Öffentliche Stellungnahme zur Absage meines Seminars von Seiten des Rektorats der Universität Salzburg Von Georg Megggle

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Offener Brief bezüglich der Absage des Seminars „Ethische Interventionen: Boykottstrategien – Pro & Contra“ von Prof. Georg Meggle
Freiheit der Lehre am Ende?
Von Studenten der Philosophie an der Uni Salzburg

Es ist das bekannte „Spiel“. Veranstaltungen, die Israel betreffen, werden von der Israel-Lobby torpediert, wenn sie der Israel-Lobby missfallen. Dafür gibt es wieder ein Beispiel, diesmal die Universität Salzburg betreffend. Es ist das für den Sommer 2021 geplante Seminar „Ethische Interventionen: Boykottstrategien – Pro & Contra“ von Prof. Georg Meggle, das auf Missfallen gestoßen ist. Deshalb hat sich eine Organisation namens „Jüdische österreichische HochschülerInnen“ an die Universität Salzburg mit einem Schreiben voller Manipulationen gewandt. Das wird bereits am Betreff des Schreibens deutlich, welches lautet: „Unterstützer der antisemitischen BDS-Bewegung unterrichtet über ‚Ethische Boykottbewegungen‘ an der Universität Salzburg“ Damit wird unterstellt, die BDS-Bewegung sei antisemitisch, was allenfalls zu diskutieren wäre. Und es geht nicht um eine Unterrichtung über „Ethische Boykottbewegungen“ sondern um ein Seminar zu einer Kontroverse. Trotzdem hat das Schreiben seine Wirkung. Die Uni Salzburg sagt das Seminar nach einem Treffen mit der Israel-Lobby – aber ohne den Seminar-Leiter Prof. Meggle – mit gewundenen Formulierungen ab: „…kamen wir zu der Einschätzung, dass es angesichts der Komplexität der Problemlage geraten erscheint, die Lehrveranstaltung zunächst auszusetzen.“ Und: „Die Freiheit der akademischen Lehre ist nicht verhandelbar, aber das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung im wissenschaftlichen Diskurs einer offenen Gesellschaft muss immer wieder neu diskutiert werden.“ Doch dieses der Freiheit der Lehre hohnsprechende Verhalten blieb nicht ohne Protest. Studenten, die sich das freie Denken nicht nehmen lassen wollen, haben mit Datum vom 26. März 2021 einen Offenen Brief verfasst, den die NRhZ hier dokumentiert.

Sehr geehrter Herr Rektor Lehnert, sehr geehrter Herr Vizerektor Weichbold, sehr geehrter Herr Dekan Knoll, sehr geehrter Herr Fachbereichsleiter Hieke,

wir, Studierende der Philosophie an der Universität Salzburg, sind von der Absage des Seminars Ethische Interventionen: Boykottstrategien – Pro & Contra von Professor Georg Meggle sehr betroffen und sehen darin eine schwerwiegende Einschränkung der Redefreiheit, insbesondere der akademischen.

Zum einen sind die Vorwürfe inhaltlich nicht zutreffend. Weder sollte das Seminar eine einseitige politische Position einnehmen – vielmehr wären Texte pro und contra BDS Grundlage für differenzierte Diskussionen gewesen – noch kann man Professor Meggle selbst eine einseitige Sicht oder gar Beeinflussung zuschreiben. In der bisherigen Diskussion gab es Zuschreibungen – etwa jene der BDS-Unterstützung -, die schlicht kaum begründet wurden, sondern als „offensichtlich“ dargestellt wurden. Darüber hinaus gilt allerdings, dass eine politische Meinung eines Vortragenden an sich selber kein Absagegrund sein kann.

Die Freiheit der Wissenschaft und der Lehre ist ein Grundrecht. Ein solches kann und darf nur bei belastbaren Gründen und nur als letztes Mittel eingeschränkt werden. Es wurde bisher nicht nachvollziehbar argumentiert, welche Gründe dies im vorliegenden Fall wären. Dabei steht insbesondere das Rektorat in besonderer Verantwortung, die Ausübung dieses Rechts an ihrer Universität zu garantieren. Selbstverständlich ist Protest gegen den Inhalt einer Lehrveranstaltung ebenfalls durch die Meinungsfreiheit gedeckt, die wir durchaus so verstehen möchten, dass öffentliche und kritische Äußerungen in größtmöglichem Umfang darunter fallen. Dazu zählt in letzter Konsequenz auch öffentlicher Protest. Die Verantwortung des Rektorats ist aber, dass Lehrveranstaltungen dennoch in geplanter Form stattfinden können, solange es die erwähnten Absagegründe nicht gibt.

Ein weiterer Hinweis darauf, dass solche Gründe nicht vorliegen können, zeigt sich auch darin, dass das Seminar nicht von vornherein von der Universität abgesagt wurde. Die Inhalte und Ziele waren im Vorhinein bekannt und wie in der letzten Stellungnahme erwähnt, sollte das Seminar eine Fortsetzung des letztjährigen sein. Wir verstehen, dass die Universität um ein gutes Miteinander bemüht ist und einen Ausgleich zwischen verschiedenen Interessensgruppen erzielen möchte. Auch unsere Position ist, dass eine gemeinsame Diskussion beziehungsweise ein Dialog unter Vertreter:innen aller unterschiedlichen Meinungen am zielführendsten wäre. Gleichzeitig lässt sich ein solcher nicht erzwingen. Aus diesem Grund sind wir skeptisch bezüglich des vorgeschlagenen Kompromisses, eine interdisziplinäre Lehrveranstaltung im Herbst zum Thema Redefreiheit abzuhalten, in deren Rahmen Prinzipien, was an der Uni gelehrt werden darf, erarbeitet werden. Wenn es aktuell nicht gelungen ist, ein offenes Diskussionsformat, an dem alle teilnehmen, zu schaffen, steht dies auch zukünftig in Zweifel. Auf jeden Fall kann das Abhalten einer Lehrveranstaltung, gegen die es keine stichhaltigen Gründe gibt, nicht vom Zustandekommen oder vom Ergebnis einer solchen Diskussion abhängen.

Wir gestehen zu, dass es Fälle gibt, in denen über Grenzen der Redefreiheit kritisch reflektiert werden sollte. In dieser Hinsicht ist eine Lehrveranstaltung oder eine Diskussionsreihe zu diesem Thema sehr wünschenswert und wir möchten uns nach Möglichkeit daran beteiligen. Es gilt jedoch: Richtig wäre es, das eine – über Redefreiheit zu reflektieren – zu tun und das andere – Redefreiheit zu gewährleisten, wo es keine starken Gegengründe gibt – nicht zu lassen.

Zum anderen sehen wir hinsichtlich des Ablaufs der Seminarabsage schwerwiegende Probleme. Uns scheint, dass das Rektorat alle Beteiligten im Vorfeld des relevanten Gesprächs nicht ausreichend darüber informiert hat, dass daraus tatsächlich nicht etwa Konsensfindung, sondern eben eine handfeste Absage resultieren würde. Das steht ja auch im Widerspruch zu der Position von Rektorat und Fachbereich aus der vorhergehenden Woche, wo noch bekräftigt wurde, dass das Seminar stattfinden wird. Es gibt hier also ein Transparenzproblem. Darüber hinaus besonders schwer wiegt jedoch, dass Professor Meggle zu dem Gespräch nicht eingeladen wurde und ihm folglich nicht einmal zugestanden wurde, eine Stellungnahme abzugeben, bevor über die Absage seines Seminars definitiv entschieden wurde. Es wäre auch hier Aufgabe des Rektorats gewesen, ihm eine offizielle Einladung zuzusenden und ihm im Mindesten dieses Rede- und letztlich auch Stimmrecht einzuräumen.

Aus diesen Gründen wenden wir uns gegen die Absage des Seminars „Ethische Interventionen: Boykottstrategien – Pro & Contra“ und möchten unserer Besorgnis um die Redefreiheit an unserer Universität Ausdruck verleihen. Kaum jemand lässt offene Diskussionen zu aktuellen, ethisch relevanten Themen so sehr zu wie Professor Meggle. Wir setzen uns dafür ein, dass seine Seminare auch in Zukunft – und auch zum gegenständlichen Themenkomplex – stattfinden werden.

Quelle: Wissenschaftsfreiheit Uni Salzburg

Online-Flyer Nr. 765  vom 14.04.2021

 

Georg Meggle

 

Akademische Lehr- und Forschungsfreiheit?

 

(Öffentliche Stellungnahme zur Absage meines Seminars

von Seiten des Rektorats der Universität Salzburg)

 

1          Meine Themen in Lehre und Forschung

2          Meine Seminare an der Universität Salzburg

2.1       Mein aktuelles Forschungsprojekt

2.2       Das vorige Seminar: Zum Antisemitismus

2.3       Ankündigung & Programm des neuen Seminars

3          Die Absage des Seminars

3.1       Zum Kern

3.2       Die vom Rektorat vorgebrachten Gründe

3.3       Mein Gegengrund: „Die Freiheit der akademischen Lehre ist nicht verhandelbar“

4          Wie weiter?

4.1       Das Konzept des Rektorats

4.2       Ein alternatives Konzept

5          Resümee

 

1          Meine Themen in Lehre und Forschung

 

Auch nach meiner Emeritierung an der Universität Leipzig (2009) unterrichte ich regelmäßig Philosophie an mehreren Universitäten, zunächst als Inhaber einer J. G. Herder-Professur an der „Al Azhar Universität“ Kairo, dann an der staatlichen „Cairo University“, an der Kairoer „6. Oktober Universität“ und seit einigen Jahren im Wintersemester jeweils an der „American University“ in Kairo und im Sommersemester an der „Paris Lodron Universität“ Salzburg.

Das Philosophische Institut der Uni Salzburg ist stark durch die Analytische Philosophie geprägt. Eine informelle „Standing Invitation“ durch das Institut ermöglicht es mir, in den Sommersemestern quasi unbegrenzt weiterhin das zu tun, was ich in meinem Beruf stets für meine Pflicht gehalten habe: Mich mit engagierten Studierenden in unbekanntes Gelände aufzumachen und gemeinsam nach geistigen (insbesondere also auch nach sprachlichen bzw. begrifflichen) Orientierungen zu suchen.

Anfangs gehörte dieses Gelände ganz zum Bereich der Theoretischen Philosophie – wo meine Schwerpunkte in den Bereichen Kommunikationstheorie und Sprachphilosophie liegen; in den letzten Jahren aber, auch dem Bedürfnis des Salzburger Instituts entsprechend, zum Bereich der Praktischen Philosophie, insbesondere der Ethik und noch spezieller der Angewandten oder Praktischen Ethik. Die „Philosophischen Interventionen“, so der ursprüngliche Obertitel meiner Salzburger Sommerseminare, heißen seitdem entsprechend „Ethische Interventionen“.

Die Ethik, also die Lehre dessen, was uns Menschen moralisch geboten ist, gehört zu den wichtigsten wissenschaftlichen Disziplinen. Zur „Software“ unserer diversen Ethikprogramme gehört deren begriffliche Basis. Deshalb sind Analytische Philosophen von ihrer Ausbildung her für eine logisch orientierte Präzisierung und möglichst scharfe Überprüfung dieser Basis die Experten par excellence. Diese Konzeption von Ethik habe ich von meinen Oxforder Lehrer Richard M. Hare übernommen, der sinngemäß sagte: „Was eine Theorie taugt, zeigt sich in der Praxis. Das gilt auch für die Ethik.“ Dieses Statement stand von Anfang an als Motto über all meinen Salzburger Seminaren der Reihe „Ethische Interventionen“.

Zur begrifflichen Basis unserer Ethik-Programme gehören nicht nur so allgemeine Begriffe wie „Freiheit“, „Gerechtigkeit“, „Demokratie“, „Humanität“, „Menschenrechte“ und „Menschenwürde“; sondern auch eine Reihe spezieller Begriffe, über deren korrekte Gebrauchsbedingungen derzeit regelrecht „Krieg geführt“ wird. Die jeweilige Definition dieser „Kampfbegriffe“ ist, wie es intern ganz korrekt heißt, „not merely a theoretical issue, but an operative concern of the first order.“[i] Wie uns vor allem George Orwell gezeigt hat, ist das Modulieren und Remodulieren solcher Begriffe eines der wirksamsten Mittel aus dem reichhaltigen Arsenal der politischen PR-Einsätze und so auch der Propaganda. Wer sich auf eine kritische Diskussion solcher Begriffe einlässt, betritt damit unweigerlich vermintes Gelände. Um auf ihm zu arbeiten und zu überleben, braucht es so etwas wie die Präzision eines Bombenentschärfers. Genau so verstehe ich meinen Einsatz als Analytischer Philosoph in Sachen Praktischer Ethik.

Es sind im Wesentlichen drei Begriffe, auf die sich mein Interesse immer wieder fokussiert hat: Humanitäre Interventionen, Terrorismus – und Antisemitismus. Bei jedem dieser Begriffe geht es um Leben und Tod. Jeder dieser drei Kampfbegriffe hat ein ungeheures Wirkungspotential.

(1) Der erste Begriff – „Humanitäre Intervention“ – wurde primär dazu geschaffen, im Namen der westlichen Wertegemeinschaft mit den (wirklich oder angeblich) besten Absichten völkerrechtlich verbotene Angriffskriege führen zu können. Das Paradebeispiel hierfür ist der Kosovo-Krieg, die NATO-Intervention gegen Jugoslawien/Serbien vom Frühjahr 1999. Dieser Krieg begann für die Deutschen mit der TV-Erklärung ihres Bundeskanzlers Schröder – genauer, mit dessen Satz: „Dies ist kein Krieg“.

(2) Der zweite Begriff – „Terrorismus“ – ist fast schon selbstreflexiv. Wer diesen Begriff als Inhaber einer Führungsposition (sei es in der Politik, sei es in den Medien) vorbehaltlos auch nur benutzt, der tut selber genau das, wofür dieser Begriff steht: Er instrumentalisiert Angst und Schrecken zur Erreichung von (meist politischen) Zwecken, die sich ohne diese Angst wohl nicht so leicht erreichen lassen würden.[ii] Der erst dank 9/11 führbare Krieg gegen den Terror ist für die Logik dieses Begriffs nur der weltweit sichtbarste Beleg.

(3) Und in den dritten Begriff – „Antisemitismus“ – ist durch den Holocaust das diesem Menschheitsverbrechen entsprechende Maximum an Verwerflichkeit wohl für alle Zeiten untrennbar eingeprägt.

In die Durchleuchtung dieser Begriffe hatte ich über Jahre hinweg nicht nur meine eigene Arbeitskraft investiert, sondern auch die Kapazitäten meiner jeweiligen Lehrstühle und die Möglichkeiten öffentlicher Förderungsmittel (speziell der Deutschen Forschungs­gemeinschaft – DFG) genutzt, um die notwendigen Strukturen, d.h. international besetzte Teams, zu schaffen, die sich mit den entsprechenden Problemen beschäftigen sollten. Das gemeinsame Nachdenken kulminierte in internationalen Konferenzen am Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF) an der Universität Bielefeld und für die beiden letzten Begriffsfelder (Terrorismus und Antisemitismus, letzterer in spezieller Relation zu den Beziehungen zwischen Deutschland, Israel und Palästina) in zwei je einjährigen Ringvorlesungen, von denen jede eine Serie von 25 Vorträgen umfasste. (Das Resultat dieser Bemühungen kann man in mehreren, aus diesen Konferenzen und Vorlesungsserien resultierenden Proceedingsbänden nachlesen. Diese tragen die Titel: Humanitäre Interventionsethik (2004), Terror & Der Krieg gegen ihn (2003), und Deutschland / Israel / Palästina (2007)).[iii]

Über Jahre hinweg verfolgte ich zudem zusammen mit einigen der besten philosophischen Terrorismus-Experten aus der ganzen Welt das Projekt eines eigenständigen Europäischen Think-Tanks on Terrorism. Heute bin ich allerdings froh, dass aus diesem Großprojekt nichts geworden ist.

So verschieden diese drei für meine Forschungen zentralen Begriffsfelder auch sein mögen – sie weisen zwei signifikante Gemeinsamkeiten auf: (i) Ihr evaluativer Aspekt, ihre wertende Seite, ist extrem stark, wohingegen (ii) ihr deskriptiver Aspekt, ihr faktischer Gehalt, extrem unterbelichtet ist und offensichtlich auch möglichst im Dunkel bleiben soll.

Ad (i): Bei allen drei Begriffen handelt es sich um extrem stark wertende Begriffe. Während der Begriff Humanitäre Interventionen seinem Rechtfertigungszweck entsprechend stark positiv besetzt ist, gehören Terrorismus und Antisemitismus zu den im wörtlichen Sinne vernichtendsten Wertbegriffen, die es derzeit gibt. Diese Wertungen bestehen in allen drei Fällen völlig zu Recht.

  • (i.1) Humanitäre Intervention: Es kann tatsächlich Fälle geben, in denen zur Rettung von Menschenleben der Einsatz von Gewalt nicht nur erlaubt, vielmehr sogar moralisch geboten Kurz: Humanitäre Interventionen können moralisch gerechtfertigt sein.
  • (i.2) Terrorismus: Zumindest die starken Formen des Terrorismus (d. h. Fälle, in denen sich die terroristische Gewalt direkt oder stark zurechenbar gegen illegitime Gewaltziele (Unschuldige) richtet) sind entsprechend stark verwerflich. Und schließlich:
  • (i.3) Antisemitismus: Diskriminierung verstößt per se gegen das universelle Prinzip der moralischen Gleichheit aller; und so ist jede Art von negativer Diskriminierung absolut verwerflich. Also auch jede Form von Antisemitismus als dem Extremfall einer solchen Diskriminierung.

Doch eine derartig starke bzw. sogar absolute Verwerflichkeit ist ein zweischneidiges Schwert. Es wird nur dann richtig geführt, wenn es die Richtigen trifft, d.h. wirkliche Terroristen und wirkliche Antisemiten. Leider hat aber auch die falsche Führung eines Schwertes tödliche Folgen. Die Bezeichnung „Terrorist“ macht den Adressaten zum Outlaw, zu einem Ziel von Gewalt jenseits der Grenzen des Rechts. Und auch das Label „Antisemit“ wirkt bei uns schon durch seine bloße Äußerung wie ein Todesurteil – zumindest eines sozialen Todes. Deshalb ist es ungeheuer wichtig, vorurteilsfrei die Fragen zu beantworten:

Wer ist Terrorist? Und: Wer ist Antisemit?

Das sind die für eine jede Ethik des (Krieges gegen den) Terrorismus und für eine jede Ethik des (Kampfes gegen den) Antisemitismus zentralen, vor jeder weiteren Debatte zu klärenden begrifflichen Fragen. Oder besser gesagt: Sie wären es, wenn die Entwicklung solcher Ethiken gesellschaftlich bzw. politisch korrekt wäre. Jedem Versuch in dieser Richtung sind bei uns jedoch erschreckend enge Grenzen gesetzt, offensichtlich auch an der Universität Salzburg.

 

2          Meine Seminare an der Universität Salzburg

2.1       Mein aktuelles Forschungsprojekt

Ich plane meine Lehrveranstaltung in der Regel in enger Verbindung mit der eigenen Forschung. Mein derzeitiges Projekt zielt auf eine für 2023 geplante Monographie ab mit dem Titel Nie wieder Auschwitz?.[iv] Wie dieser Titel zeigt, geht das Projekt erneut der für die Ringvorlesung Deutschland / Israel / Palästina (2005/2006) zentralen Frage nach, welche Lehren wir (speziell in Deutschland und Österreich) aus dem Holocaust ziehen sollten. Was waren die bisher gezogenen? Sind unsere bisher gezogenen Lehren wirklich die richtigen? Natürlich sind diese Fragen nicht nur extrem wichtig, sondern auch extrem schwierig.

2.2       Das vorige Seminar: Zum Antisemitismus

Das für Sommer 2021 angekündigte Seminar Boykottstrategien – Pro & Contra wäre die direkte Fortsetzung des letztjährigen Seminars Zum Antisemitismus gewesen, in dessen Ankündigung explizit betont wurde:

Antisemitismus = Diskriminierung von Juden. […] Somit ist Antisemitismus, wie jede Diskriminierung, absolut moralisch verwerflich. [..]. Was für und was gegen diese simple – aber offenbar gerade ihrer Klarheit wegen nicht immer erwünschte – Antisemitismus-Definition spricht bzw. angeblich sprechen soll, das ist die Kernfrage unseres Seminars.

Der Verlauf des Seminars kann über die Dokumentationen auf Blackboard und gegebenenfalls zwecks juristischer Überprüfung auch über die Aufzeichnung aller Webinarsitzungen bis ins kleinste Detail verfolgt werden. Ich selbst sehe dieses Seminar als eines meiner erfolgreichsten an. Selten habe ich Seminar-Teilnehmende derart motiviert und engagiert erlebt. Das Niveau der Referate und Präsentationen sowie der eingereichten Hausarbeiten lag weit über dem Üblichen. Mein Paradebeispiel für dieses Niveau ist die Arbeit meines Seminar-Tutors Andreas Schütz, die in überarbeiteter Form dann auch publiziert wurde.

2.3       Ankündigung und Programm des neuen Seminars

So ergab sich quasi wie von selbst zunehmend der Wunsch, diese Debatte im Sommer 2021 fortzusetzen, und zwar konkreter mit der Frage: Wie steht es mit der These, dass BDS eine spezielle Art von Antisemitismus impliziert? Wie steht es mit den Begründungen, die FÜR oder GEGEN diese These vorgebracht werden? Als Thema wurde festgelegt:

ETHISCHE INTERVENTIONEN:

Boykott-Strategien – Pro & Contra

Bei der Ankündigung wurde zunächst noch einmal wiederholt:

Antisemitismus = Diskriminierung von Juden. Punkt. Und somit ist Antisemitismus, wie jede Diskriminierung, absolut moralisch verwerflich. Was für und was gegen diese Definition spricht bzw. angeblich sprechen soll, das war die Kernfrage des Sommer-Seminars von 2020.

Sodann wurde als Programmziel erklärt:

Auf der Basis dieser einfachen Definition ist die Kernfrage jetzt diese: Trifft es zu, dass die Bewegung BDS („Boycott, Divestment and Sanctions“) wirklich, wie von zahlreichen politischen Institutionen erklärt – seit kurzem aber auch von einigen Kulturinstitutionen klar bestritten –, ein Fall von ANTISEMITISMUS ist?

Das Seminar besteht aus zwei Teilen.

TEIL I – Nötige Vorklärungen

Hier geht es um die Fragen: 1. Was versteht man unter Boykott? 2. Welche Fälle politisch strategischen Handelns können als Boykott-Paradigmen gelten? 3. Welche Lehren lassen sich aus diesen historischen bzw. aktuellen Fällen ziehen? 4. Was sind brauchbare Kriterien für eine moralische Beurteilung solcher Fälle?

Teil II – Zur Kernfrage: Beurteilung der BDS

Die zentralen Fragen hier sind: 5. Was sind die besonderen Merkmale der BDS-Strategien? 6. Wie sind diese Strategien auf der Basis unserer allgemeineren Beurteilungskriterien – gegebenenfalls im Sinne einer Pro & Contra-Abwägung – zu bewerten? Und schließlich – und über obige Zentralfrage hinausführend: 7. Wie verhält sich diese BDS-Ethik zu den diversen politischen wie rechtlichen Aspekten der derzeitigen Pro & Contra-BDS-Kontroverse? Und 8. Welche Zwecke werden mit dieser Kontroverse von den diversen Parteien überhaupt verfolgt?

3          Die Absage

3.1       Zum Kern

Im Kern geht es nur um eine einzige Frage: War die am 17. März 2021 von der Universität Salzburg beschlossene Absage meines Seminars korrekt oder nicht? Das ganze Drumherum, wie es zu der Absage gekommen ist und wie mit dieser bis heute auf den verschiedenen Ebenen uniintern und in bzw. gegenüber der Öffentlichkeit umgegangen wird, das ist letztlich weniger wichtig. Ich beschränke mich hier auf den Kern.

Es ist unbestritten, dass Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung sowie Aufrufe zur Gewalt und dergleichen an Universitäten nichts verloren haben. Ein solcher Grund für das Verbot einer Lehrveranstaltung liegt aber, wie das Rektorat selbst betont, im Fall meines Seminars nicht vor. Die Absage des Seminars war folglich nicht korrekt.

3.2       Die vom Rektorat vorgebrachten Gründe

Die in der Erklärung „PLUS für Verantwortung in einer offenen Gesellschaft“[v] vom Rektorat vorgebrachten Gründe rekurrieren auf zwei Punkte: (a) die „Komplexität der Problemlage“ und (b) die Annahme, dass „ein reibungsfreier Ablauf des Seminars nicht gewährleistet“ sei.

Der Aspekt (a) trifft sicher zu. Die Problemlage ist, wie oben von mir dargelegt, in der Tat sehr komplex. Warum die Komplexität einer Fragestellung freilich ein Absagegrund sein soll, erschließt sich mir nicht.

Auch der Grund (b) überzeugt nicht. Damit dieser als Absagegrund in Betracht kommen könnte, müsste „reibungsfrei“ im Sinne von „frei von drohenden oder angedrohten gewaltsamen Einwirkungen, Einschüchterungen bzw. Nötigungen von außen“ gemeint sein. Diese Freiheit von äußeren Einwirkungen zu garantieren, eben das obliegt aber gerade der Verantwortlichkeit der jeweiligen Universitätsleitung. Die Rektorate der Humboldt Universität zu Berlin und der Universität Leipzig haben sich in ähnlicher Lage nicht gescheut, durch die Ankündigung und Gewährung von Polizeischutz die Durchführbarkeit der betreffenden Veranstaltungen zu gewährleisten. Aber auch mit Blick auf den derzeitigen Pandemie-bedingten Online-Lehrbetrieb ist das Argument (b) nicht wirklich überzeugend.

3.3       Mein Gegengrund: „Die Freiheit der akademischen Lehre ist nicht verhandelbar“

Das Rektorat erklärt zwar:

„Die Freiheit der akademischen Lehre ist nicht verhandelbar“

schränkt diese Aussage aber durch die Bemerkung ein

„das Verhältnis von Freiheit und Verantwortung im wissenschaftlichen Diskus einer       offenen Gesellschaft muss immer wieder neu diskutiert werden.“

Nun bedeutet aber „immer wieder neu diskutieren“ in diesem Kontext offenbar „immer wieder neu aushandeln“. Aus „nicht verhandelbar“ wird damit aber „verhandelbar“. Ein solcher Widerspruch ist inakzeptabel. Etwas so Wichtiges und Unverhandelbares wie die Freiheit der akademischen Lehre darf nicht zum Gegenstand von Verhandlungen werden.

4          Wie weiter?

4.1       Das Konzept des Rektorats

Das Rektorat plant, ehe das für den Sommer 2021 abgesagte Seminar für den Sommer 2022 eventuell zugelassen wird, im Wintersemester 2021/22

„eine Lehrveranstaltung zum Thema ‚Die Grenzen akademischer Redefreiheit im            universitären Kontext‘, in der dieses äußerst wichtige Thema nicht nur von        philosophischer Seite, sondern interdisziplinär und breit aufgestellt diskutiert        werden kann. Dazu sollen der betreffende Lehrveranstaltungsleiter, die oben    genannten Studierenden, KollegInnen anderer Fachbereiche, Philosophiestudierende         und gegebenenfalls auch externe ExpertInnen eingeladen werden.“

Diese Lehrveranstaltung wäre eine wirklich sehr große Sache, vom Konzept her eine auch die Öffentlichkeit einbeziehende universitäre Ringvorlesung über ein ganzes Semester hinweg. Nun ist freilich die Komplexität der dort zu behandelnden Thematik sicher nicht geringer als die Komplexität der Antisemitismusproblematik einer bestimmten Boykott-Bewegung. Eine niveauvolle Durchführung einer solchen Veranstaltung verlangt nach meinen Erfahrungen nicht weniger als ein volles Jahr. Ist eigentlich schon geklärt, welcher Lehrstuhl zur Übernahme einer solchen Aufgabe bereit wäre?

4.2       Ein alternatives Konzept

Der Plan des Rektorats erscheint mir für das kommende Wintersemester nicht realisierbar. Ich empfehle daher, die Großveranstaltung auf später zu verschieben.

Ich glaube nicht, dass meine Studierenden, um sich mit dem Thema des abgesagten Seminars angemessen beschäftigen zu können, eine solche Veranstaltung über die „akademische Redefreiheit im universitären Kontext“ als Vorlauf wirklich nötig haben. Sie sind, wie vorliegende Stellungnahmen zeigen, von der Absage des Seminars sehr enttäuscht. Einige von ihnen sehen die vom Rektorat angekündigte Großveranstaltung lediglich als eine Alibi-Veranstaltung bzw. als ein Trostpflaster an. Ihr primäres Interesse liegt nicht auf einer abstrakten Debatte über universitäre Redefreiheit im Allgemeinen, sondern auf deren konkreter Realisierung im gegebenen Fall.

Kritische Studierende lassen sich nicht vorschreiben, worüber sie nachdenken dürfen. Man kann ein Seminar absagen – aber nicht das Denken verbieten. Und so bereitet sich eine Gruppe von Studierenden auf das von mir für den Sommer 2022 geplante Seminar – mit der gleichen Thematik und Ankündigung wie in 2.2 oben – eben schon jetzt vor. Wegen der Seminarabsage nicht im Rahmen der Uni; auch nicht mit einem Zoom-Stream derselben.

Für das Sommersemester 2023 hatte ich schon vor der diesjährigen Absage als Thema vorgesehen: The Value and Limits of Academic Speech. Philosophical, Political and Legal Perspectives.[vi] In diesem Seminar geht es dann auch konkret um die Erfahrungen, die wir an der Universität Salzburg in der brisanten Boykott-Ethik hatten sammeln dürfen.

Warum also nicht die Energie der höchst motivierten Studierenden nutzen und mit den Synergieeffekten einer dann tatsächlich bestens vorbereiteten großen öffentlichen RINGVORLESUNG Wert und Grenzen der akademischen Freiheit (2022/23) verbinden? Ich wäre gerne bereit, meine Expertise in dieses Projekt einzubringen. Auf diese Weise könnte die Absage vom 17. März 2021 letztlich sogar einen großen – und eventuell auch weit über die Paris London Universität Salzburg hinaus wirkenden – Kollateralnutzen bewirkt haben.

5          Resümee

Die Universität Salzburg und ich stimmen voll darin überein: Antisemitismus ist absolut moralisch verwerflich. Sich aus wissenschaftlicher bzw. insbesondere philosophischer Perspektive mit dem Thema „Antisemitismus“ auseinanderzusetzen, ist hingegen durch die Freiheit akademischer Lehre und Forschung legitimiert. Die vom Rektorat am 17. März 2021 beschlossene Absage des Seminars „Boykott-Strategien – Pro & Contra“ war deshalb nicht korrekt, und die dafür vorgebrachten Gründe sind nicht überzeugend. Ich schlage vor:

(1) Die für das nächste Wintersemester als Ersatz angedachte Öffentliche Ringvorlesung wird, um der Komplexität des Themas gerecht werden zu können, auf die Zeit nach dem im Sommersemester 2022 nachgeholten Seminar verschoben.

(2) Die Nachholung meines Seminars, auf das sich die Studierenden schon jetzt vorbereiten, wird von Seiten des Rektorats– auch öffentlich – verbindlich zugesagt.

Letzteres erachte ich als die einzige Form, meinen nicht nur durch den unbegründeten Antisemitismus-Vorwurf, sondern auch durch die Absage meines Seminars beschädigten Ruf in glaubwürdiger Weise zu rehabilitieren.

 

[i] ICT (International Policy Institute for Counter Terrorism)

[ii] Diese reflexive Funktion von „Terrorismus“ hat am klarsten Tomis Kapitan ausgedrückt – schon mit dem Titel seines Beitrags „Terrorism“ as a Method of Terrorism, in: Georg Meggle (Ed.), Ethics of Terrorism & Counter-Terrorism, Frankfurt/Lancaster (Ontos), 2005, 21-38.

[iii] Humanitäre Interventionsethik, Paderborn (mentis), 2004; Terror & der Krieg gegen ihn. Öffentliche Reflexionen, Paderborn (mentis), 2003, und Deutschland / Israel / Palästina. Streitschriften, Hamburg (Europäische Verlagsanstalt), 2007.  Zu den ersten beiden Bänden kamen englische Parallelbände hinzu: Außer dem in Anm. (ii) soeben genannten zudem: Ethics of Terrorism & Counter-Terrorism, Frankfurt/Paris (Ontos), 2005.

[iv] Dies ist auch der Titel eines kurzen telepolis-Artikels, dem im Buch selber dann weiter zu entfaltenden Kernstück dieses Projekts: https://www.heise.de/tp/features/Nie-wieder-Auschwitz-4645984.html

[v] PLUS = Paris London Universität Salzburg. Publiziert am 25.03.2021 auf deren Globale Newsseite.

[vi] Hrsg. von Donald A. Downs & Chris W. Surprenant, in der Reihe Routledge Studies in Contemporary Philosophy, New York / London, 2018.

Antisemitismus, Terrorismus und weitere leicht gefährliche Themen

Am 30. März ist der Philosoph Georg Meggle Gast im Telepolis Salon

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1 Kommentar zu Öffentliche Stellungnahme zur Absage meines Seminars von Seiten des Rektorats der Universität Salzburg Von Georg Megggle

  1. Wenn die unverschämte Intervention selbsternannter Hüter der Politik Israels und des Antisemitismus ein Skandal ist (keine neue Erscheinung, mit vergleichbaren Aktionen ähnlicher Gruppuskülen haben deutsche Universitäten eine hinreichende Erfahrung), so ist die Reaktion der Leitung der Universität Salzburg durch Einlenkung aufgrund dieser Intervention der weitgrößere Skandal. Wer, wenn nicht Universitäten, sind zu Hütern akademischer Freiheit der Lehre bestimmt? Wo ist der Aufschrei unserer Freiheit-liebenden Print- und öffentlich rechtlichen Medien, wo sind die Rektoren und Kanzler von Universitäten Österreichs und Deutschlands, die ihrer vornehmsten Pflicht als Hüter von Freiheit (öffentlicher Rede in Wort und Schrift und der Lehre) nachkommen und den „werten Kollegen“ der Univeritätsleitung Salzburg sagen: hier haben Sie Rote Linien überschritten? Wo lese ich, in den Seiten und Spalten des politischen Feuilletons (FAZ, Süddt.Ztng, DIE ZEIT u.s.w.) über diesen skandalösen Vorgang an dieser angesehenen Alma Mater (Univ. Salzburg) mit guter Tradition in Forschung und Lehre, gerade in Analytischer (Praktischer) Philosophie, für die der hier und jetzt verhinderte Professor Meggle unangefochtener Nestor im deutschsprachigen Raum gilt?

    Dank an Frau Hecht-Galinski für die Veröffentlichung der Erklärung Professor Meggles in ihrem Blog „Sicht-vom-Hochblauen“!

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