Steve Amsel von Desert Peace

Steve Amsel with his adopted Palestinian grandson

Ich bin sehr froh darüber, dass mein Freund Steve Amsel bereit war, mir ein Interview zu geben, das neben dem politischen auch sein privates Leben im „Jüdischen Staat“ beschreibt.

Übersetzt von Maren Deninger – vielen Dank!


Steve Amsel ist ein gläubiger US-jüdischer Kanadier, der heute in Ost-Jerusalem, also sozusagen im Auge des Taifuns lebt. Er wurde 1944 in Brooklyn, New York, geboren. Seine Eltern waren osteuropäische Einwanderer und gehörten zur Arbeiterklasse. Bereits in der Oberschule gehörte er der Liga für Menschenrechte an. Steve heiratete und zog nach Canada um, wo er sich weiterhin für die Menschenrechte einsetzte, ein Kampf, den er bis heute, wo er in Jerusalem lebt, ausficht. Desertpeace ist sein Blog, der mich seit Jahren so beeindruckte, dass ich unbedingt in Kontakt mit ihm treten wollte. Inzwischen ist dieser Kontakt zu ein starken Verlinkung und einem fruchtbaren Gedankenaustausch geworden. Steve Amsel ist eine so vielfältige und interessante Persönlichkeit, dass es mir wichtig war, ihn in einem Interview ausführlicher vorzustellen, und er stimmte freundlicher Weise zu.

Steve, ich war ganz überrascht darüber, dass du in Ost-Jerusalem, also in dem von Israel besetzten Teil lebst. Wie kann man als Anti-Zionist und Friedensaktivist im illegal besetzten Teil Jerusalems leben?

Steve Amsel: Ich lebe in einer wunderbaren gemischten Gemeinschaft, bekannt unter dem Namen French Hill, in Nord-Jerusalem. Ich kann als wahrhaftes Beispiel für das gesamte Israel gelten. Hier leben sowohl religiöse als auch weltliche Juden, außerdem Hunderte palästinensischer Familien. In den 30 Jahren, die ich hier lebe, hat es noch niemals ernsthafte Probleme gegeben. Ich habe in mehr als einem Fall Palästinensern geholfen, Wohnungen zu mieten oder zu kaufen. Wenn es Schwierigkeiten gab, habe ich selbst die Mietverträge unterschrieben und die volle Verantwortung für den Besitzer übernommen. Auch hierbei dauerte ein Problem nie lange. Daher halte ich mein Leben an diesem Ort für gerechtfertigt, solange ich als Puffer dienen kann, wann immer der Rassismus sein hässliches Haupt erhebt.

Steve, wie bist du als Kanadier überhaupt nach Israel gekommen und dort geblieben?

Steve Amsel: Ich kam ursprünglich hierher, um Verwandte zu besuchen. Meine Reise war nur als kurzer Besuch gedacht. Aber nach einigen Tagen wurde mir klar, dass ich viel wirkungsvoller in den Kampf um palästinensische Rechte und allgemein um Frieden eingreifen könnte, wenn ich vor Ort lebte. Um vieles mehr, als wenn ich im Ausland vor einer israelischen Botschaft demonstrieren würde – daher blieb ich. 33 Jahre später weiß ich, dass meine Entscheidung absolut richtig war.

Kannst du mir etwas über deine persönliche Biografie, etwas über dein tägliches Leben erzählen? Ich weiß bereits, dass dein Sohn in Canada lebt, dass du eine palästinensische Familie adoptiert hast und dass eine sehr freiheitsliebende Katze das Regiment über deinen Haushalt führt? Ich bin sicher, dass meine Leser nicht nur an dem politischen, sondern auch an dem privaten Steve Amsel interessiert sind.

Steve Amsel: Vor über 20 Jahren traf ich einen jungen palästinensischen Jura-Studenten, der an einer Universität in der Nähe meiner Wohnung studierte. Er suchte ein Zimmer nahe der Universität und auch nah seiner zukünftigen Anwaltskanzlei, und ich lud ihn ein, bei mir zu wohnen. Es wurden mehr als zehn Jahre daraus, in denen sich eine wunderbare familiäre Beziehung entwickelte. Er heiratete und ist heute Vater von drei Kindern, alle leben nur ein paar Schritte entfernt von meiner Wohnung. Die Kinder nennen mich  „Sido“, arabisch „Großvater“. In seinem Heimatdorf im Norden Palästinas bin ich als Abu Azmi (Vater von Azmi) bekannt, worauf ich wirklich stolz bin. Unsere beiden Familien erleben durch ihre Beziehung buchstäblich das Beste beider Welten.

Was meinst du dazu, dass die USA und EU bis jetzt bedingungslos hinter dem „Jüdischen Staat“ stehen, obwohl dieser Völker- und Menschenrechtsverbrechen der schlimmsten Art am palastinänsischem Volk begeht?

Steve Amsel: Alles, was ich dazu sagen kann, ist: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“.

Kannst du dir denken, warum Europas rechte Parteien wie LE PEN, AfD (Petry), FPÖ, Vlaamse Block Israel unterstützen und so gut mit den jüdischen Faschisten harmonieren?

Steve Amsel: Dieselbe Antwort wie oben: Faschisten kleben zusammen wie Sch…!

Wie stehst du zu den israelischen Menschenrechtsorganisationen von BTselem bis „Breaking the Silence“, die unter massivem Druck des Netanjahu-Regimes stehen und sogar bis ins Ausland verfolgt werden?

Steve Amsel: Beide von dir genannten Organisationen machen einen fantastischen Job, indem sie die Verbrechen des zionistischen Regimes offenlegen. Sie werden verfolgt, weil sie beide die Wahrheit sagen, und wie wir alle wissen, ist die Wahrheit der größte Feind des Zionismus.

Wie viele jüdische Bürger Israels stehen überhaupt noch für Frieden und demokratisches Zusammenleben im „Jüdischen Staat“?

Steve Amsel: Ich weiß keine Zahlen, aber von den Juden, die hier leben, haben viele ein Gewissen. Leider gibt es keine Schirm-Organisation für die vielen verschiedenen Gruppen, die einen Kampf um Gerechtigkeit und Frieden führen. Ich habe aber die Hoffnung, dass sich dies bald ändern wird und die Stimmen der Linken laut und deutlich zu hören sein werden.

Wie mir scheint, gibt es ja überhaupt keine wirkliche Opposition mehr in Israel – oder wie siehst du das?

Steve Amsel: Es gibt Opposition, aber leider ist sie zur Zeit still. Meine vorige Antwort sagt, warum sie schweigt.

Wie siehst du die Zukunft? Wird die „Endlösung“ der Judaisierung und ethnischen Säuberung Palästinas dazu führen, dass es einen Transfer nach Jordanien oder Asyl in Deutschland geben wird?

Steve Amsel: Ich sehe die Zukunft hell. Die westliche Welt wird endlich erwachen und die Schrecken der Besetzung anerkennen, und Israel wird viel von der heutigen Unterstützung durch den Westen verlieren.

Was sagst du dazu, dass in Deutschland immer zwischen „illegalen Außenposten“ und „jüdischen Siedlungen“
unterschieden wird, obwohl doch alle Siedlungen auf geraubtem palästinensischem Land illegal sind?

Steve Amsel: „Illegale Außenposten“ und jüdische Siedlungen bedeuten beide dasselbe. Beide beruhen auf dem Diebstahl  palästinensischen Landes, und beide sind illegal gemäß den zahllosen Resolutionen der UNO.

Was meinst du zu der Chuzpe-Forderung nach Anerkennung Israels als jüdischem Staat? Ein unannehmbares Verlangen, einmalig in der Welt. Zumal dieses Ansinnen auch an die Beraubten und Besetzten gestellt wird.

Steve Amsel: Noch einmal: Wenn der Westen die Wahrheit realisiert, wird die Besetzung gewaltsam beendet werden, ebenso wie die Apartheid in Südafrika beendet wurde.

Gerade in Deutschland, wo eine „christlich-zionistische“ Kanzlerin eine Große Koalition anführt, soll es auch für Flüchtlinge zum „Pflichtprogramm“ gehören, das Existenzrecht eines „jüdischen Staates“ anzuerkennen, eines Staates ohne festen Grenzen, der sich täglich auf Kosten der Palästinenser weiter ausbreitet. Was sagst du dazu?

Steve Amsel: Wieder dieselbe Antwort wie auf die vorige Frage.

Zur Zeit, versuchen die Israel-Lobby und jüdische Organisationen gezielt, die Meinungsfreiheit und Freiheit der Lehre an Universitäten und öffentlichen Veranstaltungen einzuschränken. Inzwischen ist es schon wieder so weit, dass Banken die Konten von Juden und BDS-Aktivisten kündigen. Es wird schon wieder zwischen „guten“ und „schlechten“ Juden unterschieden. In Deutschland kann man heute das Phänomen beobachten, dass Juden von Juden zu Antisemiten gemacht werden. Hättest du das für möglich gehalten?

Steve Amsel: Der Zionismus ist heute für den meisten Antisemitismus in der Welt verantwortlich. Viele Menschen unterscheiden nicht zwischen Judaismus und Zionismus … ABER ES GIBT EINEN UNTERSCHIED!

Steve was denkst Du über die BDS Bewegung? Bist Du ein genauso großer Unterstützer davon, wie ich es bin?

Steve Amsel:Aber natürlich unterstütze ich die BDS Bewegung. Es war die gleiche Art der Bewegung, die das Instrument zur Beendigung der Apartheid in Südafrika führte. Ebenso war es in Chile, in den 70ern,  um das Land vom Faschismus zu befreien. In Israel gibt eine BDS Bewegung, im Innern, die ich mit Begeisterung unterstütze

Was wird sich durch den „Trumpismus“ für den „jüdischen Staat“ verändern? Die Euphorie und der Bauboom scheinen ja immens zu sein. Wie wird es deiner Meinung nach weiter gehen?

Steve Amsel: Bis jetzt ist Trump Israels größter Verbündeter. Dies wird sich hoffentlich nach Netanjahus Besuch in Washington später in dieser Woche ändern. Die Anmaßung der Macht gegen die Anmaßung der Dummheit könnte wirklich einen Wandel in den Beziehungen bewirken.

Wie siehst du als ehemaliger US-Bürger und Kanadier die heutige Situation, Unterstützung oder Ablehnung jüdischer Bürger in den USA?

Steve Amsel: Eine wachsende Zahl jüdischer Bürger im Ausland ist beschämt und nicht einverstanden mit der heutigen Israel-Politik. Sie verstehen die meisten antisemitischen Vorfälle und Angriffe als Reaktion auf die verabscheuenswürdige Politik Israels.

Ich halte eine Zwei-Staaten-Lösung ja für eine Fata Morgana – wie könnte deiner Meinung nach ein freies Palästina aussehen?

Steve Amsel: Es gibt gegenwärtig zu viel Hass in Israel, als dass eine Ein-Staaten-Lösung realisiert werden könnte. Es würde einfach nicht funktionieren. Die einzige Möglichkeit scheint mir eine Zwei-Staaten-Lösung zu sein: Beide Staaten in Frieden nebeneinander und beide von der Weltgemeinschaft als wahrhaft unabhängige Staaten anerkannt.

Da wir beide Anti-Zionisten sind, möchte ich dich an unser gemeinsames Ziel erinnern, uns in einem freien Palästina zu treffen, wie du mir einmal versprachst. Welche Vorschläge hast du für unseren gemeinsamen Kampf?

Steve Amsel: Wir müssen mit all unserer Kraft daran weiterarbeiten, die Wahrheit offenzulegen. Nur dadurch werden Meinungen verändert, und Palästina wird endlich frei und unabhängig sein. Und JA… wir WERDEN uns in einem FREIEN Palästina treffen! Das verspreche ich!!

Lieber Steve, ich danke dir sehr herzlich für dieses Interview.

 

3 Kommentare zu Ein Antizionist in Zion – Ein Interview mit Steve Amsel von Desert Peace

  1. Grossen Dank für das Interview. In der Süddeutschen Zeitung wurde gerade wieder von einem Journalisten
    Israelkritik gleichgesetzt mit Antisemitismus und Israelfeindlichkeit, beides auf die gleiche Gruppe von Demonstrierenden gegen die Sicherheitskonferenz bezogen.
    München bleibt eben die „Hauptstadt der Bewegung“, diesmal nur angeführt von Charlotte Knobloch.

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