Ein Verbrechen ohne Namen Ein Verbrechen ohne Namen Beck Verlag

Rezension

Von Evelyn Hecht-Galinski

 

Ein Verbrechen ohne Namen

 

Saul Friedländer

Norbert Frei

Sybille Steinbacher

Dan Diener

 

Anmerkungen zum neuen Streit über den Holocaust

 

Den Titel dieses Buchs „Ein Verbrechen ohne Namen“ gab Churchills Zitat.

Ich war sehr gespannt darauf wie die fünf AutorInnen den „Historikerstreit2.0“ wohl kommentieren würden. Hier haben sich alles Kritiker von Dirk A. Moses versammelt.  Alle halten die Vergleichbarkeit der Debatten von Holocaust und Genozid für abwegig.

Tatsächlich erfüllten sich meine Befürchtungen.

Ich hätte es als positiv empfunden, wenn zusätzlich eine andere Sicht der Dinge Platz bekommen hätte, dass hätte mir das Buch noch authentischer gemacht.

In großer Einigkeit versuchten alle Vier plus, einschließlich eines kurzen Texts von Jürgen Habermas, „statt eines Vorworts“ zu Beginn, mehr oder weniger die Thesen von Dirk A. Moses zu widerlegen.

Als ich im Mai den Artikel von Moses „Der Katechismus der Deutschen“ gelesen hatte, nachdem ich mir sein englisches original Buch (leider noch nicht in Deutsch erhältlich) „The Problems of Genocide“ gekauft hatte, bin ich ein Fan von Moses und seinen wichtigen Thesen.

So wie der Holocaust und der Kolonialismus untrennbar zu sehen ist, so ist es an der Zeit über die kolonialen Verbrechen zu sprechen, ohne den Holocaust zu relativieren.

Ja, ich unterstütze Moses und seinen Gedanken „Den Katechismus der Deutschen“ aufzugeben und die Erinnerung an den Holocaust mit anderen modernen Genoziden zu vergleichen.

Warum ist das ein Verbrechen die aktuell zelebrierte  „Erinnerungskultur“ zu hinterfragen und Veränderungen zu fordern?

Für mich gibt es auch keine „Erlösung“ durch Erinnerung, was heißt Erlösung, wovon? Von Schuld, von eigener Schuld? Als Richard von Weizsäcker seine Rede zum 8. Mai Rede 1985 zum „Tag der Befreiung“ hielt und so argumentierte, mag das für ihn gegolten haben, aus eigenen Erfahrungen heraus. Man kann Schuld nur durch Anerkennung von Schuld und Sühne sprich „Wiedergutmachung“ erreichen. Genau aber das geschah und geschieht nicht.

Kritisch möchte ich noch anmerken, das fehlt mir in der Thematisierung dieses kleinen Buchs, die Bezüge zur aktuellen Lage in Palästina.

Jetzt werden sich viele Leser fragen, wieso, was hat die Nakba oder der Genozid in Gaza mit dem Holocaust zu tun? Tatsächlich sind beide Ereignisse mit der deutschen Geschichte tief verbunden und harren einer gemeinsamen Betrachtung. Allerdings hat sich meiner Kenntnis nach  bisher kein deutscher Historiker soweit geäußert um diesen wichtigen Gedanken  nachzugehen.. Das wird, wie es scheint lieber internationalen Kollegen überlassen, die dann dafür kritisiert werden können.

Schließlich gehört auch das zum Katechismus der Deutschen, endlich einseitig auf der „richtigen Seite“ der Nachkriegsgeschichte zu stehen und diese hat keinen Platz für das besetzte Palästina.

Alles was die offizielle Erinnerungskultur stört, wird verdammt. Nichts liegt mir ferner, als etwa rechtsextreme Strömungen des Schlussstrichs ziehen zu unterstützen. Ganz im Gegenteil, ich verachte die AfD, die falschen Claqueure, die vermeintlich Juden und den „Jüdischen Staat“ unterstützen, aber in Wahrheit Antisemitismus Vorschub leisten.

Der wahre Antisemitismus ist inzwischen auch derjenige, der jüdische Kritiker zu Antisemiten stempelt. Ja, deutsche und auch israelische Lobbyisten instrumentalisieren den Holocaust, um andere historische Verbrechen auszublenden.

Dirk Moses ist zuzustimmen, es ist Zeit für ein inklusives (Ge) Denken. Es ist an der Zeit diesen Katechismus zu verabschieden und die Forderungen nach historischer Gerechtigkeit auf eine neue Weise neu zu verhandeln, die alle Opfer des deutschen Staats und alle Deutschen inklusive Juden und Jüdinnen und Muslime und Muslimas, EinwanderInnen und ihre Nachfahren- respektiert.

 

 

 

 

 

 

 

Friedländer, Saul / Frei, Norbert / Steinbacher, Sybille / Diner, Dan

Ein Verbrechen ohne Namen

Anmerkung zum neuen Streit über den Holocaust

Ist es ein neuer Historikerstreit? Die Erinnerung an den Holocaust in Deutschland steht plötzlich in der Kritik. Was eben noch als eine politische und gesellschaftliche Errungenschaft galt, verstehen manche nun als einen «Katechismus», der den Deutschen aufgezwungen sei und über dessen Einhaltung «Hohepriester» wachten. Seine wahre Funktion sei es, andere historische Verbrechen auszublenden und dem Mord an den Juden eine übertriebene Rolle im kollektiven Gedächtnis der Deutschen einzuräumen. Dieser Band tritt solchen Thesen entgegen.

Saul Friedländer, Norbert Frei, Sybille Steinbacher und Dan Diner zeigen aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven, warum das Argument der Präzedenzlosigkeit des Holocaust historisch gut begründet ist. Zugleich machen sie deutlich, dass die Erinnerung insbesondere an die Kolonialverbrechen einen größeren Platz erhalten sollte, ohne deshalb die kritische Auseinandersetzung mit dem Holocaust beiseitezuschieben.
Mit einem kurzen Text «Statt eines Vorworts» eröffnet Jürgen Habermas den Band.    weniger

Von Saul Friedländer. Norbert Frei. Sybille Steinbacher. Dan Diner und Jürgen Habermas.

 

978-3-406-78449-1

Erschienen am 26. Januar 2022

Rund 94 S.

Klappenbroschur

Bibliografische Reihen

C.H.Beck Paperback

Schlagwörter

Broschur 12,00 €

Dan Diner
Über kognitives Entsetzen

 

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