Gegen alle Widerstände Von Evelyn Hecht-Galinski

Kommentar vom Hochblauen

 

Gegen alle Widerstände

Von Evelyn Hecht-Galinski

 

13 Jahre ist es her, dass sich 2005 mehr als 100 palästinensische zivilgesellschaftliche Gruppen sich zusammengeschlossen und die BDS-Bewegung gegründet haben. Inspiriert vom Kampf der Südafrikaner*innen gegen die Apartheid ruft die palästinensische Zivilgesellschaft zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel auf, bis dieses Besatzer-Regime internationalem Recht und den universellen Prinzipien der Menschenrechte nachkommt. (1) Je erfolgreicher diese Bewegung in ihrem Kampf wird, desto mehr wird sie bekämpft. Israel hat schwarze Listen verfasst, die BDS-Unterstützer, Nichtregierungsorganisationen und alle Menschen, die sich für diese Kampagne einsetzen, aussperren, also entweder die Einreise verweigert oder nach Ankunft deportiert.

 

BDS: für die Anerkennung der Grundrechte palästinensischer Bürger

 

Diese Kampagne tritt auch für die Anerkennung der Grundrechte palästinensischer Bürger innerhalb des „Jüdischen Staates“ ein, sowie für die Palästinenserinnen, die unter unvorstellbaren Bedingungen in den illegal besetzten Gebieten Palästinas, vom Westjordanland bis nach Gaza, leben. Bis heute verweigert der „Jüdische Staat“ den Palästinensern das legale Rückkehrrecht, das durch die UN-Resolution 194 festgeschrieben wurde.

 

Momentan erleben wir in Gaza den Versuch einer verzweifelten eingeschlossenen Bevölkerung, durch den symbolischen Akt des „Marsches der Rückkehr“ diesem Konzentrationslager zu entfliehen. Mit brennenden Drachen wehrt man sich gegen die mörderische Maschinerie der „moralischsten“ Armee und ihre Scharfschützen, die zielsicher treffen und mitleidlos auch Frauen und Kinder unter Beschuss nehmen. Mehr als 135 Tote und tausende Verletzte sind die schreckliche Bilanz. Darunter gezielt im Visier Journalisten, Sanitäterinnen und Fußballer, denen man brutal in die Beine schoss.

 

Berührend die Bilder der „amputierten“ palästinensischen Fußballmannschaft, die ein Zeichen setzte gegen die derzeit stattfindende Fußballweltmeisterschaft in Moskau. Ein menschliches Zeichen wäre es allerdings gewesen, wenn die Fifa sich dazu durchgerungen hätte, diese „Mannschaft“ nach Moskau einzuladen und auf die Ehrentribüne zu setzen. Schließlich hat sich die Fifa bis heute geweigert, Israel aus dem Verband zu werfen, um so ein Signal gegen die ständigen Menschenrechtsverletzungen der illegalen Besatzer Palästinas zu setzen.

 

Warum setzen sich nur wenige deutsche Künstler und Intellektuelle für BDS ein?

 

Ich frage mich: warum ist die BDS-Bewegung weltweit, vor allem in den USA, Großbritannien und Südafrika so viel erfolgreicher als hierzulande? Während sich in diesen Ländern nicht nur berühmte Künstler wie die Ikone der BDS-Bewegung, Roger Waters, Shakira, die Gruppe Young Fathers, jüdische Intellektuelle von Noam Chomsky bis Judith Butler, die schwarze Bürgerrechtlerin Angela Davis, sowie der südafrikanische Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu aktiv für die BDS-Kampagne einsetzen, schweigen deutsche Künstler und Intellektuelle, wenn es um Palästina geht.

 

Der britische Guardian veröffentlichte einen Brief von insgesamt 79 Unterzeichnern, darunter die oben genannten Personen, die die Ausladung der Gruppe Young Fathers von der Ruhrtriennale als Akt der Zensur kritisieren und sich tief besorgt zeigten von Versuchen in Deutschland, Künstlern politische Auflagen zu machen, wenn sie sich für Menschenrechte in Palästina einsetzen.

 

Warum wird dieser Brief nicht in einer deutschen Zeitung veröffentlicht? Stattdessen erleben wir mediale Diffamierungskampagnen gegen BDS-Unterstützer und Organisationen. Warum gibt es bei uns keine Intellektuellen und Künstler, die sich für BDS und die Menschenrechte einsetzen?

 

Wie kann es sein, dass wir heute erleben müssen, dass jüdische Intellektuelle wieder daran gehindert werden, zu sprechen und ihre Meinung zu vertreten? Boykott, wenn er vom „Jüdischen Staat“ oder von Israel-Lobbyisten ausgeht, wird tatkräftig unterstützt, während die BDS-Bewegung als gewaltloser Widerstand gegen ein nachweislich völkerrechtswidriges jüdisches Besatzer-Regime wird kriminalisiert. Die Meinungsfreiheit in Deutschland als höchstes Gut sollte sowohl für „kritische Juden“ als auch für Israel-kritische BDS-Unterstützer gelten.

 

Nach der Verleumdungskampagne gegen Günter Grass gibt es ganz offensichtlich nur „Israel-liebende“, an den Mainstream angepasste, vorsichtige Künstler und Intellektuelle, die nur eines im Sinn haben: bloß nicht als antisemitisch gelten, um keine Engagements oder Anstellungen zu verlieren. (2)

 

Pro-israelische Gehirnwäsche

 

In der Tat hat sich die deutsche „satte Mittelstandgesellschaft“ zu einer anti-muslimischen und anti-palästinensischen Gesellschaft hin entwickelt, angefacht durch Medien quer durch die Republik, die eine pro-israelische Gehirnwäsche bei ihren Lesern, Hörern oder Zusehern erzeugen und die diesem Trend auf dem Weg in eine angepasste und populistische Gesellschaft folgen. Natürlich wird dieser gefährliche Vorgang gefördert durch die Politik, die sich überbietet in einem Wettlauf der Stimmungsmache gegen Muslime/Palästinenser, die mit Terror gleichgesetzt werden – und auf der anderen Seite der „Jüdische Staat“ als Bollwerk der „jüdisch-christlichen“ Werte. Angeführt in Deutschland von einer „christlich-zionistischen“ Kanzlerin und einem Gro/Ko-Kabinett, das genau in diesem Stil arbeitet.

 

Was wir momentan mit Seehofer und Merkel als Metapher für diese Politik sehen, ist beispiellos. Uns wird ein Schmierentheater der primitivsten Art vorgeführt, denn eigentlich sind Seehofer und Merkel doch auf einer Linie. Beide wollen Flüchtlinge loswerden, jeder auf seine Art, beide unterstützen den „Jüdischen Staat“ und beide sind alt aussehende, verbrauchte Personen von gestern.

 

Gerade das Netanjahu-Regime zeigt mit seinem Umgang mit Flüchtlingen und Asylbewerbern, dass es nichts von humanistischen Werten, geschweige denn von Demokratie, hält. Der „Jüdische Staat“ ist und bleibt ein Apartheidstaat, umgeben von einer Apartheidmauer. Dazu kommt noch, dass Netanjahu, ebenso wie Freund Trump, alles daran setzt, einen Keil zwischen die Europäer zu treiben. Er verbündete sich mit den rechtspopulistischen Vesegrad-Staaten, empfängt Orban, unterzeichnet zweifelhafte Erklärungen mit Polen, die stellenweise historischem Wissen widerspricht und von israelischen Historikern kritisiert wurde.

 

Per Finanzspritze noch mehr Israel-Propaganda

 

Besonders schlimm empfand ich es auch, als unser „Heimatminister“ dem Zentralrat der Juden die Gelder um 3 Millionen nun auf 13 Millionen erhöhte, damit dieser Zentralrat seine “Aufgaben“ noch besser erfüllen könnte. Damit will die Bundesregierung auf den angeblich „wachsenden“ Antisemitismus reagieren, obwohl Untersuchungen eine Abnahme feststellten. Befürchten muss man ganz gewiss, dass mit der Finanzspritze noch mehr „Israel-Propaganda“ an Deutschlands Schulen und Öffentlichkeit gefördert wird. Das aber würde tatsächlich „Anti-Israelismus“ fördern, und das zu Recht, solange Israel diese menschenverachtende Besatzungspolitik betreibt. Muss nicht endlich hinterfragt werden, ob für diese mehr als zweifelhaften Aktivitäten einer “Körperschaft des Öffentlichen Rechts“ zur tatkräftigen Unterstützung eines das Völkerrecht verletzenden Staats wirklich Steuergelder das geeignete Mittel sind? Während muslimische Verbände wie Ditib dafür gerügt werden, dass sie als “langer Arm“ von Erdogan fungieren, wird der Zentralrat der Juden als „langer Arm“ von Netanjahu in Deutschland noch mächtig belohnt.

 

Täglich erleben wir neue Schandtaten des „jüdischen Besatzer-Regimes“, Netanjahu versucht verzweifelt, trotz Korruptionsvorwürfen seine Macht zu sichern. Auf wessen Rücken? Natürlich auf dem der Palästinenser. Ohne Konsequenzen werden Besatzung, Landraub und Massaker von der Staatengemeinschaft ebenso hingenommen wie die Angriffe gegen Syrien, Libanon und ein möglicher Krieg gegen Iran. Die brutalen Morde an unschuldigen Palästinensern, neue Gesetze, die alles andere als demokratisch sind und nur ein Ziel haben, die Endlösung der Judaisierung, inklusive ganz Jerusalem zu sichern, bleiben so gut wie unkommentiert.

 

Schrecklich sind die Bilder, die uns aktuell von dem Dorf Khan Al-Amar vor den Toren Jerusalems erreichen. 170 Beduinen sollen aus ihrem Dorf vertrieben und der Ort dem Erdboden gleichgemacht werden, in dem sie ohne Wasserleitung und Elektrizität lebten. Sie sollen umgesiedelt werden nach Jahalin-West, auf ein Geröllfeld neben der Müllhalde, in der Nähe des Ortes Abu Dis, hinter Jerusalem, wie Haaretz berichtete.

 

Palästinenser und Beduinen schlimmer als Vieh behandelt

 

Wozu diese brutale Aktion? Damit sich die gegenüber liegenden Siedlungen von Maale Adumim und Kfar Adumim noch mehr ausbreiten können und das besetzte Westjordanland von Jerusalem endgültig abgetrennt und abgeschnitten werden. Straßen “nur für Juden“ und reichlich Wasser und Strom für die jüdischen Siedler, während die Palästinenser/Beduinen schlimmer als Vieh behandelt werden.

 

Nach einer Gesetzesänderung in der letzten Woche ist es israelischen Ministern wieder erlaubt, den Haram-al-Sharif (Tempelberg) zu besuchen, und gleich machte der rechtsextreme Landwirtschaftsminister Uri Ariel von der Partei „Jüdisches Heim“ davon Gebrauch. Was wird jetzt geschehen, wenn das nur der Anfang einer neuen gezielten politischen Provokation und Demütigung der Palästinenser ist? Erinnern wir uns: im Jahr 2000 begannen nach dem provokanten Besuch von Ariel Sharon die Unruhen und die Intifada.

 

Wenn in München, Berlin, Frankfurt und anderen Städten durch dubiose Beschlüsse der Fraktionen aller Parteien BDS-Aktivisten und Israel-kritischen Veranstaltungen keine Räume mehr zur Verfügung gestellt und finanzielle Förderungen daran knüpft werden, ob man für oder gegen Israel ist, dann bewegt sich Deutschland in eine ganz falsche Richtung. Alles soll zum Schweigen gebracht werden, egal, ob es sich um jüdische Organisationen oder Vortragende handelt oder ob es sich um Palästinenser oder politisch neutrale Verbände oder konfessionelle Gruppierungen handelt. Auch Israel-kritische Bücher trifft es inzwischen, die vom Markt verschwinden, einer Bücherverbrennung gleich. Der Druck der Israel-Lobby wird immer stärker und wirkungsvoller. Dieser bedauerlichen Tatsache sollte man mit aller Macht entgegentreten.

 

Wenn 73 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz immer noch nicht verstanden wird, dass der Holocaust eben nicht alle Mittel heiligt, sondern eine Mahnung ist, alte Schuld nicht mit neuer Schuld zu tilgen und Deutschland nicht endlich seine Verantwortung für das palästinensische Volk und Palästina wahrnimmt, dann ist das eine schändliche Politik, die nicht zu unterstützen ist.

Da stimmt etwas nicht „im Staate“ Deutschland

 

Wenn deutsche Politiker von einer Verantwortung sprechen, die es gebietet, den „Jüdischen Staat“ zu unterstützen und sein „Existenzrecht“ zu garantieren und seine Gründung auf dem Boden ethnischer Säuberung zu feiern, dann stimmt etwas nicht „im Staate“ Deutschland.

 

Umso mehr ein Grund, sich gemeinsam der weltweiten gewaltfreien BDS-Bewegung anzuschließen, bis Palästina befreit ist – gegen alle Widerstände!

 

 

Fußnoten:

 

1 http://bds-kampagne.de

2 http://www.palaestina-heute.de/Pinwand/Gunter_Grass__Was_gesagt_werde/gunter_grass__was_gesagt_werde.html

 

 

In der Neuen Rheinischen Zeitung (NRhZ) veröffentlicht in Ausgabe 667 vom 11.07.2018 unter http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25026

 

 

Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom „Hochblauen“, dem 1165 m hohen „Hausberg“ im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (https://www.sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch „Das elfte Gebot: Israel darf alles“ heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten „Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik“ ausgezeichnet.

1 Kommentar zu Gegen alle Widerstände Von Evelyn Hecht-Galinski

  1. Glaubt man dem Magazin „Der Spiegel“, so ist die BDS Kampagne eine einzige antijüdische und antiisraelische Kampagne. Auf mehreren Seiten wird in der aktuellen Printausgabe über die BDS Kampagne hergezogen und diese in einem völlig falschen Licht dargestellt. Natürlich kommen in dem Beitrag nur pro- israelische, bzw. anti- palästinensische Stimmen zum Ausdruck. Ob da mal nicht eine Steuerung von außen vorliegt, um eine solche Propaganda zu fahren??
    Interessant auch, das mit keinem einzigen Wort die Hintergründe und Beweggründe für BDS aufgeführt werden. Von Menschenrechten ist da keinesfall die Rede. Für mich findet eine bewusste Falschinformation über BDS statt, wir vorher schon beim TV-Sender WDR und in der Rheinische Post!

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*