Roger Waters – wieder einmal von Moshe Zuckermann 

 

Ich danke Moshe Zuckermann sehr für die Genehmigung der Zweitveröffentlichung seines heutigen,  hervorragenden Roger Waters Artikel, Erstveröffentlichung Overton Magazin. Evelyn Hecht-Galinski

Roger Waters – wieder einmal

Man hat in Deutschland den neuen Antisemitismus-Eklat. Der Performer Roger Waters ist diesmal dran. Mit Israels Realität hat das wenig zu tun

Roger Waters – wieder einmal

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Pigs (Roger Waters at Gelredome, Arnhem, 2005. Bild: Mork_nl/CC BY-SA-3.0

Man hat in Deutschland den neuen Antisemitismus-Eklat. Der Performer Roger Waters ist diesmal dran. Mit Israels Realität hat das herzlich wenig zu tun.

 

In Deutschland wird zur Zeit wieder einmal “Antisemitismus” befeiert. Nach Achille Mbembe und dem Documenta-Zirkus ist nun Roger Waters (wieder) dran. Schlimmstes hat er verbrochen: Sein Outfit auf der Bühne lässt eine SS-Uniform assoziieren; ein Luftballon-Schwein mit einem Davidstern darauf stieg gen Himmel; Anne Frank und Shireen Abu Akleh wurden in einem Atemzug zusammen genannt.

Die Attacken gegen Waters nebst Bemühung, seinen Auftritt zu unterbinden, ließen nicht auf sich warten. Engagiert haben sich sogleich die üblichen Verdächtigen, allen voran der ruhmreiche Antisemitismus-Bekämpfer Uwe Becker, flankiert von der Frankfurter jüdischen Gemeinde und Stimmen im Feuilleton. Man hat dann gerichtlich beschlossen, dass Waters dennoch auftreten darf – das Recht auf Meinungsfreiheit wurde ihm zugestanden. Nun kann natürlich auch Uwe Becker auf Meinungsfreiheit pochen. Dieses Recht wurde ihm auch nicht abgesprochen, nur das Recht, praktische Konsequenzen aus ihm abzuleiten und Raum- bzw. Aufführungsverbot zu praktizieren.

Man könnte das gesamte “Ereignis” damit abtun, dass sich auf der symbolischen Ebene wieder eine typisch deutscher Gladiatorenfarce um Deutungshoheit und Hegemonie zwischen “Antisemiten” und “Antisemitismus”-Bekämpfern zuträgt. Nur muss man sich fragen, was es genau ist, was die Anti-Watersianer im gegenwärtigen Aufarbeitungs-Karneval so aufwühlt? Welchen Abbruch hat man dem Judesein (und erst recht dem nichtreligiösen Judesein) getan, indem man “Schwein” und “Davidstern” (bzw. “Schwein” und “Helm mit Mossad-Inschrift”) in Verbindung gebracht hat? Will man daraus allen Ernstes Antisemitismus ableiten? Glaubt man wirklich, dass ein Künstler im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts es wagen würde, in Deutschland Antisemitisches vor Publikum zu äußern, geschweige denn darzustellen? Will man ernstlich behaupten, dass Waters idiotisch genug wäre, einem heutigen deutschen Publikum gegenüber eine Nazi-Affinität zu bezeugen? Welchen Schaden hat Anne Franks historischer Status genommen, indem man ihren Namen mit dem Shireen Abu Aklehs verschwistert hat? Ist nicht klar, dass Roger Waters das Opfer eines historischen Kontexts mit dem Opfer eines anderen Kontexts in Zusammenhang, namentlich den des Opfer-Seins, bringen möchte? Will jemand ernstlich behaupten, dass Waters nicht den Unterschied zwischen dem Grauen der Shoah und der Barbarei des israelisch-palästinensischen Konflikts kennt?

Aber da wären wir schon beim Eingemachten, das alle bisherigen Fragen als das Luftgeschäft erscheinen lässt, welches sie in der Tat sind. Es geht Becker und Konsorten nämlich nicht um Antisemitismus, sondern um den sogenannten “israelbezogenen Antisemitismus”, im Klartext: um Roger Waters Kritik an Israels Politik im Kontext des Konflikts mit den Palästinensern. Waters hasst und bekämpft (u.a.) die schieren Tatsache eines Jahrzehnte währenden Regimes brutaler Okkupation, die dem palästinensischen Kollektiv nicht nur sein Selbstbestimmungsrecht streitig macht, sondern auch die Möglichkeiten zur gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entfaltung realiter einengt bzw. verhindert. Ein emanzipativ ausgerichteter Mensch muss diesen Zustand, der gar nicht infrage gestellt werden darf (wie es die israelische Politik unentwegt ideologiegeleitet tut), kritisch bekämpfen.

Dies hier noch einmal auszubreiten, hat etwas von Vergeblichkeit an sich. Wer will das noch hören? Wer will noch hören, was Israel alltäglich und allnächtlich im Westjordanland verbricht, welche Taktiken der Schikane und des staatlich sanktionierten Terrors es sich angeeignet hat?

Sehr wohl darf aber gefragt werden, ob die “Antisemitismus”-Bekämpfer, die gegen Roger Waters mit großer Verve und selbstgefälliger Emphase vorgehen, von alledem nichts wissen. Wann hat man jemals die Frankfurter jüdische Gemeinde auch nur ein Wort der Kritik an Israels Politik äußern gehört? Wann hat man sie und andere Gemeinden der Juden in Deutschland eine Stellungnahme zur zunehmenden Faschisierung der israelischen Gesellschaft, zur gegenwärtig sich vollziehenden Zerstörung der letzten Reste dessen, was mal die liberale Demokratie Israels ausgemacht hat, geben hören?

Über Uwe Becker braucht man nicht zu reden; man weiß, wer seine Freunde in Israel sind. Aber wer in Deutschland den Anspruch erhebt, als Juden Israel zu “vertreten”, sind die jüdischen Gemeinden (in Zusammenarbeit mit der israelischen Botschaft). Gott allein weiß, warum sie meinen, es (via “israelbezogenen Antisemitismus”) tun zu dürfen. Aber wenn sie es tun, müssen sie sich fragen lassen: Wissen sie überhaupt, was sich zur Zeit in Israel real abspielt? Haben sie etwas dazu zu sagen? Sind sie vielleicht gar (etwas) besorgt? Gibt es bei ihnen eine “Israelbezogenheit”, die nicht nur mit einem imaginierten “Antisemitismus” zu tun hat, sondern auch mit dem wirklichen Zugrundgehen des Landes, das von Rassismus, Faschismus und Demokratiefeindlichkeit – von innen her – gebeutelt ist? Roger Waters ist ihr Problem? Schämen mögen sie sich, dass er sich offenbar mehr um Menschenrechte in Israel kümmert, als sie, die unentwegt die Shoah-Erinnerung einklagen, um sich gerade dafür blind zu machen, was in dem von ihnen verteidigten Land (auch im Namen der Shoah) verbrochen wird.

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